Das schadet uns!
Ein Interview zum Tuntenstreit mit der Berliner Polit-Tunte Patsy L'Amour LaLove
Daria: Patsy, was war der Tuntenstreit?
Patsy: Man kann den Tuntenstreit auftrennen: Einmal kann man ihn als einen Meilenstein der linksradikalen Schwulenbewegung der siebziger Jahre sehen. Wesentliche Momente der Bewegung waren: die Filmvorführung von Rosa von Praunheims Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt mit der darauf folgenden Gründung linksradikaler Schwulengruppen ab 1971, 1973 dann der Tuntenstreit, 1979 Homolulu1, und 1981 der Beethovenhallenskandal.2 Man kann den Tuntenstreit also vor diesem Hintergrund sehen und sagen, dass er ein historisches Ereignis ist, das 1973 stattgefunden hat, und zwar vor allem in Westberlin. 1973 hatte die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW) die Pfingstdemo organisiert, das war ein großes Treffen unter dem Motto „Die Unterdrückung der Homosexualität ist nur ein Spezialfall der allgemeinen Sexualunterdrückung“.
Polit-Tunte: Eine Polit-Tunte schert sich nicht darum, wie sie sich bewegt, sondern dass sie etwas bewegt. (Originalzitat Ovo Maltine: „Es ist nicht wichtig wie sich eine Tunte bewegt, sondern dass sie etwas bewegt“. Ovo Maltine war eine Polit-Tunte/ Aidsaktivistin, die seit den Achtzigern in Berlin aktiv war. Sie starb 2005 an den Folgen von AIDS.)
Dazu wurde bundesweit und international eingeladen. Es kamen Gruppen aus Münster, Bielefeld und auch aus Frankreich, Holland und Italien. Zu dieser Zeit orientierten sich die linksradikalen Schwulen noch an den 1.-Mai-Demos und an den allgemeineren linken Demonstrationen. Sie trugen alle Parkas, marschierten in Reih und Glied und sangen nicht, sondern riefen klassische Parolen. Man wollte sich einer linken, heterosexuellen Bewegung anpassen und so aussehen, wie man sich die Arbeiterklasse imaginierte.
Trümmertunte: Die Trümmertunte führt der Normalität ihre abstoßende Verfremdung vor, die sie eigentlich selber ist: hässlich wird zu schön und bleibt hässlich, weil hässlich für sie nichts anderes ist als schön.
Es waren zum Großteil Studis, Leute mit akademischem Hintergrund, und die haben sich eben die Arbeiterklasse in einheitlich grau-beigen Parkas vorgestellt. Zu dieser Pfingstdemo 1973 kamen dann aus Italien und Frankreich ein paar Tunten, die aufgefummelt und geschminkt waren, die Passant_innen provoziert, ihnen Küsschen zugeworfen und mit ihnen geflirtet haben. Das hat dazu geführt, dass diese Demo in den Medien groß thematisiert und als „Marsch der Lidschatten“ bezeichnet wurde – was einige Schwule aufgeregt hat, auch unter den Aktivisten. Außerdem kam es noch während der Demo zu quasi plenumsartigen Zuständen: mit Diskussionen darüber, ob es in Ordnung sei, im Fummel schwule Politik zu machen. Oder, was das Gegenargument war, ob das nicht der schwulen Sache schade. Das wurde dann bei einigen (bis heute) zu einem ironischen geflügelten Wort: „Ach, das schadet uns!“, wenn man mit Sekt anstößt oder sich auffummelt und schminkt. Es ist vielleicht wichtig zu sehen, dass diese Wahrnehmung des Tuntenstreits als etwas, das 1973 passiert ist, ein Westberliner Phänomen ist.
Und das andere, was man unter „Tuntenstreit“ in meinen Augen fassen kann, ist etwas, das nicht nur in Westberlin stattgefunden hat und auch nicht nur 1973, sondern schon Vorläufer hatte und eigentlich bis heute noch andauert – eine grundlegender Konflikt bezüglich der „richtigen“ schwulen Politik. Die Auseinandersetzung wurde schon vor dem Tuntenstreit zwischen der Schwulenbewegung und den Homophilen3 geführt: die Homophilen haben den bewegten Schwulen vorgeworfen, dass es zu radikal sei, wenn man sich „schwul“ nennt und damit ein Begriff gebraucht, der einerseits direkt mit Sex verknüpft ist und andererseits als Beleidigung fungiert. Das würde der eigenen Sache nur schaden. Dieser Wunsch nach Anpassung, findet sich eins zu eins im Tuntenstreit wieder, und das findet sich auch heute wieder, wenn es um CSDs geht und darum, ob jetzt die Dragqueens zu schrill sind und ob die bei den CSDs sichtbar sein sollten. Oder wenn jemand wie David Berger behauptet, dass man die Emanzipation von Schwulen in Gesellschaften daran messen kann, ob sich Schwule wie echte Männer verhalten. Das ist so eine Linie von Streitigkeit und Auseinandersetzung. Und da würde ich sagen, dass dieser Tuntenstreit etwas ist, das historisch in den siebziger Jahren stattgefunden hat, sich aber bis heute fortsetzt und offensichtlich einen grundlegenden Konflikt bezeichnet. Und der dreht sich um die Frage, ob man dafür kämpfen will, unter allen Umständen ins Zentrum, in diese fiktive Mitte zu gelangen und zur Normalität zu gehören, oder ob man nicht gerade mit der marginalen Rolle, also im Sinne einer Randposition, einigermaßen glücklich sein kann – wie Martin Dannecker es so schön festgehalten hat. Natürlich nicht in dem gesellschaftlichen Sinne, wo das was Ausschließendes bedeutet und was Stigmatisierendes, sondern dass man einfach anders ist und unterschiedlich.
Daria: Das ist ja ein ganz schönes Gegeneinander innerhalb der Bewegung?
Patsy: Ja, das wird dann auch im Tuntenstreit deutlich: dieses Gegeneinander innerhalb der Bewegung war etwas ganz Zentrales. Zugespitzt ausgedrückt kann man sagen, dass es als Projektionsfläche die schwulenfeindliche Gesellschaft und die schwule Subkultur gab, die nicht Teil der linksradikalen Bewegung waren. Zum anderen gab es solche Abgrenzungen auch innerhalb der Bewegung – also dann mit dem Tuntenstreit aufkommend – die Feministen auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Strategen. Diese klaren Positionierungen bedeuteten aber nicht bloß Schlechtes, sondern führten auch zu unglaublich produktiven Diskussionen und Analysen. Und nicht zuletzt dazu, dass man ein neues Verhalten unter Schwulen gegenüber dem in der Subkultur Gängigen ausprobierte; dazu gehörte schon, zu versuchen, miteinander Kontakt zu halten und nicht nur auf die Oberfläche zu schauen.
Daria: Wer waren die Feministen und wer die Strategen?
Patsy: Das ist natürlich sehr polarisiert ausgedrückt. Es gab vor allem Leute, die so dazwischen changierten, und es waren eher Einzelpersonen, die die Lager fest gemacht haben. Die Strategen hatten den Ansatz, dass es eine „Doppelmitgliedschaft“ braucht, weil mit schwuler Politik alleine keine gesellschaftliche Veränderung erreicht werden könne. Wenn man in einer Schwulengruppe ist, muss man also gleichzeitig in einer sozialistischen, heterolastigen Gruppe sein, um was zu erreichen.
Wenn man in einer Schwulengruppe ist, muss man also gleichzeitig in einer sozialistischen, heterolastigen Gruppe sein, um was zu erreichen.
Die gingen ganz klassisch von einem Haupt- und Nebenwiderspruch aus: Hauptwiderspruch – Kapitalismus, Nebenwiderspruch – Schwulenfeindlichkeit. Und wenn der Kapitalismus erst überwunden wäre, hätte sich auch die Schwulenfeindlichkeit erledigt. Den Schwulenaktivismus brauche man zwar, aber vor allem um Selbstbewusstsein zu erlangen, um dann im sozialistischen Kampf ordentlich mitmischen zu können. Die Strategen gingen auch davon aus, dass eine offensive, radikale Politik nicht funktioniert, da man die Leute nur abschrecken würde und damit sei nichts gewonnen. Dementsprechend sollte man auch in der Linken nicht so provokativ schwule Thesen raushauen, bei linken 1. Mai Kongressen zum Beispiel.
Die Feministen haben sich dann ab 1973 im Zuge der entstandenen Diskussion gegründet. Feministen ist hier gleichbedeutend mit politischen Tunten. In dieser Bezeichnung ging es zum Teil tatsächlich um Feminismus und zum Teil um feminines Verhalten, das war je nach Person unterschiedlich. Der Grundton war aber, dass ein Feminist ein Schwuler ist, der sich feminin verhält und daraus Politik macht. Und die haben sich ganz scharf von den Strategen abgegrenzt. Die Feministen haben gesagt, dass es nichts bringt, wenn man sich anpasst, sei es an eine linke Bewegung oder an die Heterogesellschaft, weil im Endeffekt die Leute nun mal so schräge bleiben, wie sie eben sind. Dass es also keinen Sinn hat, wenn man als Schwuler so tut, als wäre man es nicht, um zu zeigen wie normal man ist – denn normal sei man nun mal nicht. Sie vertraten die Ansicht, dass es ganz offensichtlich diese Differenz zwischen schwul und hetero gibt. Die Feministische Fraktion in der HAW stellte dann auch dogmatische Forderungen auf, etwa, dass man den ganzen Tag im Fummel rumlaufen solle, oder, wenn man keinen Fummel trägt, sich den Rosa Winkel anstecken. Sonst wäre man kein richtiger Bewegungsschwuler.
Daria: Wie lief die Zusammenarbeit zwischen der Schwulen- und der Frauenbewegung?
Patsy: In manchen Städten gab es gar keine Zusammenarbeit zwischen Schwulen und Frauen/Lesben. Und in machen, wie in Westberlin, schon. Aber Mitte der siebziger, also relativ schnell, kam es zu einer Abkapselung der Frauengruppen – zu diesem Zeitpunkt noch innerhalb der Schwulenbewegung. Gleichzeitig waren viele Frauen in der Schwulenbewegung über gemischte Selbsterfahrungsgruppen aktiv. Viele schwule Männer und schwule Frauen4 haben sich so auch ineinander verliebt oder hatten Sex miteinander. Und es gab gleichzeitig, was eigentlich widersprüchlich ist, aber funktioniert, weil die Realität so ist, eine extrem scharfe Trennung zwischen den Frauen und den Männern. Auch in Westberlin, z.B. in der Kulmer Straße, wo die HAW ihre Räume hatte, waren im zweiten Stockwerk die Frauen und im dritten die Männer. Die Frauen durften zu den Männern, aber die Männer auf keinen Fall bei den Frauen rein. Es hatte bis dato keine Frauengruppen gegeben, so dass es für sie politisch wichtig war, die Gruppen geschlossen zu halten. Für einige Tunten waren die feministischen Frauen die großen Vorbilder, und die Tunten waren dann oft auch die einzigen, die bei den Frauengruppen rein durften. Den inhaltlichen Austausch sieht man beispielhaft daran, dass es in manchen Tuntengruppen der HAW verboten war, kurze Röcke und Stöckelschuhe zu tragen, weil das als Zeichen der patriarchalen Zurichtung von Frauen galt. So haben das die Frauen gedeutet. Und dann haben einige Feministen natürlich keine Röcke und Stöckel mehr getragen. Abgesehen von Polit-Gruppen waren feministische Frauen, Lesben und Tunten selbstverständlich häufig im Alltag sehr eng befreundet und lebten zusammen in WGs – auch dort fand ein wichtiger Austausch statt.
Daria: Und was macht den Fummel jetzt deiner Meinung nach politisch, links, feministisch? Für dich steckt das ja im Fummel drin, oder?
Patsy: Ja. Genau, für mich ganz persönlich schon, aber andere Leute fühlen das nicht so. Andere füllen den Fummel anders (beide lachen). Das ist ein ganz gutes Bild: die Person, die im Fummel drinsteckt, macht jeweils etwas anderes daraus. Die These, dass das immer was Politisches wäre, funktioniert nicht so einfach. Also geht z.B. eine rassistisch denkende Person oder aber Luxuria5 oder ich hier im Fummel auf die Straße, dann hat das erstmal die gleiche Wirkung nach außen, aber wir wollen ganz unterschiedliche Dinge. Und wenn wir auf der Bühne stehen, tun und sagen wir dementsprechend auch Verschiedenes. Bei der einen Person wäre es reaktionär, und bei Luxuria progressiv. So einfach ist die Welt mit solchen schönen Bildern. (lachen)
Wenn ich auf der Bühne bin … ich kann ja nicht singen, stelle mich aber trotzdem hin und mache es. Und wenn man Leuten den Raum gibt, irgendwie müllig auf die Bühne zu gehen, oder auch schön, dann ist das schon eine bestimmte Form von Politik. Und zwar eine Auseinandersetzung mit Schönheit, mit Anforderungen, was Talent bedeutet, was schön sein bedeutet, ob man auf die Bühne darf oder nicht. Das macht einen neuen Handlungsrahmen auf. Wenn ich z.B. versuche bei der Polymorphia6 unterschiedliche Menschen auf die Bühne zu bringen, und Leute dann singen und sich darstellen, die das eigentlich nicht dürfen, weil die nicht singen können, weil sie scheiße aussehen, fett sind, was auch immer - das macht etwas ganz Konkretes: das verändert den Raum, das verändert, wie die Leute miteinander umgehen. Und vor allem wie die sich selbst sehen. Das ist glaube ich eine zentrale politische Dimension dessen, was es bedeutet, eine Tunte zu sein.
Daria Majewski ist Projektkoordinatorin an der Akademie Waldschlösschen und schreibt ihre Masterarbeit zur Thematisierung diskriminierter Gesellschaftspositionen in zeitgenössischer polnischer Literatur. In meiner politischen Arbeit zu Trans* Emanzipation und Feminismus beschäftigt mich vor allem die Frage nach solidarischem Handeln und gemeinsamer Geschichte „veranderter“ Menschen. Zusammen mit meiner Freundin Anna entdeckte ich Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson. Beeindruckt davon, wie in den sechziger Jahren in den USA Drag Queens, Schwule, Lesben, PoC und Sexarbeiter*innen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmung kämpften, suchte ich nach ähnlichen Bewegungen im deutschsprachigen Raum und stieß auf die Geschichte der „Feministen“ und den Tuntenstreit.
Patsy l‘Amour LaLove ist eine Berliner Polit-Tunte und Forscher_in, organisiert die Polymorphia im SchwuZ und promoviert an der Humboldt Universität zur Schwulenbewegung der siebziger Jahre in Westdeutschland. Weitere Informationen unter www.patsy-love.de
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Homolulu war ein überaus erfolgreiches und gut besuchtes politisches Homosexuellen-Festival in Frankfurt am Main mit weitreichenden Auswirkungen für die weitere Entwicklung der Schwulenbewegung in der BRD. ↩
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Zur Beethovenhalle nach Bonn luden einige Schwulengruppen ein, um dort mit Vertreter_innen der Parteien, mit expliziter Ausladung der KPD, über ihren Standpunkt zur Homosexualität zu diskutieren. Das Treffen wurde von radikalen Schwestern mit Stinkbomben und Trillerpfeifen gestört. Aufnahmen davon finden sich im Film Detlef – 60 Jahre schwul über den Bielefelder Aktivisten Detlef Stoffel. ↩
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Die Homophilen waren diejenigen Homosexuellen, die sich insbesondere in den fünfziger und sechziger Jahren, teils noch in den siebzigern engagierten. Sie hatten einen integrationistischen Ansatz und lehnten den Begriff „schwul“ ab, weil er zu sexuell schmutzig daher kam. „Homosexuell“ lehnten sie ebenfalls ab, weil das zu sehr das Sexuelle betone. Sie konzentrierten sich auf die Behauptung, dass sich Homophile nicht von Heteros unterschieden. ↩
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Bis Anfang der siebziger Jahre bezeichneten sich viele lesbische Frauen noch als schwule Frauen. Schwul war also vielmehr ein Sammelbegriff und vor allem ein politischer. ↩
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Luxuria Rubina „geile Sau“ Rosenburg – Trümmertunte in Berlin und enge Freundin von Patsy. ↩
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Von Patsy organisierte Tuntenshow im SchwuZ (Berlin). ↩