Auszüge einer Kulturgeschichte der Gebärmutter
Über Jahrtausende hinweg sind Vorstellungen der Gebärmutter (lat.: Uterus1) als definierendes Merkmal des weiblichen Körpers durch Mythen, religiösen Glauben, medizinisch-wissenschaftliche Mutmaßungen und Vorurteile geprägt. Obwohl sie teils absurd anmuten und manchmal auf den ersten Blick eher zum Lachen anregen, haben und hatten sie einen großen Einfluss auf die heutige Sicht der Frau, ihre Rollenbilder und zugeschriebenen Charaktereigenschaften sowie die Erklärungsansätze und Therapien psychischer und physischer Beschwerden. Im Folgenden bewege ich mich durch die Kulturgeschichte dieses Organs, beginnend im Ersten Testament mit der theologisch-anthropologischen Sichtweise auf den Uterus und den Körper der Frau, über die Antike und die platonischen Vorstellungen weiblicher Identität, bis in die Geschichte der Hysterie in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Als vornehmliche Literaturquelle dient mir dazu die Dissertation von Gunhild Buse2, die sich aus der Sicht der feministisch-theologischen Medizinethik mit dem Eingriff der Hysterektomie3 auseinandersetzt. Teil dieser ethischen Analyse medizinischer Praxis ist ein Kapitel zu kulturgeschichtlichen Aspekten der Gebärmutter, welches für die folgenden Ausführungen große Relevanz hat.
Im Ersten Testament ist neben dem Herzen die Gebärmutter das am häufigsten erwähnte innere Organ eines Menschen. Der „Schoß der Frau“4 gehört nach jüdischem Glauben Gott, denn er hat ihn erschaffen und schafft auch den Menschen im Mutterleib. Deshalb ist sowohl die Gebärmutter - sinnbildlich auch als ‘Schoß der Erde’ bezeichnet - ein Zeichen des Segens, ebenso die Brüste einer Frau, die das Kind ernähren. Die Gebärmutter ist der Ort, an dem Gott Leben schafft: Er öffnet den Schoss einer Frau für die Schwangerschaft, weshalb das Zeugen und Gebären eines Kindes als Ausdruck der göttlichen Schöpfungskraft gelten. Nicht zuletzt deswegen kommt es zur Glorifizierung und entsprechend überschwänglich positiven Konnotation der Reproduktionsorgane der Frau.
Bleibt eine Frau lange Zeit kinderlos oder hat keinen Sex, durchstreift das Organ den ganzen Körper und erzeugt dadurch Krankheiten, bis die Frau endlich ihrer ureigenen Berufung als Mutter nachgeht.
Weiterhin ist das alttestamentarische Denken durch die Vorstellung gekennzeichnet, dass den inneren Organen bestimmte Gefühle zugeordnet werden. Die Leber beispielsweise galt sowohl als Sitz des Schmerzes als auch der Freude und das Herz als das Zentrum des Fühlens und Denkens. Dem Uterus fielen die Emotionen Barmherzigkeit und Mitgefühl zu. Es lässt sich vermuten, dass das hebräische Wort für Mitgefühl oder Barmherzigkeit ‘rachamim’ vom Wort ‘rächäm’ abgeleitet wurde, was als Gebärmutter oder Mutterschoß übersetzt werden kann.5 Die biologistische Betrachtung so genannter weiblicher Tugenden als geschlechtsspezifische Charaktereigenschaften könnte dort ihre Ursprünge haben. Jedoch gilt Barmherzigkeit in der Bibel generell als Tugend, deren Erstreben für alle Menschen gleichermaßen bedeutsam ist.
In der Antike wurde die Gebärmutter weit weniger wertgeschätzt. Auch begann hier eine weitreichende Pathologisierung dieses Organs als „Ursache tausendfachen Übels“.6 Ähnlich wie schon die alten Ägypter gingen die Griechen davon aus, dass die Gebärmutter im Körper einer Frau umherwandern könne. Es existierte noch kein anatomisches Wissen über den Halteapparat aus Bindegewebsstrukturen und Beckenbodenmuskulatur in dem sie sich befindet und der eine Lageveränderung in diesem Ausmaß unmöglich macht. Durch ihre Bewegung, so wurde vermutet, könne sie je nach Ort, an dem sie sich aufhielt, verschiedenste Krankheitssymptome hervorrufen: Sehleiden, Schwerhörigkeit, Zahnbeschwerden, Gliederschmerzen etc. Eine Erklärung für die ‘Wanderlust’ lieferte Plato, der die Gebärmutter als ein Tier beschrieb, welches Kinder benötige, um besänftigt zu werden. Bleibt eine Frau lange Zeit kinderlos oder hat keinen Sex, durchstreift das Organ den ganzen Körper und erzeugt dadurch Krankheiten, bis die Frau endlich ihrer ureigenen Berufung als Mutter nachgeht. Für Plato war die Frau auf den biologischen Fortpflanzungsprozess festgelegt - Schwangerschaft und Geburt galten ihm als identitätsstiftende Momente weiblichen Lebens.7 Im Gegensatz zum Mann sei die Frau nicht in der Lage, sich gegen ihren weiblichen Urtrieb zu Sex und Gebären zu wehren, weshalb beim Ausbleiben der Mutterschaft sich über kurz oder lang eine Krise in Form physischer und/oder psychischer Leiden einstellt.
Diesen Vorstellungen entsprechend sahen auch die damals angewendeten Therapieverfahren bei Frauen aus. Hauptziel war es, den Uterus wieder an seinen anatomisch normalen Ursprungsort zu locken. Ein vergleichsweise harmloses Verfahren stellte die sogenannte Geruchstherapie dar. Bei dieser mussten die Frauen gleichzeitig an übel riechenden Substanzen schnuppern und auf einem Topf mit gut riechenden Bädern sitzen. Man ging davon aus, dass die Gebärmutter geruchsempfindlich sei und sich zu den wohl riechenden Substanzen hinbewegen würde. Eine andere Methode waren lokale Einreibungen je nach mutmaßlichem Aufenthaltsort der Gebärmutter.
Die sicherste Möglichkeit, die durch den wandernden Uterus hervorgerufenen Krankheiten zu heilen, war jedoch die (potentielle) Schwangerschaft. Deshalb wurde vor allem Frauen, die bisher über keine sexuelle Erfahrung verfügten, Geschlechtsverkehr als heilendes Therapieverfahren nahegelegt.
Die Vorstellung der wandernden Gebärmutter hielt sich noch weit über die Antike hinaus. Zwar ging man im Mittelalter und in der Neuzeit nicht mehr davon aus, dass sie im ganzen Körper umherstreifen könne, jedoch wurde erklärt, dass der Uterus einer Kröte ähnele - welche nach damaligem Glauben als mystisches Tier mit Zauberkräften galt. Demnach könne sich die Gebärmutter ebenso wie das Tier aufblasen und vergrößern und so verschiedenste Unterleibsbeschwerden bis hin zu Koliken auslösen. Im Körper des Mannes wurde im Mittelalter ein ähnliches Organ vermutet, der sogenannte Bärvater. Auch dieser sollte Beschwerden in Bauch und Unterleib hervorrufen.
Hippokrates war der erste, der in der Wanderung der Gebärmutter auch die Ursache der Hysterie als, wie man damals vermutete, typisch weibliches Krankheitsleiden sah.
Der Begriff Hysterie stammt von dem griechischen Wort hystera, mit welchem der Uterus bezeichnet wurde. Über Jahrhunderte hinweg gingen vorrangig männliche Wissenschaftler davon aus, dass es sich bei der Hysterie um eine Krankheit handele, die ausschließlich Frauen betreffe und ursächlich mit der weiblichen Sexualität zu tun habe.
Hippokrates erklärte, die Gebärmutter steige aufgrund eines Feuchtigkeitsmangels, der wiederum durch mangelnden Geschlechtsverkehr hervorgerufen wurde, aus dem Unterleib auf und blockiere die Atemwege. Dadurch käme es zu den Symptomen, die damals als typisch für die Hysterie galten: Blindheit, Taubheit, Gefühllosigkeit, temporäre Lähmungen, Erstickungsanfälle, Ohnmacht etc. Seine Therapiekonzepte sahen oftmals Eheschließungen und Schwangerschaft vor. Der Mythos eines sexuell unbefriedigten Organs hielt sich in der Ätiologie und Therapie der Hysterie für lange Zeit.
Betroffen von der Hysterie waren meist Frauen zwischen 20 und 40 Jahren. Unverheiratete Frauen und Jungfrauen galten aufgrund ihres mangelnden Sexuallebens als besonders gefährdet. In der Neuzeit erweiterte sich die ätiologische8 Sichtweise um das Bild der hysterischen Frau, die ihre Sexualität freizügig durch außerehelichen Sex, Masturbation, Prostitution auslebt. Hysterikerinnen galten als rücksichtslos, gefühlskalt, narzisstisch und egoistisch. Die Behandlung der Krankheit war entsprechend zutiefst repressiv und frauenverachtend: Einsperren, körperliche Züchtigung und Bestrafung z.B. durch den Ehemann wurden zu Therapiezwecken empfohlen. Einen Gewaltakt, der seines gleichen sucht, stellte jedoch die operative Entfernung der Klitoris und/oder der Eierstöcke dar, was den Zweck hatte, den Geschlechtstrieb der Frauen zu unterbinden.
In der Gegenwart wird der Begriff der Hysterie aufgrund seiner Geschichte und seiner geschlechtsspezifischen Bindung nicht mehr verwendet. Als „Nachfolger“ der Krankheit bzw. deren Bezeichnung gilt die für alle Geschlechter geltende dissoziative Störung und auch Konversionsstörung und die histrionische Persönlichkeitsstörung.9 Diese Klassifizierungen fassen Symptome zusammen, die den „hysterischen“ Symptomen ähneln10: Dissoziative Störungen umfassen u.a. Erinnerungsverlust, seelisch-körperliches Erstarren, Sprachverlust, Pseudo-Krampfanfälle, Gehstörungen und Lähmungserscheinungen. Die histronische Persönlichkeitsstörung11 soll gekennzeichnet sein durch übertriebene Emotionalität, einem übermäßigen Bedürfnis nach Anerkennung, Aufmerksamkeit und Bestätigung, einer geringen Frustrationstoleranz, übermäßiges Beschäftigen mit der eigenen Attraktivität usw.
Große Gefahren bestehen hier nach wie vor in der meist fremdbestimmten Pathologisierung von Charakterzügen bzw. psychischen Vorgängen und der Gradwanderung zwischen dem, was im medizinischen und gesamtgesellschaftlichen Diskurs als „normal“ gilt und dem, was davon abweicht.
In der Gegenwart steht in Bezug auf die Gebärmutter die Entfernung derselben in einer medizinisch-ethischen Diskussion. Buse spricht davon, dass heute bei Frauen, die keinen Kinderwunsch mehr hegen, oftmals aus Bagatellgründen eine Hysterektomie vorgenommen wird. Kulturgeschichtlich gesehen steht das in der Tradition der Reduzierung des Uterus auf rein reproduktive Zwecke, wobei die Funktionen des Organs nachgewiesenermaßen durchaus weitreichender sind: So hat es zum Beispiel eine große Bedeutung für die Stabilität des Beckenbodens und als Sexualorgan.
Und auch wenn im medizinisch-psychologischen Diskurs eine kritische Haltung zum Zusammenhang von Geschlecht und psychischem Befinden eingenommen wurde und wird, schließt das die erschreckend alltägliche Reduzierung von Frauen auf ihre reproduktiven Fähigkeiten bzw. Reproduktionsorgane nicht aus: Die „Natürlichkeit“ der Mutterliebe, die „instinktive“ Empathie einer Frau, das Ulken über das Ticken der „biologische Uhr“ bei Frauen ohne eigene Kinder oder auch das allseits beliebte: „Schlechte Laune? Hast wohl deine Tage, wa?“
Literatur
- Buse, Gunhild: Als hätte ich ein Schatzkästchen verloren. Hysterektomie aus der Perspektive einer feministisch-theologischen Medizinethik. Münster 2003.
- Enzenhofer, Bettina: Krankheit Frau. In: An.schläge. Das feministische Maganzin, Juni 2006.
- Fischer-Homberger, Esther: Krankheit Frau. Zur Geschichte der Einbildungen. Darmstadt 1984
- Schaps, Regina: Hysterie und Weiblichkeit. Wissenschaftsmythen über die Frau. Frankfurt/ Main; New York 1992.
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Bezeichnend für die männliche Sicht auf den weiblichen Körper ist hier das maskuline Genus der Bezeichnung ‘Uterus’ für einen Teil der weiblichen Geschlechtsorgane. ↩
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Buse, Gundhild: Als hätte ich ein Schatzkästchen verloren. Hysterektomie aus der Perspektive einer feministisch- theologischen Medizinethik. Münster 2003. ↩
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Hysterektomie = operative Entfernung der Gebärmutter ↩
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Buse: S. 130. ↩
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Zur Etymologie siehe u.a. Buse: S. 131. ↩
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Buse: S. 136. ↩
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Zu Platons Schrift Timaios siehe Schaps: S. 22f. ↩
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ätiologisch: ursächlich ↩
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Siehe: ICD-10 (International Classification of Diseases) der WHO und DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) der American Psychiatric Association. ↩
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Auch hier kann nicht von einer grundlegenden Problematisierung der Klassifikation von Symptomen zu Krankheits- bzw. Störungsbildern abgewichen werden. ↩
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von lat. histrio: Schauspieler, Gaukler ↩