Kat Lux

Scharfzüngige Schwester

Ach! man sollte eigentlich gegen niemanden in dieser Welt schreiben. Jeder ist selbst krank genug in diesem großen Lazarett, und manche polemische Lektüre erinnert mich unwillkürlich an ein widerwärtiges Gezänk, in einem kleineren Lazarett zu Krakau, wobei ich mich als zufälliger Zuschauer befand, und wo entsetzlich anzuhören war, wie die Kranken sich einander ihre Gebrechen spottend vorrechneten, wie ausgedörrte Schwindsüchtige den aufgeschwollenen Wassersüchtling verhöhnten, wie der eine lachte über den Nasenkrebs des andern, und dieser wieder über Maulsperre und Augenverdrehung seiner Nachbarn, bis am Ende die Fiebertollen nackt aus den Betten sprangen, und den andern Kranken die Decken und Laken von den wunden Leibern rissen, und nichts als scheußliches Elend und Verstümmelung zu sehen war. (Heine)

Polemik ist ein Mittel im intellektuellen Streit. Wissen, Ironie und Ernsthaftigkeit sind die Eigenschaften einer gelungenen Polemik. Aus dem Wissen um ihren Gegenstand zieht sie ihre Sicherheit, Recht zu haben, das bessere Argument auf der eigenen Seite zu wissen. Da sie ein Interesse verfolgt, ist es ihr ernst mit ihrer Kritik und die Ironie ist ihr eigentliches Mittel. Nur selten gelingt eine Polemik, oft ist das, was der Polemiker für Polemik hält, nichts anderes als unflätige Beschimpfung, ebenso oft ist das, was die Gegner der Polemik dafür halten, nichts anderes als eine sachlich zugespitzte Kritik. Die Polemik ist keine gutgemeinte Kritik, die auf Nachvollziehbarkeit zielt. Sie ist das Mittel zur Aufdeckung eines Irrtums, zur Entblößung von Unsinn und zugleich zur Bloßstellung des Gegenübers. Das ist unfreundlich an ihr.

Wenn durch die Polemik nichts als scheußliches Elend und Verstümmelung zu Tage treten, wie Heine meint, und zwar auf allen Seiten, wäre es dann nicht angemessen, von polemischen Angriffen überhaupt abzusehen? Wäre es nicht human, im Angesicht des eigenen Nasenkrebses nicht Krieg zu führen gegen die Schwindsucht des Anderen, sondern sich in Gelassenheit zu üben und dem Anderen mit Nachsicht zu begegnen? Allerdings hat der gute Rat, jede als die Nächste zu erkennen und sie eben deshalb nicht mit harscher Polemik zu überziehen, einen Haken. Die eigene Verletzlichkeit hat die Menschen noch nie davon abgehalten, Irrtümer oder sogar groben Unsinn über die Welt zu verbreiten. Gegen meinen Nächsten nicht zu polemisieren, weil ich ihn als Verletzten und Unzulänglichen anerkenne, würde bedeuten, ihn eben nur als Verletzten zu erkennen. Sein ganzes Wesen wäre identisch gesetzt mit Verletztheit, der Wassersüchtling wäre identisch mit seiner Wassersucht. Die Güte gegenüber der Anderen würde zu deren Verkennung werden, wenn in Anbetracht der reinen Humanität gleichgültig werden würde, was die Kontrahentin sagt und vertritt, wofür sie als Individuum einsteht. Abstrakt wäre diese Menschlichkeit, die bloße Gattungszugehörigkeit würde sich in ihr ausdrücken, alles Individuelle geflissentlich übersehen werden. Wie nah wäre hier die gutgemeinte Nächstenliebe der Verächtlichkeit vor allem gegen die Frauen, die schon immer als bloße Gattungsexemplare galten, bar jeder Individualität.

Eine Polemik drückt nicht den Wunsch aus, mit der Anderen ins Gespräch zu kommen, das Für und Wider einer Position gemeinsam zu besprechen, gar Zweifel zu äußern.

Die Andere würde nicht ernst genommen werden, wenn nur diese eine Seite gesehen werden würde, wenn sie nur als Verletzte, zur Verteidigung und zum Gegenschlag Unfähige verkannt werden würde. In der Härte und Unnachgiebigkeit der Polemik spiegeln sich die Achtung des Gegenübers als Gegner und die Bestätigung der Wichtigkeit seiner Position wider. Doch diese Anerkennung bedeutet nicht, dass es um ein Gespräch mit der Gegnerin ginge. Eine Polemik drückt nicht den Wunsch aus, mit der Anderen ins Gespräch zu kommen, das Für und Wider einer Position gemeinsam zu besprechen, gar Zweifel zu äußern. Keine ernst gemeinte Frage würde jemals in einer Polemik Platz haben. Dafür ist sie zu abgedichtet, zu abgeschlossen in ihren Argumenten. Es geht weniger um die Vertreterin der angegriffenen Position als um die Leserin und das eigene Publikum, um ihre Zustimmung wird gebuhlt. Polemik ist allenfalls ein wirksames Mittel der Propaganda, da sie Aufmerksamkeit erregt, wo andere Formen der Kritik untergehen würden.

Der Zorn der Polemik lässt kein Zaudern zu. Das kommt nicht von ungefähr, ist die Polemikerin doch um ihre Männlichkeit, ihre männliche Subjektposition bemüht. Die Polemik ist unerbittlich gegen die Polemikerin selbst. Sie gebietet totale Einheitlichkeit in jedem Gedanken, absolutes Identisch-Sein mit sich selbst und Sicherheit; Eigenschaften aus dem Bilderrepertoire der bürgerlichen männlichen Subjektivität. Doch sie bietet auch die Lust an der Provokation, an der intellektuellen Herausforderung und ist so der Leidenschaft des Denkens verwandt. Gerade die Lust des Denkens ist den Frauen noch nicht sehr lange ohne die Gefahr der Bestrafung gestattet. Ist es da nicht die Aufgabe der feministischen Kritik, sich alle intellektuellen Mittel zu eigen zu machen, vor allem, wenn man bedenkt, dass Aneignung immer auch Formung ist? Wie könnte feministische Polemik möglich sein?

In den theologischen Polemiken der katholischen Kirche wurde um das richtige Dogma gestritten. Sie traten dort auf, wo die Grenze zwischen Wissen und Glauben erreicht war. Die Gelehrten-Polemiken der Neuzeit, der Aufklärung, wurden im Namen der Toleranz gegen die Theologie geführt. Möglicherweise erklärt sich die Heftigkeit der Polemik daraus, dass sie implizit oder explizit Fragen der richtigen Weltanschauung verhandelt. Vielleicht sind Polemiken gerade auch dort angebracht, wo geglaubt wird, jeder und jede sei identisch mit ihrer Meinung, so als gehöre sie untrennbar zur Identität oder Kultur eines Menschen. Polemik provoziert nicht nur dazu, sich in einem Streit inhaltlich zu positionieren, sondern auch dazu, sich der Stellung zur eigenen Position klar zu werden. Polemik, die die Identität des Kritikers voraussetzt, ist zugleich identitätskritisch: Sie setzt voraus, dass niemand mit der eigenen politischen Position völlig identisch ist, sondern Überzeugungen aus freien Stücken und durch bessere Einsicht gewonnen werden. Zugleich bezieht sie ihre Schlagkraft aber gerade daraus, dass niemandem die eigene politische Position völlig äußerlich ist. Selbstverständlich hat was ich denke und sage mit mir zu tun.

Verführerisch ist es, die einmal als kritisches Instrument erkannte Polemik immer aufs Neue anzuwenden als sei sie an sich das richtige Mittel. Mit einem Blick in die Wirklichkeit muss man sich nicht lange aufhalten. Zusammen mit der Meinung, Polemik sei angesichts der Schlechtigkeit der Welt des Kritikers Mittel der Wahl, hat man gleich die richtigen Lehrsätze zur Verteidigung dieses Dogmas erhalten. Weder die spezifische Situation des Streits, noch die Besonderheit des Gegners, noch die Eigentümlichkeit des Gegenstands wecken bei diesen Formalisten Zweifel an jener unumstößlichen Wahrheit. Diesem Formalismus geht es viel weniger um „die Sache“, wie seine Verteidiger sich einreden, als um die Selbstversicherung der eigenen Identität. Es ist vielmehr die Haltung, Polemiker zu sein, die zählt. Je mehr das Kriegsgebrüll der feinen Ironie und der spitzen Satire entbehrt, desto deutlicher springt ins Auge, wie dürftig die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand ist und wie mangelhaft die Fähigkeit sich auf ihn einzulassen. Umso peinlicher mutet die unter Polemikern verbreitete routinierte Anwendung der Floskeln vom Vorrang des Objekts und der Erfahrungsfähigkeit des Subjekts an. Die so stark sich gerierende Polemik wird zur Position der Schwäche und Hilflosigkeit, zur Kapitulation vor der Wirklichkeit, zu der man nichts zu sagen hat. Man begreift die Wirklichkeit nicht und glaubt über die eigene Ohnmacht hinweg täuschen zu können durch die aggressive Anwendung der sprachlos gewordenen, ausgehöhlten Form der Polemik.

Heute ist die Polemik in der Wissenschaft ebenso unziemlich geworden wie die Frage nach der Weltanschauung. Die Technokratisierung des Wissens hat in der Sprache Spuren hinterlassen. Es geht um die Vollstreckung anwendbaren Wissens und die Frage nach der richtigen Weltanschauung wirkt unter den Technokraten, Vertreterinnen der Ideologie der Ideologielosigkeit, anstößig. Es gibt scheinbar nichts mehr, wofür der Krieg gekämpft werden könnte im sprechenderweise als Wissenschaftsbetrieb bezeichneten Apparat. Die Vorstellung leidenschaftsloser, scheinbar neutraler Pseudoobjektivität, die sich keine Rechenschaft abzulegen vermag über ihre Bedingungen und ihre Herkunft aus der Klassengesellschaft, tilgt die bewusste subjektive Involviertheit und die Interessiertheit der Polemik. Es ist der Anspruch der Polemik, allgemeingültige, normative Aussagen über die Gesellschaft zu treffen. So ist sie nicht nur für den Positivismus ein Ärgernis, sondern auch für dessen Gegenpart, den skeptischen Relativismus, der darauf beharrt, dass die Bedingtheit der Erkenntnis es verunmögliche, allgemeine Aussagen über Gesellschaft zu treffen. Die Polemik ist aus der Wissenschaft exiliert, da sie ungehörigerweise Allgemeinheit beansprucht und ihr Interesse vertritt.

Die Öffentlichkeit ist neutralisiert, der Streit individualisiert und ins Private gedrängt. Das ist Symptom einer Gesellschaft, die allen Ernstes glauben machen will, es gäbe keine Klassen mehr, schon gar keinen Krieg zwischen den Klassen.

Positivität ist verpflichtend in einer Gesellschaft, in der alle ohne Widerspruch mitmachen, sich managen, sich freudig zum Objekt von lebenslänglichem Lernen und Selbstverwurstung machen.

Die Sprache der Technokraten ist bemüht, den Selbstbetrug aufrechtzuerhalten, ihre Entsprechung findet sie in der Sprache des alltäglichen Selbstmanagements, des Coachings und der Werbung. Positivität ist verpflichtend in einer Gesellschaft, in der alle ohne Widerspruch mitmachen, sich managen, sich freudig zum Objekt von lebenslänglichem Lernen und Selbstverwurstung machen. Positiv denken macht glücklich und erfolgreich. Den Beweis dafür bekommst du durch den Verzehr eines light Joghurts. Wer glücklich ist, isst den Joghurt, der glücklich macht. Die Tautologie ist die entsprechende Denkform des Stillstands. Am deutlichsten zeigt sich die Lüge der Positivität in den Schreiben des Jobcenters, das „mit freundlichen Grüßen“ einen Job „vorschlagen darf“, den man nicht will und dessen Ablehnung mit einer Kürzung quittiert wird. Es soll keinen Konflikt geben, und wo kein Konflikt, da kein hasserfülltes Wort.

Der Zwang zur Positivität der Sprache hat nichts zu tun mit dem Eingedenken der Verletzlichkeit. Die Not zum Mitmachen vereinzelt und die technokratische Umgänglichkeit ist nur die absolute Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen. In Gesprächenist es völlig gleichgültig, was die andere denkt und sagt, jede darf ihre eigene Meinung haben und polemische Kritik wird als übergriffige Anmaßung und Zumutung verurteilt.

Polemik ist die Kritik der Vorstellung, jeder habe seine eigene Wahrheit, die zu ihm gehöre wie sein Leib.

Darin zeigt sich die Überflüssigkeit der Einzelnen, deren Gedanken wertlos sind. Polemik ist die Kritik der Vorstellung, jeder habe seine eigene Wahrheit, die zu ihm gehöre wie sein Leib. Die Gefälligkeit der Sprache verschleiert die Gewalt, auf der die Gesellschaft beruht. Das wusste die Frauenbewegung einmal und in ihrem Experimentieren mit der Sprache griff sie die versteinerte Herrschaft an, die sich in der Sprache Bahn bricht. Wenig ist davon heute übrig geblieben, wo nur mehr darauf geachtet wird, den Sprachgebrauch dienstwillig anzupassen. Roland Barthes bemerkte, dass das Wort Bevölkerung „die Vielzahl der Gruppenund Minderheiten entpolitisieren soll, die Individuen in einen neutralen, passiven Haufen zurückstoßen, der nur auf der Ebene eines politisch bewußtlosen Daseins Zugang zum bürgerlichen Pantheon hat“ und er fügte hinzu, dass dasselbe für das heute so beliebte Wort „die Betroffenen“ gelte.

Die Polemik ist unfreundlich und unerfreulich, wie es die Wirklichkeit ist. Darin liegen ihre Stärke und zugleich ihre Schwäche. In ihrer Negativität ist sie Protest und Angriff gegen die herrschende erbärmliche Positivität und Umgänglichkeit, Ausdruck der Wut und der Aggression derer, die so nicht leben wollen. Die Form der Polemik ist empörend für diese Gesellschaft. Sie spiegelt die Gewalt wider, aus der sie entspringt. Damit ist sie allerdings noch keine Manifestation gegen die Gewalt, sondern wendet diese selbst an, legitimerweise oder nicht. Da jede Gewalt den formt, der sie ausübt, ist das Schulterklopfen im eigenen Schützengraben die einzig erlaubte Zärtlichkeit des Polemikers, der sich für den Krieger der Wahrheit hält. Unmöglich, sich zart zu zeigen, sich in den anderen hineinzuversetzen, ihn als Verletzten zu erkennen und die Waffen zu strecken. In ihrer Wut gerät die Polemik in Gefahr, die Kraft von freundlichen Worten zu vergessen. Die fixe Vorstellung, alleine gegen die feindliche Umwelt ankämpfen zu müssen, ist, seit die Menschen ihre Verhältnisse kapitalistisch eingerichtet haben, immer auch eine ideologische gewesen. Gesten der Höflichkeit, Freundlichkeit und Wertschätzung können für kurze Momente die Isolation und die Feindlichkeit der Welt sprengen und die Möglichkeit eines solidarischen Zusammenlebens zeigen.

In der Linken ziehen Linke polemisch gegen andere Linke zu Felde. Das mag seinen Grund in der Nähe haben, die man zueinander verspürt, auch wenn sie geleugnet wird. Die Positionen, die von der eigenen so weit nicht entfernt sind, sind von Wichtigkeit und Interesse. Dass es die anderen doch besser wissen könnten, ruft die Enttäuschung hervor, die die Triebkraft solcher Polemiken ist. Angesichts der erschütternd defensiven gesellschaftlichen Lage, in der die Linken sich befinden, scheint es fatal, dass sie sich gerade gegenseitig mit Polemik überziehen. Niemand sonst interessiert sich dafür, wie gesellschaftliches Leben jenseits von Konkurrenz, Hass, Angst und Paranoia sein könnte. Da läge es doch nahe, sich nicht gegenseitig mit Dreck zu bewerfen, sondern sich zu vereinen. Doch die Linke, wie auch die Frauenbewegung, ist gescheitert an ihren Aufgaben und an sich selbst. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht ihrer zu allem bereiten Gegner ist es nur allzu angebracht, alle Gewissheiten auf den Prüfstand zu stellen. Indem der sogenannte Konsens gebrochen wird, können Ansichten aufs Neue bedacht werden. Aber muss die Kritik der verhärteten Meinungen wirklich im Gewand der Polemik auftreten? Warum sollte gerade die Polemik unangetastet bleiben? Hier setzen wieder alle Überlegungen zum Für und Wider der Polemik ein. Immerfort fallen mir gute Argumente ein für die Verwendung der Polemik, ebenso wie überzeugende Begründungen gegen ihren Gebrauch. Es ist ebenso plausibel, dass feministische Gesellschaftskritik gerade nicht die unnachgiebige Härte des sich selbst Gewalt antuenden Polemikers anwenden solle, wie es umgekehrt einleuchtend ist, dass sie sich aller Mittel der Kritik bemächtigen müsse.


Kat Lux ist Redakteurin der outside the box. Ihre Gedanken zum Für und Wider der Polemik sind beeinflusst von den Auseinandersetzungen in der Redaktion, die darüber geführt wurden, in welcher Sprache und in welchem Stil die Beiträge der outside the box verfasst sein sollen.

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