Sylvia Rivera
Geboren 1951 in New York City, Trans* Frau, Latina, Gay- & Transgender-Aktivistin. Mitbegründerin bzw. Unterstützerin der Gay Liberation Front, der Gay Activists Alliance (GAA) sowie (u.a. zusammen mit Marsha P. Johnson) der Hilfsorganisation für junge obdachlose Trans* Mädchen und Drag Queens Street Transgender Action Revolutionaries (STAR). Rivera setzte sich bis zum Schluss für Trans* Jugendliche ein. Sie starb 2002 an Leberkrebs.
I. Gegen den Staat: 1969
Auszug aus einem Interview mit Leslie Feinberg (Worker World, 1998)
Ich bin mit 10 von Zuhause weg, das war 1961. Ich bin auf der 42sten Straße anschaffen gegangen. Die frühen 60er Jahre waren keine gute Zeit für Drag Queens, feminine Jungs oder Jungs, die Make-up trugen wie wir. Wir wurden regelmäßig zusammengeschlagen damals, von der Polizei, von eigentlich allen. Ich hatte mein Coming Out als Drag Queen erst in den späten 60ern. […] Ich erinnere mich, dass ich bei meiner erste Verhaftung nicht mal vollständig in Drag war. Ich lief die Straße hinunter und die Bullen haben mich einfach geschnappt. Wir haben immer geahnt, dass die Polizei der eigentliche Feind ist. Wir haben gar nicht erst erwartet, besser behandelt zu werden als Tiere – und so war es auch. Wir wurden in eine Zelle gesteckt wie ein Haufen Freaks. Man hat uns nicht respektiert. Viele von uns wurden verprügelt und vergewaltigt. Als ich ins Gefängnis gesteckt wurde, um 90 Tage abzusitzen, hat man versucht mich zu vergewaltigen. Einem Typen hab ich hübsch ordentlich die Scheiße aus dem Leib gebissen. Ich hab das alles durchgemacht.
Die Nacht der Stonewall Riots 1969 war eine sehr heiße, schwüle Nacht. Wir waren in der Stonewall Bar und die Lichter gingen an. Wir hörten auf zu tanzen. Die Polizei kam rein. […] Wir wurden aus der Bar raus gebracht und sie trieben uns vor den Polizeiwägen zusammen. Die Bullen drückten uns gegen die Gitter und Absperrungen. Leute fingen an, mit Münzen nach den Bullen zu werfen. Und dann flogen die ersten Flaschen. Und irgendwann hatten wir die Gesetzeshüter dann so weit, dass sie sich im Stonewall verbarrikadierten, denn sie hatten damals tatsächlich Angst vor uns. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass wir so reagieren würden. Wir waren nicht bereit diese Scheiße noch länger zu ertragen. Wir hatten mit anderen Bewegungen so viel erreicht. Es war Zeit. […]
Ich bin froh bei den Stonewall Riots dabei gewesen zu sein. Irgendwann schmiss jemand einen Molotov Cocktail und ich erinnere mich noch wie ich dachte: „Mein Gott, das ist die Revolution. Die Revolution fängt endlich an!“ Ich habe immer daran geglaubt, dass wir zurückschlagen würden. Ich wusste einfach, dass wir zurückschlagen würden. Ich wusste nur nicht, dass es in dieser Nacht passieren würde. Natürlich haben wir immer noch einen langen Weg vor uns.
II. Gegen die Community: 1973
(Zusammenschnitt aus „Bitch on wheels“ (Rede von 2001) und „Queens in Exile, the forgotten ones”, beides im Original nachzulesen in Street Transvestite Action Revolutionaries. Survival, Revolt and Queer Anatgonist Struggle)
Unsere Stammkneipe damals war die Washington Square Bar in der Dritten Straße/Broadway. Dort fand man die Diesel Dykes und Drag Queens mit ihren Geliebten. Oh ja, wir hingen mit den Lesben ab. Wir kamen gut miteinander klar damals. Diese ganze Trennung zwischen den lesbischen Frauen und den Queens kam erst nach 1974 mit Jean O’Leary1 und den radikalen Lesben. Die Radikalen akzeptierten uns nicht und auch keine maskulinen Frauen, die sich wie Männer kleideten. Und diese lesbischen Frauen waren vielleicht nicht mal trans. Aber wir haben uns prächtig verstanden in den frühen 60ern. Ich war auf einer Menge Lesbenpartys. […] Die heutige lesbische Community hat eine Menge zu lernen von der lesbischen Community von damals.
STAR wurde 1971 geboren. […] Marsha und ich und Bubbles und Andorra und Bambi hielten das Haus am Laufen, indem wir uns auf der Straße verkauften, während wir versuchten die Kids von der Straße fernzuhalten. […] Das Haus war also gut versorgt, die Miete war bezahlt und alle in der Nachbarschaft lieb- ten das STAR-Haus. […] Wir haben die halbe Nachbarschaft durchgefüttert, weil wir immer mehr als genug von den Kids befreites Essen hatten2. Es war eine revolutionäre Sache. 1973 sind wir zugrunde gegangen, am vierten Geburtstag der Stonewall Riots. Das war als man uns sagte, wir seien eine Bedrohung und Demütigung für Frauen, weil [die radikal-feministischen] Lesben sich angegriffen fühlten von unserer Kleidung, davon, dass wir Make-up trugen. Ich war eine der Personen, die an diesem Tag eine Rede halten sollten. Aber weil die Frauen uns anstößig und bedrohlich fanden, wurde den Drag Queens Tiffany und Billy nicht erlaubt zu performen. Ich musste mich zur Bühne hoch kämpfen – und Leute, die ich in der Bewegung meine GefährtInnen genannt hatte, haben mir buchstäblich die Scheiße aus dem Leib geprügelt. Damit hat alles ange- fangen, dass man versucht hat uns zum Schweigen zu bringen. Sie haben mich geschlagen, ich hab ihnen in den Arsch getreten. Ich hab‘s geschafft zu sprechen, ich hab ihnen meinen Standpunkt klar gemacht.
Ich habe mich für viele Jahre aus der Bewegung zurückgezogen. Bis zum 20. Geburtstag der Stonewall Riots habe ich mich nicht blicken lassen. […] Ich war sehr verletzt 1974. Ich habe versucht mich umzubringen. […] Und ich dachte, ich würde nie wieder zur Bewegung zurückkehren3. Eine, die was das angeht wirklich ihr Wort gehalten hat, war Lee Brewster.4 Als sie damals auf die Bühne kam, nachdem ich gesprochen hatte, nahm sie ihre Tiara ab, warf sie in die Menge und rief: „Fuck gay liberation!“
Rede von Sylvia Rivera bei der Gay Pride Rally im Washington Square Park (Jubiläumsfeier der Stonewall Riots) 1973:
Y’all better quiet down!
I’ve been trying to get up here all day, for your gay brothers and your gay sisters in jail! They’re wrinting me every motherfuckin’ week and ask for your help! And you all don’t do a god- dam thing for them. Have you ever been beaten up / and raped / in jail? Now think about it.
They’ve been beaten up and raped, after they had to spend much of their money in jail to get their self home and try to get their sex change. The women have tried to fight for their sex changes, or to become women or the women’s liberation. And they write STAR, not the women’s group! They do not write women. They do not write men. They write STAR, because we’re trying to do something for them!
I have been to jail. I have been raped / and beaten / many times! By men! Heterosexual men! That do not belong in the homosexual shelter. But do you do anything for them? No, you tell me to go and hide my tail between my legs. I will no longer put up with this shit.
I have been beaten / I have had my nose broken / I have been thrown in jail / I have lost my job / I have lost my apartment/ For Gay Liberation. And you all treat me this way? What the fuck’s wrong with you all? Think about that! I do not believe in a revolution, but you all do. I believe in the gay power. I believe in us getting our rights or else I would not be out there fighting for our rights. That’s all I wanted to say to your people.
If you all want to know about the people in jail – and do not forget Bambi l’Amour, Andorra Marks, Kenny Messner, and the other gay people that are in jail, come and see the people on STAR House on 12th Street, on 640 East 12th Street between B and C, apartment 14. The people who are trying to do something for all of us and not men and women that belong to a white, middle-class, white club! And that’s what you all belong to! Revolution now! Gimme a G! Gimme an A! Gimme a Y! Gimme a P! Gimme an O! Gimme a W! Gimme an E! Gimme an R! GAY POWER! Louder! GAY POWER
Quellen und Literaturhinweise:
Street Transvestite Action Revolutionaries. Survival, Revolt and Queer Antagonist Struggle. http://www. transadvocate.com/wp-content/ uploads/2014/04/STAR_Pamphlet.pdf
Interview mit Leslie Feinberg: http://www.workers.org/ww/1998/ sylvia0702.php
Video von Sylvia Riveras Rede 1973: http://vimeo.com/45479858
Jessi Gan: Still at the back of the bus. Sylvia Rivera’s struggle. http://www. redalyc.org/articulo.oa?id=37719107 Einen tieferen Einblick in die Trans*/ Lesbische Community und die Arbeitskämpfe der 60er Jahre gibt der Roman Stone Butch Blues von Leslie Feinberg.
Anna Kow, Autorin und Redaktionsmitglied der outside the box. Die Idee zu diesem Beitrag entstand in Anschluss an die Videoarbeit „Y’all better quiet down!“ von Conny Karlsson Lundgren (www.connykarlsson. se). Sylvia Rivera war mir zuvor bereits in „Queer und Antikapitalismus“ von Heinz-Jürgen Voss und Salih Alexander Wolter begegnet. Die Thematik Trans* Weiblichkeit und Feminismus beschäftigt mich schon seit einer Weile, angeregt u.a. durch das Buch „Whipping Girl“ von Julia Serano und nicht zuletzt den Austausch mit meiner Freundin und Genossin Daria.
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Jean O’Leary, eine Aktivistin der GAA, denunzierte Rivera öffentlich, Frausein zu „parodieren“. ↩
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Die Jugendlichen sammelten regelmäßig Essenslieferungen ein, die vor Geschäftsbeginn von den Lieferanten vor den entsprechenden Läden abgestellt wurden. ↩
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STAR wurde 2001 neu gegründet. Aus „Street Transvestite Action Revolutionaries“ wurde „Street Transgender Action Revolutionaries“. ↩
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Eine Drag Queen, die den ersten Gay Pride March 1970 zu einem Großteil finanziert hatte. ↩