Editorial
Here comes outside the box
Wir freuen uns, euch die erste Ausgabe unserer Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen! Und ohne die ewig weibliche Selbsterniedrigungsmasche bedienen zu wollen, stellen wir fest: wir haben viel gelernt in den letzten Monaten, auch wenn die outside zum gelegentlichen Leidwesen mancher auch mal zur Dreifach-, Vierfach-, Fünffach-Belastung anwuchs… An dieser Stelle einen großen Dank an alle Helfenden, Ratgebenden, Autor_innen und Layouter_innen.
Viele Dinge haben wir, weil`s eben die erste Ausgabe ist, zum ersten Mal gemacht, zum Beispiel: ein Editorial schreiben, und wie immer wartet das Internet auch diesmal mit guten Ratschlägen auf. Demnach gälte es zu beachten, dass das Editorial abhängig von der Person des Schreibenden sei: „Ein „Lieschen-Müller“-Stil ist für den Chef eines großen Unternehmens nicht geeignet; denn sein Editorial sollte inhaltlich durchaus anspruchsvoll sein. Stil und Sprache sollten Kompetenz signalisieren, aber allgemein verständlich sein“. Oha! Selbst Lieschen Müller, deren Sache angeblich weder Anspruch noch Kompetenz ist, würde merken, dass sie an dieser Stelle für die männliche Erfindung eines weiblichen Stereotyps herhalten muss.
Auch wenn sich dadurch in uns der Verdacht regt, dass der Editorial-Knigge selbst gegen das von ihm aufgestellte Kriterium, „hohle Phrasen zu vermeiden“, verstößt, können wir bei folgendem Ratschlag durchaus mitgehen: „Das Editorial ist eine gute Möglichkeit, um „heiße“ Themen aufzugreifen“. Ganz klar, was in unserem Fall damit gemeint ist: nach monatelangem Schweigen lüften wir das Geheimnis um den Titel outside the box.
Thinking outside the box ist der Name eines Logik-Spiels, bei dem es darum geht, neun in einem Quadrat angeordnete Punkte mit vier aneinander anschließenden Linien zu verbinden. Dies kann aber nur unter Anwendung des Tricks gelingen, über die eingezeichneten Punkte hinaus zu denken. Für uns dient der Name als Metapher für den Versuch, gängige und als unverrückbar geltende Denkweisen zu kritisieren, zu durchleuchten und ihren Status der Unveränderbarkeit zurückzuweisen. Dies gilt einerseits in Bezug auf gesellschaftliche Ideologien und Wirklichkeiten, die noch immer von patriarchalen Strukturen durchzogen sind, angefangen bei einem als gut gemeint daherkommenden Editorial-Ratgeber bis hin zur benachteiligten Behandlung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Andererseits stellt sich zuweilen auch der (klassisch-)feministische Themenkanon als hermetisch abgeriegelte „Box“ dar, der eine Perspektive ausspart, die auf eine gesamtgesellschaftliche Emanzipation zielt. Und schließlich lässt sich das Bild von der „Box“ auch auf eine männlich dominierte, antideutsche Linke übertragen, die allzu gern die Behauptung kultiviert, feministische Debatten seien gerade in den eigenen, gesellschaftskritischen Kreisen nicht (mehr) notwendig. Die Herausgabe dieser Zeitschrift zeugt von unserer Überzeugung, dass feministische Debatten und Kämpfe auch innerhalb linker Strukturen nach wie vor unabdingbar sind.
Um den Blick darauf zu richten, dass die gesellschaftlichen Zustände veränderungswürdig und auch veränderbar sind, haben wir als Schwerpunkt dieser Ausgabe das Thema „Emanzipation“ gewählt. Neben der Entfaltung des Begriffs in einem Artikel von Mitgliedern der Redaktion lassen sich die abgedruckten Beiträge in vier übergeordnete Kategorien einordnen: die erste behandelt die politisch-philosophischen Grundlagen des Patriarchats und der feministischen Kämpfe. Das sind die Artikel von Kristina Biene Holm, Andrea Truman und Martin Dornis.
Die zweite durchleuchtet einzelne gesellschaftliche Debatten und Zustände auf ihre emanzipativen Gehalte. Darunter fallen die Beiträge zu Abtreibung, Sex-Praktiken, die Analyse der historischen DDR-Gesellschaft und die Frage nach der Feststellbarkeit von sexistischen Gewalttaten in der Praxis im Text von chronik.LE. Auch die in Gegenemanzipation umschlagenden Frauenbewegungen in der Rechten, untersucht von Georg Domkamp, lassen sich hier einordnen.
Doch gerade vor dem Hintergrund des einleitenden Emanzipations-Text muss gefragt werden, in wie weit in gesellschaftlichen Teilbereichen Emanzipation überhaupt stattfinden kann. Denn dieser Artikel versteht unter dem Begriff eine menschliche Emanzipation der ganzen Gesellschaft.
Die dritte Artikelgruppe widmet sich dem Thema Emanzipation in literarischen Bearbeitungen und umfasst die Rezensionen von Silvia Ehl, Alek Ommert und Karolin Reinhold.
Wiederum einen anderen Blick auf Emanzipation richten die künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Thema in Form eines Comics und einer sich durch das ganze Heft ziehenden Fotoserie.
Viel Spaß und viele anregende Gedanken wünschen euch
The lieschen müllers// outside the box