Ausweg
AUSWEG
das was zu schreiben ist mit klarer schrift zu schreiben
dann löcher hauchen in gefrorne Fensterscheiben
dann bücher und papiere in ein schubfach schließen
dann eine katze füttern eine blume gießen
und ganz tief drin sein – und den sinn erfassen
zieh deinen mantel an du sollst das haus verlassen
so packt mich ein gedicht, eine erste seite, eine unbekannte. berührt mich, dass ein freund mich mit ihr verbindet, überreichung: lyrikbändchen, oder berührt mich das, was uns über drei strophen verbindet: sie und mich? ihre stimme, mein lesen. das was zu lesen ist aus klarer schrift zu lesen. eine frau, die nach der wahrheit nicht sucht, sondern benennt, was wahr sein muss. die sich ihren horizont selbst gibt, selbst in eisiger kälte. hauchend. mit oder ohne stimme? eine stimme, die auf papier nichts mehr ausrichten kann da und jetzt, und ins schubfach zieht. es bleibt ihr, das leben zu erhalten, das eigene, das leben um sie herum. und das unbedingte hinausgehen in die welt, im mantel, schutzschild gegen das eis. das eis der starrköpfigkeit der genossen, die über ihr schreiben urteilen, ohne sich mit ihr auseinanderzusetzen. aus stein eine mauer? aus schweigen. dieses entziehen des blicks.
wie sie alle christa heißen und was soll das überhaupt heißen: schriftstellerin, damals, ddr, frühe 50er. da ist eine neue generation, die jetzt zu wort kommt. manche beginnen erst mit dem schreiben, wie sie. manche kehren mit ihrem schreiben zurück. brecht nicht nachahmen wollen, sondern selbst sprechen und schreiben. sie wird ernst genommen, gedruckt, und dann, plötzlich: nicht mehr. indiskutabel geworden mit form und inhalt ihrer texte, die nicht staatstragend sind. der streit verlagert sich in sie. wut über brecht, dass er es sich zu einfach macht im taktieren mit den herrschenden, menschen wie debatten. und dass er im gegensatz zu ihr weiterarbeiten darf. und dann, als er tot ist: ein auswendiges brechtgedicht. sie rezitiert es in bremen, wo sie den literaturpreis entgegen nimmt als den preis für das verlassen des landes, aus dem sie nicht kam, aus dem sie ging. der preis für ihre literatur. die mutter, die sie gepflegt hatte, ist tot, begraben in der ddr. in den anthologien das gedicht, das passt. eine ballade, die brecht grüßt. vom blutigen bomme. das war ihr hit, den sie nicht spielen wollte auf zuruf. lyrik der ddr, kennwadoch. und die lesbische liebeslyrik? erschienen bei eremitenpresse, bei frauenoffensive, finde ich hier nicht in großen bibliotheken. kommt in anthologien nicht vor. vergriffen, und von keiner bibliothek gesammelt? doch, aber special interest. wo ist ihre laute stimme denn hinverhallt? die großen, luchterhand, dtv, haben nachgedruckt. doch es hat ein weiterer krieg stattgefunden, und dieser ist eisig. und nachhaltig. er verbannte sie aus den bücherregalen diesseits der grenze.
AUSWEG, da steht es wieder, als teil einer sammlung. sie schreibt im nachwort zu ihren erzählungen: liebe leser, verschont mich mit meinen gesammelten werken. ich lese es wieder und anders.
das was zu schreiben ist mit klarer schrift zu schreiben
dann löcher hauchen in gefrorne Fensterscheiben
dann bücher und papiere in ein schubfach schließen
dann eine katze füttern eine blume gießen
und ganz tief drin sein – und zum türgriff fassen
zieh deinen mantel an du sollst das haus verlassen
Marie Goldt hat Christa Reinig gerade erst kennen gelernt. Die vielen biographischen Hinweise auf Streit mit sich und anderen und das Gedicht ‘Ausweg’ haben sich in ihrem Kopf verbunden.