Gebären
Dazu soll ich also aus Vätersicht etwas schreiben. Na gut, ganz abwegig ist das nun wieder auch nicht, ich war ja damals dabei. Und hier ist wahrscheinlich auch schon der Grund, warum dieses Thema nicht so leicht in Worte zu fassen ist. Obwohl es doch eher um eine gesellschaftliche Dimension des Ganzen geht, fällt mir als erstes die ganz konkrete Geburt ein. Meine Sicht auf dieses Schauspiel, Bilder, die so beeindruckend waren, dass sie sich erstmal nicht eingeordnet haben. Eine unreflektierte Direktansicht. Nun gut, das Private ist politisch, also immer voran: Die Geburt fand im Bauwagen statt, zum Teil, weil wir damals wenig Vertrauen in das Salzwedeler Krankenhaus hatten (zu Recht, wie andere Geschichten bewiesen). Zum Teil, weil, warum eigentlich nicht da, wo mensch sich wohl fühlt. Das hieß also, dass weder bei den Voruntersuchungen noch bei der Geburt selbst ein männliches Hochstatus-Kittelwesen anwesend war, sondern eine Hebamme. Nachdem wir sie angerufen hatten, dass es losgeht, kam sie mit ihrem kleinen Auto aus dem Wendland rübergejuckelt. Während es nur langsam voran ging, schlief sie in einer Ecke des Bauwagens im Sessel und schnarchte. Irgendwann in der Nacht mischte sie sich dann doch mal ein und meinte, das mit dem Buckelwalgesang wäre ja ganz schön, aber jetzt könne es auch mal schnellere Musik geben und die Sache voran kommen. Also tanzten wir zu funky music durch die Gegend, sie tanzte mit, ein lustiger Anblick, der im Krankenhaus sicher eher auf Unverständnis gestoßen wäre. Aber es half den Muttermundzentimetern … naja, wie das technisch abläuft, das kann mensch ja woanders nachlesen. In meiner Erinnerung bin ich immer noch beeindruckt davon, was für eine Kraft und Entschlossenheit in dieser Situation zu spüren war. Mein Job war es, immer mal festzuhalten und angenehme Stimmung zu verbreiten. Das war eine ganz schöne Anstrengung und ich konnte trotzdem fast nichts dazu beitragen, das Ding mal eben zu wuppen. Technisch so etwa wie ein Roadie bei einer Hardcoreband, vorher und hinterher viel Geschleppe, aber beim Konzert selbst dann nur neben der Bühne stehend mit offenem Mund. Emotional mit auf den Höhen und Tiefen der Wellen und hinterher auch total erschöpft glücklich.
Dem Leben Aufmerksamkeit schenken und nicht nur der eigenen DNA.
Als der kleine außerirdische lila Wurm mit verbeultem Kopf dann da war, war es für mich natürlich das schönste Wesen auf der ganzen Welt. Und natürlich ist hier wörtlich gemeint. Die Lippenspalte war nur ein weiteres Schönheitsmerkmal. Wir blieben drei Tage fast komplett im Bauwagen, das Catering lief perfekt, das war mal ein Punkt, an dem das Konzept Bauwagenkommune so richtig Sinn machte. Die Hebamme schaute immer mal rein, und erst als es um die Anmeldung beim Amt ging, bekam das Ganze wieder eine gesellschaftliche Dimension. Später dann der übliche Trennungshorror mit Sorgerechtsdebatten, aber das gehört hier nicht hin. Was daran nun queer sein kann? Keine Ahnung. So etwas wie eine Gebärmutter oder die Möglichkeit zu Stillen sind doch nicht ganz unwichtige Aspekte bei diesem Thema. Um es mal dezent zu formulieren. Und ich kann mich noch gut an meinen Neid erinnern, das nicht zu können. Eigentlich bin ich der Meinung, dass es genügend kleine Kinder gibt, die sich freuen, wenn sich wer mit ihrer Aufzucht beschäftigt, es müssen nun wirklich nicht alle so einen Selbstverwirklichungstrip fahren, indem sie ihr Erbgut reproduzieren. Zudem sind Geburten auch gefährlich, Kaiserschnitte eine große OP, die Schwangerschaft eine körperliche und hormonelle Plackerei (jedenfalls viele, was ich so von außen mitbekomme). Kleinsüssknuddelig bleiben die Wesen auch nicht lange. Also wäre die Entscheidung für ein Nichtkinderkriegen wirklich die rationalere und sogar oft liebevollere. Lieber die vorhandenen Kinder mit Aufmerksamkeit beglücken, Modelle stricken, die jenseits von Kleinfamilie oder Alleinerziehend funktionieren, jenseits vorhandener Normen. Dem Leben Aufmerksamkeit schenken und nicht nur der eigenen DNA. Andererseits möchte ich diesen Moment der Intensität auch nicht missen. Da, wo die Natur sich kurz in ihrer Direktheit gezeigt hat, keinerlei Diskurs im Raum, nur diese Kraft, und ich durfte ein Teil davon sein. Natur, Natur, was redest du da, diese Kategorie ist doch immer eine gesellschaftliche! Auch klar. Stimmt ja. So, wo wird jetzt das Private politisch? Die Möglichkeiten, bei der Kindererziehung einen nicht geschlechternormierenden Ansatz zu fahren, sind ja eher gering. Der erste Satz im Dorf, als ich mit dem Baby spazieren ging, kam von einer älteren Frau. Beim Blick auf die Lippenspalte: oh, ist es wenigstens ein Junge? Dann kommen die Verwandten, Bekannten, die erste Frage ist die nach dem Geschlecht, die Geschenke dementsprechend rosa und Prinzessin. Das Kind merkt, dass alle das toll finden und spielt gerne mit den passenden Sachen und siehe da, haben wir es nicht gesagt, so ist das eben bei Mädchen. Fruchtlose Debatten über gesellschaftliche Prägung, die ja auch nur interessant sind für Leute, die Gesellschaft verändern wollen. Wer kein Bedürfnis nach Veränderung hat oder keinen Weg dahin sieht, für den ist eine gesellschaftliche Vorgabe eben quasi natürlich und Opposition dagegen nur mühsam und sinnlos und im Endeffekt herzlos. Warum nicht das tun, was naheliegt? Siehst du, mit deinen Autos spielt sie eben nicht so gerne. An diesem Punkt einen gesellschaftlichen Kampf aufzunehmen, bedeutete auch immer, das Verhältnis zum Kind politisch aufzuladen, anstrengend. Ich habe mich dabei dann irgendwann aufs Texten im Hintergrund beschränkt und ihr gezeigt, wie das mit dem Kämpfen geht für die Notfälle. Dieser Anspruch an ein Kind, die Erwartungen eines verrückten queeren Lebensmodells erfüllen zu wollen, bedeutet ja so etwas wie einen Freak zu produzieren in einer Welt, die damit nicht klar kommt. Inzwischen leben wir in einem Projekt, das doch irgendwie mit dem Label „queer“ sympathisiert, also ein Umfeld, in dem ich nicht mehr für meine Haltung kämpfen muss. Aber in der Realität sind „natürlich“ die Peergroup an der Schule, Bravo, SchülerVZ und die aktuellen Kinofilme viel einflussreicher als einmal die Woche eine langweilige Kneipe unten im Haus, wo die Erwachsenen sich in ihrer queeren Community auf Kontaktsuche begeben, unlesbare Faltmagazine diskutieren und dabei rauchen wie die Blöden…