Ketty Guttmann und der Pranger
„Niemand und nichts ist schuldig, daß ich in die Ecke hinein manövriert bin – ich selbst! Es gibt keine Macht und keine Autorität, vor der ich das Knie beugen könnte, kein Wunder daß mich alle Welt für einen Feind ansieht“ 1, schreibt Katherina Ekey 1947 in einem Brief an Ruth Fischer, frühere Genossin und vormalige Feindin. FeindInnen hatte sich die 63jährige, die unter dem Pseudonym Ketty Guttmann veröffentlichte, bis dahin viele gemacht. Als Feministin kämpfte sie gegen das Patriarchat, als Kommunistin gegen die Bevormundung von Proletarierinnen durch die bürgerliche Frauenbewegung und in der KPD gegen die Beschränktheit weiblicher Geschlechterrollen. Als Rätekommunistin bekämpfte sie den bürgerlichen, dann den nationalsozialistischen Staat. Als Antibolschewistin flog sie aus der kommunistischen Partei, weil sie sich gegen die sowjetische Außenpolitik und die Stalinisierung der KPD wandte. Verbliebene Verbündete wurden im nationalsozialistischen Deutschland ermordet oder ins Exil verstreut. Wenn ihr Name heutzutage – selten genug – auftaucht, dann immer am Rande, meist als Exempel, nie in eigener Sache. In einem Theaterstück über Ernst Thälmann wird sie als Verehrerin des Arbeiterführers und als „graue Maus auf dem Vereinigungsparteitag von USPD und KPD“ porträtiert. 2 In Clara Zetkins Erinnerungen an Lenin wird sie erwähnt, ohne dass ihr Name genannt wird: als Negativbeispiel für die vermeintliche Verirrung von Emanzipationskämpfen einiger KPD-Frauen. Einem pensionierten Studienrat dient sie in dessen Buch über den Hamburger Aufstand von 1923 als Schreckensbild des Kommunismus. Er stellt die „36-jährige Witwe im feschen Kostüm und mit […] kurzen Haare[ n]“ als Verkörperung der „Revolution in weiblicher Gestalt“ dar. 3
Keine dieser Darstellungen wird Guttmann gerecht. Die von ihr zunächst ohne Wissen der kommunistischen Partei herausgegebene Zeitung Der Pranger machte sie zeitweilig über Hamburg hinaus berühmt. Der Untertitel: Organ der Hamburger Kontrollmädchen deutet den skandalträchtigen Grund an. Kontrollmädchen, das waren „gefallene“ Frauen und Mädchen. Solche, die unter sittenpolizeiliche Aufsicht gestellt waren. Huren zum Einen, zum Anderen Frauen und Mädchen, denen ein „unsittlicher Lebenswandel“ nachgesagt und zugeschrieben wurde. Das konnte ein uneheliches Verhältnis, wechselnde Liebhaber oder der Aufenthalt in Lokalen, die der Anbahnung von Prostitution dienten, sein. Die Folge: Aufenthaltsverbote und in dessen Folge Behelligung durch Schutzmänner sowie Meldeauflagen und ärztliche Zwangsuntersuchungen. Zielsicher nutzten Guttmann und ihr Mitherausgeber Ehrenfried Wagner die sprichwörtliche bürgerliche Doppelmoral zur Auflagensteigerung. Den Voyeurismus der anständigen Bürger kitzelten sie, indem sie Puffbesucher outeten, die in der Öffentlichkeit moralisierten oder sich abfällig über Prostituierte äußerten.
Die „feine[n] Zirkel wo man über Abschaffung der Prostitution spricht, sollen den alten Damen nur billige Dienstmädchen verschaffen“.
Texte über die Lebensbedingungen der Kontrollmädchen unterliefen hingegen voyeuristische Begehren. Sie beschrieben schonungslos sexualisierte Gewalt, Armut und die entwürdigenden Bedingungen in Geschlechtskranken- und Arbeitshäusern. Jeder moralisierende und mitleidige Gestus wurde jedoch dem Spott preisgegeben. Die „feine[n] Zirkel wo man über Abschaffung der Prostitution spricht, sollen den alten Damen nur billige Dienstmädchen verschaffen“, schrieb sie an die Adresse von bürgerlichen Frauenbewegten und christlichen Missionarinnen. Zudem verglich Guttmann die Stellung der Kontrollmädchen regelmäßig mit der Ehe. Für diese Form der „legitimen Zuhälterei“ hatte sie wenig übrig. Denn schließlich sei es doch so: Durch die Ehe werde die Frau verpflichtet, der Mann entscheide. So fasst sie bündig die die Ehe betreffenden Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches in der zeitgenössischen Fassung zusammen.
Für einige Jahre erschien im wöchentlichen Rhythmus das Blatt mit dem emblematischen Schmutzkübel auf dem Titelblatt. Der Preis, den Ketty Guttmann für diese zeitweilige Prominenz zahlte, war hoch. Guttmann wurde dutzendfach verklagt, verleumdet, angefeindet und mehr als einmal bei öffentlichen Auftritten brutal niedergeschlagen. Eine spätere Würdigung blieb ihr versagt. Der Arbeiterbewegungsgeschichtsschreibung war sie zu feministisch, der Historiographie der bürgerlichen Frauenbewegung hingegen zu radikal. Trotz dieser Gewalterfahrungen, der Isolation und der Marginalisierung – der unbedingte Wunsch Akteurin, nicht Opfer zu sein, ließ sie auch diese Folgen auf die eigenen Schultern nehmen. Niemand und nichts ist schuldig – ich selbst!
Stefan Gerbing ist Amateur-Bierhistoriker mit Schwerpunkt Sternburg. Die schroffe Ablehnung Guttmanns durch Lenin faszinierte ihn derart, dass er sich auf die Suche nach weiteren Spuren begab. Einzelpersonen aus der otb überzeugten den Berliner Vulgärfeministen (bzw. Vulgärprofeministen), dass die wenigen Erkenntnisse als Splitter veröffentlichenswert seien. Er freut sich über Hinweise von anderen Forschenden zu Guttmann und Der Pranger.
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Fischer, Ruth: Brief vom 2.5.1947. In: Ruth Fischer Papers. Houghton Library. Harvard College Library. Harvard University. MS Ger 204 / 323. S. 3. ↩
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https://www.neues-deutschland.de/artikel/646338.thaelmannzwischen-idee-und-gefuehl.html. ↩
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Paschen, Joachim: Wenn Hamburg brennt, brennt die Welt. Der kommunistische Griff nach der Macht im Oktober 1923. Frankfurt am Main 2010. S. 28. ↩