Der Wirkungskreis der Frau
Zum Lifestyle der modernen Frau in der Nazizeit
Mode, Make-Up, Reisen, Rezepte, Wohnen und Kultur – eben der „Wirkungskreis der Frau“. So lautete die Bezeichnung einer Rubrik des Magazins „die neue linie“, dem ersten Lifestyle – Magazin in Deutschland – Erscheinungsjahre 1929 - 1943. Aus der Entwicklung, die dieses Magazin während des Nationalsozialismus gemacht hat, lassen sich interessante Schlüsse über den Begriff Lifestyle und über die „Neue Frau“ ziehen, die ich hier verfolgen will. Das Magazin begleitete den Verfall eines emanzipatorischen Entwurfs von Frau-Sein in den dreißiger Jahren, ebenso wie die Umnutzung der Massenkultur für die Belange der Nazis und die universelle Anpassungsfähigkeit des Begriffes Lifestyle. Die „Neue Frau“, die Massenkultur und Lifestyle zeigten sich als die Hülle, die sie geworden waren, in dem Moment, als sie sich von progressiven politischen Inhalten lösten. Deutscher Lifestyle, so zeigt das Beispiel der neuen linie, war bereits 1929 ziemlich altbacken. Zwar waren die Vorbilder des großformatigen, verhältnismäßig teuren und hochwertigen Magazins die in den USA und Frankreich beliebten Magazine wie Vogue, Harper´s Bazaar und Life. Auch deren Zielgruppe war die moderne Frau. Gleichzeitig versuchte die Redaktion aber eine Abgrenzung gegenüber dem transatlantischen Vorbild. In einer Ausgabe von 1929 las sich dieses Programm so: „die neue linie will anstelle des internationalen Snobs – den deutschen Menschen. Deutschland keine Filiale Frankreichs und die Welt keine Filmattrappe à la Hollywood. Gegen Verflachung und Oberflächlichkeit.“1
Die „Neue Frau“, die Massenkultur und Lifestyle zeigten sich als die Hülle, die sie geworden waren, in dem Moment, als sie sich von progressiven politischen Inhalten lösten.
Deutsche Innerlichkeit und Wesenstiefe als Gegenzug zur amerikanischen Oberflächlichkeit und die Abgrenzung gegen Frankreich – altbekannte deutsche Ressentiments. Ironisch nur, wenn diese direkt neben Werbung für Hautcreme, Lippenstift und Tipps zur Verschönerung des Heimes abgedruckt wurden. Gerade das an die amerikanische Moderne angelehnte machte die neue linie in den ersten Jahren zu einem nicht ganz so staubigen, nicht ganz so rückständigen Magazin, wenn sie auch weit entfernt von emanzipatorischen Inhalten war. Verglichen jedoch mit anderen Publikationen des Leipziger Beyer-Verlages, dem Herausgeber, war die neue linie noch die am wenigsten scheußliche: beispielsweise gab es noch Hella, die Zeitschrift für „das sportlich interessierte Mädel, die Braut, die sich auf den zukünftigen Ehestand vorbereitet“2. Das im Magazin angelegte „deutsche“, das sich gegen den „Internationalen Snob“ und gegen die „Verflachung und Oberflächlichkeit“ richtete, war die schiefe Bahn, auf der die Redaktion einfach und unauffällig in die nationalsozialistische Medienkultur rutschen konnte. Das Interesse der Nazis an der Zeitschrift bestand darin, dass über sie ein gehobenes, gebildetes, sich als kulturelle Avantgarde verstehendes Publikum erreicht werden konnte, das durch reißerische Propaganda weniger zu beeindrucken war. Avantgardistisch war noch das Titelblatt der ersten Ausgabe. Die moderne, serifenlose Schrift, der Titel in kleinen Buchstaben, wurde aus dem von Herbert Bayer entworfenen Universalalphabet zusammengesetzt, das er schon 1926 am bauhaus eingeführt hatte – mit dem lakonischen Kommentar: „wir schreiben alles klein, denn wir sparen damit zeit.“ – ganz im Sinne der Devise „form follows function“. Herbert Bayer entwarf nach 1933 Plakate im Auftrag der NSDAP und übernahm nach der Emigration des bauhaus-Lehrers Moholy-Nagys zum Großteil die Gestaltung der neuen linie. Zur Emigration zwang Bayer dann aber, dass er unter die „entartete Kunst“ eingeordnet wurde – für manche ein Todesurteil, für die meisten das Ende ihres künstlerischen Wirkens in Deutschland. Sein Nachfolger in der Magazingestaltung, Kurt Kranz, war einer der letzten bauhaus-Diplomanten und gleichzeitig Sympathisant des Nationalsozialismus3. Mit den modernsten gestalterischen Techniken, der Fotocollage und eigener Typografie – natürlich klein und schlicht – geschaffen, stammte das erste Bild eindeutig von Laszlo Moholy-Nagy. Die abgebildete ranke, mondäne und wohlhabende Frau am Fenster versinnbildlichte genau den Ausblick der Frau auf ihre Zukunft, den die Zeitschrift ihr wegweisen sollte. Jedoch blickt die Frau am Fenster auf diesem ersten Titelbild bereits zu einem Zeitpunkt der Erosion dessen, was die Frauenbewegung erkämpft hatte, auf ihre Zukunft. Sie sieht auf einen „Wirkungskreis der Frau“, der kaum noch politisch ist. Das Wahlrecht für Frauen gab es zwar erst seit zehn Jahren, doch für manche der jüngeren Generation war damit der Kampf um Gleichberechtigung beendet. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit, die Frauen durch Berufstätigkeit möglich wurde, galt als erstritten. Diese Fehleinschätzung, die sich bis heute in ungleichen Löhnen niederschlägt (um nur die Spitze des Eisbergs zu erwähnen), war die Basis einer politischen Entleerung der „modernen Frau“, ihrer Ikonisierung.4 „Neu“ war das Schlagwort der zwanziger Jahre und bildete, in Bezug auf die Frau, eine Bildersprache aus. Kurzhaarig, Zigarette rauchend, in legerem Kleid oder Hosen, ein Automobil steuernd, sich mit gleichgesinnten Freundinnen an öffentlichen Plätzen amüsierend, sexuell selbstbestimmt, kulturell gebildet, künstlerisch aktiv – dieses Bild etablierte sich im Bildungsbürgertum der Weimarer Republik und ist durch seine eindrucksvolle Ikonographie zu einem „Schlagbild“ der Epoche geworden. Aber diese Avantgarde wendete sich gegen die Frauenbewegung, auf deren Kämpfen sie entstanden ist, und streifte die Schwere der politischen Forderungen ab. Emanzipatorische Bestrebungen wandelte die „Neue Frau“ um in das Streben nach einer kulturellen und modischen Lebensgestaltung – es wurde Lifestyle. Dieser bestand aus Tipps, wie man in Skihosen eine feminine Figur macht, welche Hüte die natürliche Gesichtsform am günstigsten betonen, welche Creme vor Hautalterung schützt. Zur kulturellen Erbauung dienten zudem Texte über die Kirchenbaukunst oder die Porträts der Italienischen Renaissance. All dies lieferte die neue linie. Ihr emanzipatorischer Gehalt des Anfangs bestand nur in ihrer Form, in ihren Bildern: diese standen jedoch schon fast nicht mehr für etwas, sondern nur noch für sich selber.
Faschistische Inhalte in mondänem Gewand
Seit 1933 ereignete sich im Aussehen der neuen linie eine interessante Transformation. Die Redaktion wurde gleichgeschaltet und kontrolliert, jedoch nicht vollständig ausgetauscht. Das etablierte Zeitungskonzept sollte subtil dem Transport von Ideologie dienen. In der Ausgabe vom Januar 1935 fand sich etwa ein Artikel des Bildhauers Joseph Thorak „Wie porträtiert man Staatsmänner?” – Büsten von Mussolini und Hitler in einer Reihe mit Hindenburg und Atatürk – direkt nach einem Artikel von Walter Gropius: „Was schützt den Bauherrn vor Überraschungen?” Joseph Thorak war einer der populärsten und erfolgreichsten Bildhauer im Nationalsozialismus und prägte mit seiner naturalistisch-völkischen Plastik das Bild der Nazi-Kunst. Die Gleichzeitigkeit des Nazi-Künstlers und des von den Nazis verfolgten Gropius spricht für sich – und der Artikel Thoraks illustriert hervorragend die vorangetriebene „Ästhetisierung der Politik“, die Walter Benjamin für den Nationalsozialismus konstatierte.5
Emanzipatorische Bestrebungen wandelte die „Neue Frau“ um in das Streben nach einer kulturellen und modischen Lebensgestaltung – es wurde Lifestyle.
Die Form des Layouts und der große Anteil von Werbeanzeigen, die Struktur der Rubriken blieben unverändert – jedoch wurde der Inhalt sukzessive von Nazi-Ideologie ersetzt. Berichte über die Olympischen Spiele zeigten, eingepasst in den Lifestyle, moderne, schicke Sportlerinnen, die den Leserinnen der neuen linie als Vorbilder dienen sollten. Die Hakenkreuzfahne wurde immer öfter Element des Titelbildes – die bauhaus-Typographie blieb jedoch bestehen, scheinbar unberührt vom Verbot des bauhaus. So fand sich auf den Covern der neuen linie eine Kombination von bauhaus-Typographie und Nazi-Symbolik. Während manche bauhaus-Künstler emigrierten und andere sich im Gestalten moderner Plakate für nationalsozialistische Veranstaltungen versuchten, einen Platz in der Bewegung zu sichern, ging eine dritte Gruppe in die Gebrauchsgrafik. Ein Werbestudio wurde zum Auffangbecken für jene, für die das Leben im nationalsozialistischen Deutschland zwar nicht unerträglich, aber schwieriger geworden war. Dieses Werbestudio erhielt den größten Teil der Gestaltungsaufträge der Werbekunden der neuen linie. Des Weiteren war die bauhaus-Bewegung, wie bereits angedeutet, im Auftrieb der modernen deutschen Massenkultur mit den Momenten von Normierung, Standardisierung und Verbreitung zu verorten. Im Gegensatz zu moderner Kunst war moderne Massenkultur für die Nazi-Ideologen von elementarem Nutzen. Die Werbeseiten konterkarierten bis 1932 an manchen Stellen jedoch den Gehalt der Artikel. Unbeabsichtigt wurde das Bild einer Frau als Fahrerin eines Automobils, ihr Gatte (oder gar ein Bekannter?) als Beifahrer, zu einem subtilen Einsprengsel über die Möglichkeiten der Moderne. Wie subtil eine solche Werbung tatsächlich ist, wird deutlich, als seit 1932 solche Bilder nicht mehr zu sehen waren. Auch die burschikose Kurzhaarfrisur, die elegante Raucherin und die mit Freundinnen gemeinsam lachende Werbeträgerin verschwanden: nationalsozialistische Inhalte übernahmen sukzessive die Zeitschrift, und diese betrafen das Bild der Frau. Dieses Manöver wurde zum puren Zynismus: Reiseberichte, die bis 1933 politisch neutral waren, wurden zu romantisierenden Darstellungen der jüngst von den Nazis eroberten Regionen. Da wurde die Kultur der Einheimischen dargestellt und oft durch Einzelporträts ansässiger „Volksdeutscher“ deren Fleiß, Bodenständigkeit, Gemeinschaftsverbundenheit und Traditionsliebe erklärt. Leserinnen lernten die porträtierten Offiziere eines Fliegerhorstes kennen, abgelichtet und inszeniert wie die harmlosen Mitglieder einer Boyband, samt Homestory und familiärem Background. Länderausgaben widmeten sich faschistischen Partnerstaaten: Japan, Italien, Rumänien, Spanien. Italien wurde sogar zwei Mal mit einer eigenen Ausgabe bedacht, in der sich alle Lifestyle-Aspekte wiederfanden: die italienische Kunst im Kulturteil, Mode, Rezepte, Alltag im Bereich Haushalt, die Strände der Adria im Reiseteil und ein Artikel von Mussolini persönlich – ein künstlerischer Essay über die Freuden seines Geigenspiels. Die faschistische Jugend Italiens, mitsamt ihrer gepflegten Frisuren und ihrer strammen Uniformierung, wurde wie in einer Foto-Story begleitet. Die Fotografie ist dabei, ebenso wie Layout und Typographie, die modernste ihrer Zeit. Der in seiner Anpassungsfähigkeit vorgezeichnete Untergang des Blattes wird mit dieser Botschaft an die Leserinnen deutlich: „Wichtiger als das gesellige öffentliche Leben ist heute die Besinnung auf das Haus, die Familie, die Freunde geworden. Sie sind die einzige Kraftquelle der Nation (…). Hier ist die brennende Flamme des Herds, für die der Soldat an der Front kämpft und die ihm den Einsatz des Lebens wert erscheinen lässt.“6 Nicht einmal mehr oberflächliche Geselligkeit bot das Magazin – der deutsche Lifestyle zeigte sein wahres, düsteres Gesicht. 1943 wurde die neue linie wegen Papiermangels eingestellt.
Die „Neue Frau“: Zielgruppe der Propaganda
Die neue linie beweist, dass der Nationalsozialismus keine antikapitalistische Bewegung war. Durch die Anpassung einer Zeitschrift an Nazi-Inhalte bzw. von Nazi-Inhalten an die etablierte Form einer beliebten Zeitschrift, wurde zielgruppenorientierte Propaganda geschaffen. Die Zielgruppe war die moderne Frau, die diesen Inhalten nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Das Bild der modernen Frau war zur oberflächlichen Hülle geworden. Jedoch blieb nicht einmal diese erhalten, hätte sie doch an frühere Emanzipations- und Widerstandsbewegungen erinnert. Die moderne Frau, wie sie im Zuge des Bildes vom Neuen Menschen der 20er Jahre dargestellt wurde, verwandelte sich unter dem Nationalsozialismus zurück. Hosen, Autos und Zigaretten verschwanden größtenteils aus den Werbebildern. Flechtzöpfe verdrängten Kurzhaarfrisuren. Auch die nun mehr entleerte Hülle der „Neuen Frau“ verschwand so letztlich aus dem Heft.
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Aus: die neue linie, Leipzig 1929. ↩
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Zitiert nach Rössler, Patrick: Das Bauhaus am Kiosk. Die neue linie 1929 -1943. 2007. S. 16. ↩
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Die wechselhafte Existenz des bauhaus im Nationalsozialismus wurde dargestellt von Nerdinger, Winfried: Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus. Zwischen Anbiederung und Verfolgung. München 1993. ↩
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Sykora, Katharina: Die Neue Frau. Herausforderung für die Bildmedien der Zwanziger Jahre. Marburg 1993. ↩
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Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Aus Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften, Bd. I, S. 508. ↩
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die neue linie. Leipzig, Februar 1940. ↩