Produktives Gebären: Elemente einer feministischen Ökonomiekritik
Haus-und Pflegearbeiten, erst recht aber Gebären und Stillen gelten nicht als „produktiv“. Dies hatte sowohl in einer orthodoxen marxistischen Lesart, als auch im bürgerlichen Alltagsverständnis ähnliche Bewertungen und Ausblendungen dieser gesellschaftlichen Zusammenhänge zur Folge.
Als produktive Arbeit gilt bei Karl Marx nur solche, die mehrwertschaffend ist. Nicht entlohnte Tätigkeiten fallen deshalb grundsätzlich nicht in diese Kategorie. Obwohl Marx betonte, dass es ein „Pech“ sei, produktiver Arbeiter zu sein, würdigte er gleichzeitig Arbeitsteilung und Produktivitätssteigerung des industriellen Kapitalismus als emanzipatives Potential für den Kommunismus. Diese Ambivalenz führte in der gesamten marxistischen Theorie zur Abwertung bzw. Ausblendung von nicht industrialisierten oder nicht lohnförmig vermittelten Tätigkeiten. Zu den zentralen ökonomiekritischen Erkenntnissen und Forderungen des Feminismus 1968 ff gehörte es, die generative Reproduktion und die Reproduktionsarbeit als funktionale Bestandteile kapitalistischer Gesellschaft sichtbar zu machen, die im Marxismus und im bürgerlichen Alltagsverständnis gleichermaßen nicht erfasst wurden. Damit wurde auch die bis dahin kaum in Frage gestellte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern politisiert. Auf der Ebene einer feministischen Ökonomiekritik ging es aber auch darum, darzulegen, dass der Kapitalismus keineswegs die Voraussetzungen für Akkumulation selbst warenförmig erschafft, sondern die Reproduktion der Ware Arbeitskraft weitgehend auf unbezahlter Arbeit und staatlich subventionierten Leistungen basiert. Feministinnen in den 1970-1980er Jahren haben deshalb versucht, die gesellschaftliche Abwertung reproduktiver Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Logik des Kapitalismus zu thematisieren. Bei fast allen feministischen Theorien dieser Zeit findet sich implizit oder explizit der Gedanke, dass der Kapitalismus auf der zumeist unbezahlten Reproduktionsarbeit von Frauen beruht oder von dieser abhängig ist. Sehr unterschiedlich waren jedoch die Antworten darauf, wie der Zusammenhang von Lohnarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit begrifflich zu erfassen und zu politisieren wäre.
Bei fast allen feministischen Theorien dieser Zeit findet sich implizit oder explizit der Gedanke, dass der Kapitalismus auf der zumeist unbezahlten Reproduktionsarbeit von Frauen beruht oder von dieser abhängig ist.
Auffällig ist für viele dieser Ansätze die starke Orientierung an Marxscher Theorie und das Bedürfnis, diese Kritik der politischen Ökonomie mit einer feministischen Position zusammen zu denken. Andererseits ging es im Verlauf dieser feministischen Diskussionen immer stärker auch darum, sich nicht einfach in die bestehende Theorie einzuschreiben bzw. diese zu ergänzen, sondern das politische Subjekt, die Klassentheorie und den Begriff der Arbeit bei Marx infrage zu stellen und neue Antworten darauf zu entwickeln. Eine dieser Antworten war die strategische Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“, mit der eine Anerkennung für jene Arbeit eingefordert wurde, die auch Gewerkschaften/ Genossen/Ehemänner nicht wahrnahmen. Einige Positionen gingen jedoch darüber hinaus, indem sie den Produktivitätsbegriff auf Hausarbeit und selbst auf das scheinbar kreatürliche Gebären auszuweiten versuchten.
Ich möchte im Folgenden drei politische Konzepte miteinander vergleichen, die sich mit generativer Reproduktion und Reproduktionsarbeit auseinandersetzen und Marx als gemeinsamen, wenn auch teilweise negativen Bezugspunkt haben. Alle Positionen scheinen mir eine Auseinandersetzung unter diesem Gesichtspunkt wert, weil sie das Anliegen einer Kritik der politischen Ökonomie des Kapitalismus verfolgen. Insofern enthalten sie das Versprechen, Feminismus mit einer materialistischen Kritik am Kapitalismus zu verknüpfen, ein Versprechen, an dem ich sie messen möchte. In den folgenden Abschnitten zu Differenzfeminismus und Postoperaismus in Empire (Michael Hardt/Toni Negri) will ich versuchen darzustellen, warum diese Kritiken des männlich industriellen Lohnarbeiter-Subjektes in eine (neue) Ontologisierung und Dichotomisierung von Herrschaftsformen münden und damit ihren eigenen Ausgangspunkt untergraben. Im letzten Teil soll in der Diskussion der Tendenz des „Reproduktionsmaschinenkommunismus“ hingegen eine aktuelle Fortschreibung der langen Traditionslinie feministischer Technikbegeisterung problematisiert werden, wie sie z.B. bei Shulamith Firestone und Simone de Beauvoir zu finden ist.
In Deutschland waren die ökonomiekritischen Feministinnen vor allem die sogenannten Differenzfeministinnen, die auch als Bielefelderinnen bekannt geworden sind.1 Im Zentrum der differenzfeministischen Thesen stand zu Beginn die Auseinandersetzung mit dem Begriff der produktiven Arbeit. Differenz bezeichnete in den frühen Texten die Abkehr von einer dichotomischen Begrifflichkeit, die ein Spiegelbild der bürgerlichen Gesellschaft, ihrer sexualisierten Arbeitsteilung, Subjekte und Sphären wäre, und nicht deren Kritik. Differenz bedeutete in diesem Sinne keine Entgegensetzung von zwei komplementären Polen wie männlich und weiblich, sondern Vielgestaltigkeit oder Heterogenität. Der Begriff der Differenz hatte zu Beginn einen analytischen Charakter, der sich gegen die auf bezahlte Arbeit fokussierte Eindimensionalität des Ausbeutungsbegriffes richtete. Hier zeigt sich eine Parallele zur Postmoderne, die eine Absage an das männliche autonome Subjekt, und damit auch an die hegelschen Begrifflichkeit von Totalität und Identität enthielt, auf der auch die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie basiert. Zunehmend wurde dieser Begriff, der auf die Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit von Ausbeutungsformen und Subjektivitäten hingewiesen hatte, allerdings zu einem negativen Abziehbild des ursprünglich Kritisierten. Frauen wurden zum Inbegriff Gebrauchswert-orientierter und damit per se guter Lebensformen stilisiert, die dem industriellen, akkumulativen Prinzip und seiner Verkörperung im männlichen Lohnarbeiter-Subjekt dichotomisch entgegengesetzt wurden. Damit geht eine technikkritische bis technikfeindliche Einstellung einher, die heute unter dem Namen Ökofeminismus ihre Fortsetzung gefunden hat. Paradoxerweise entwickelte sich der so genannte Differenzfeminismus also aus einer Fragestellung, die als Ausgangspunkt der Postmoderne bezeichnet werden könnte. Andererseits können die Differenzfeministinnen geradezu als die Erzfeindinnen der Postmoderne gelten, die allen -ismen und Ontologisierungen skeptisch gegenüberstanden. Der zunehmend zu einem Schimpfwort verkommene Begriff Feminismus wurde häufig schlagwortartig mit Technikkritik und Esoterik in Verbindung gebracht und damit als Ganzes diskreditiert. Diese entgegengesetzten Tendenzen beruhen nicht nur auf einer unterschiedlichen Interpretation, sondern vielmehr auf einer tatsächlichen Entwicklung und damit Veränderung des differenzfeministischen Theoriegebäudes. So wurden auch die Bielefelderinnen seit den 1990er Jahren nicht mehr in der Linken diskutiert, obwohl sie ganz eindeutig zunächst dort ihre theoretischen Bezugspunkte hatten. Mit der Linken teilten sie den Streit um die Frage nach der Klassenzusammensetzung und damit verknüpft dem politischen Adressat der Gesellschaftskritik.
Die Abkehr linker Diskussionen von den Differenzfeministinnen ist einerseits vom Resultat her verständlich, weil sich dort die neuen politischen Subjekte „Frau“ und „Bauern“ finden, die unter anderem jegliche Unterschiede zwischen Frauen einebnen. Verloren ging damit aber auch die Wahrnehmung, dass mit der Thematisierung von Subsistenzarbeit der männliche Industriearbeiter als traditionelles politisches Subjekt kritisiert wurde. Geradezu antipodisch enthält diese Perspektive eine Kritik am Fortschrittsbegriff kapitalistischer „Entwicklung“, weil sie die von Marxisten als rückständig und unpolitisierbar diskreditierten Klassen – Frauen und Bauern – endlich auch als politisches Subjekt adressierte. Die Frage nach der Zusammensetzung des politischen Subjektes wurde erst Ende der 1990er erstmals unter anderem in Negri/Hardts Empire wieder aufgegriffen. Obwohl die Bielefelderinnen und die Thesen in Empire recht unterschiedlich anmuten, kommen beide Positionen zu strukturell sehr ähnlichen Antworten. Zunächst soll die historische Position der Bielefelderinnen untersucht werden. Auf Empire und die gegenwärtige Diskussion komme ich später zurück. Spannend erscheint mir an der Auseinandersetzung mit den Bielefelderinnen bzw. dem Differenzfeminismus die Frage, warum gerade der Versuch einer antikapitalistischen feministischen Kritik, die vom Anspruch ausging, die Heterogenität von Subjektivitäten und Klassenverhältnissen im Kapitalismus angemessen zu repräsentieren, in eine identitäre Position umschlägt. Wie kommt es zu dieser eigenartigen Verschiebung? Ich möchte jedoch im Folgenden darstellen, dass mit dieser Wahrnehmung leider auch etwas ganz anderes zum Verschwinden gebracht wurde, was rückblickend als typisches Symptom der postmodernen Diskussion gelten kann.
Es war einmal in Bielefeld – Life is Life
Im Anschluss an Rosa Luxemburgs Die Akkumulation des Kapitals ging es den Bielefelderinnen um eine Umkehrung der Perspektive bei Marx. Im Gegensatz zu Marx’ Prognose, dass in kapitalistischen Gesellschaften zunehmend alle Menschen zunächst expropriiert und dann zu freien LohnarbeiterInnen würden, geht es hier um die Theoretisierung des Faktums, dass der Großteil der Weltbevölkerung heute nach wie vor nicht vorwiegend von „doppelt freier Lohnarbeit“ lebt.2 Damit wird die Abgeschlossenheit der so genannten „ursprünglichen Akkumulation“3 bei Marx in Frage gestellt und stattdessen eine Gleichzeitigkeit und Persistenz unterschiedlicher Klassenformen, Hierarchie- und Ausbeutungsverhältnisse als funktionaler Bestandteil des Kapitalismus konstatiert. „[Rosa Luxemburg] stellte nicht nur eine fortdauernde historische Gleichzeitigkeit von kapitalistischen und nichtkapitalistischen Bereichen in der Dritten und Ersten Welt fest, sondern baute ihre Theorie auf der Logik des Verhältnisses zwischen beiden auf: „Das Entscheidende ist, dass der Mehrwert weder durch Arbeiter noch durch Kapitalisten realisiert werden kann, sondern durch Gesellschaftsschichten oder Gesellschaften, die selbst nicht kapitalistisch produzieren.“4
Plötzlich wird die Subsistenzarbeit nicht nur innerhalb, sondern gleichzeitig transhistorisch und jenseits des kapitalistischen Produktionsverhältnisses verortet.
Daraus folgt ein durchaus spannender und ernstzunehmender Perspektivwechsel, der bis heute kaum besser formuliert wurde.5 „Betrachtet man den Kapitalismus als Totalität, müssen also Verhältnisse als nicht nur ökonomische, sondern auch im Sinne der Akkumulation unabdingbare miteinbezogen werden, die bislang für außer-ökonomisch, ja, natürlich und damit überhistorisch gehalten wurden, bloß deshalb, weil sie sich nicht in einem Lohnarbeitsverhältnis abspielten; z.b. gerade Frauen-Arbeit: Kindergebären und -aufzucht, Befriedigung der Bedürfnisse des Mannes nach Essen, Sexualität, Kommunikation.“6 An solchen Stellen scheint mir die ungeheuerliche theoretische Dominanz der Marxisten in dieser Zeit selbst bei ihren Kritikerinnen theoretische Spuren in ihren Bezügen hinterlassen zu haben. Einerseits ist das erklärte Ziel verständlich: „Uns kam es darauf an, dass die Arbeit, die in die Produktion des Lebens oder Subsistenz einging – hauptsächlich Arbeit von Frauen – als „Arbeit“ sichtbar wurde und nicht weiterhin ins Reich der Natur verwiesen wurde“7, heißt es bei Werlhof. Und Maria Mies beschreibt diesen Zusammenhang folgendermaßen: „Danach umfasst Subsistenzproduktion alle Arbeit, die bei der Herstellung und Erhaltung des unmittelbaren Lebens verausgabt wird und auch diesen unmittelbaren Zweck hat… Zu ihr gehört auch die Arbeit der Kleinbauern, die hauptsächlich für den eigenen Konsum arbeiten, vor allem Kleinbauern in den unterentwickelten Ländern.“8 Damit wird das politische Subjekt des produktiven männlichen Industriearbeiters durch die SubsistenzarbeiterInnen – Frauen und Bauern – ersetzt. Scheinbar analog zur Begründung des produktiven Arbeiters als politisches Subjekt bei Marx wird auch die Subsistenzarbeiterin durch ihre Stellung im Produktionsprozess definiert: „Damit steht der Begriff der Subsistenzproduktion im Gegensatz zur Waren- und Mehrwertproduktion. Bei der Subsistenzproduktion ist das Ziel „Leben“, bei der Warenproduktion ist das Ziel Geld, das immer mehr Geld „produziert“, oder die Akkumulation von Kapital.“9 Allerdings hat sich bei dieser Einschreibung in die Logik der Produktivität eine wichtige Verschiebung ereignet. Plötzlich wird die Subsistenzarbeit nicht nur innerhalb, sondern gleichzeitig transhistorisch und jenseits des kapitalistischen Produktionsverhältnisses verortet. Anstelle einer immanenten Kritik ist ein ontologisches Prinzip der gesellschaftlichen Produktivität getreten: „Es muss vielmehr darum gehen, die Subsistenzproduktion aus den Fängen des Polypen Kapital zu befreien und Autonomie über unsere Körper und unser Leben zurückzugewinnen.“10 Hier wird eine strukturelle Ähnlichkeit extrapoliert, die nicht nur eine analytische Kategorie sein soll, sondern bereits der Vorschein einer besseren antikapitalistischen Gesellschaft. „Zunächst ist festzuhalten, dass Frauen ihren ganzen Körper als produktiv erfahren können, nicht nur ihre Hände oder ihren Kopf. Aus ihrem Körper produzieren sie neue Menschen und die erste Nahrung für diese Menschen. Es ist von entscheidender Bedeutung für unsere Fragestellung, dass der Zusammenhang zwischen Gebären und Nähren als echt menschliche, d.h. bewusste, historisch gesellschaftliche Tätigkeit gesehen wird. Frauen haben sich die Fähigkeit Kinder zu gebären und Milch zu produzieren, in der gleichen Weise angeeignet, wie die Männer sich ihre körperliche Natur angeeignet haben, nämlich in dem Sinn, dass ihre Hände und ihr Kopf durch Arbeit und Reflexion Fertigkeiten erlangten bei der Schaffung und Handhabung von Werkzeugen. Darum ist die Aktivität der Frauen beim Gebären und Nähren von Kindern als Arbeit zu interpretieren.“11 Nachvollziehbar erscheint mir hier die Deutung von Gebären als gesellschaftliche Leistung. Diese These hat angesichts der zunehmenden Bedeutung von PID und Kontrolluntersuchungen, sowie des Anspruches an Frauen, sich selbstbestimmt um ihre Gesundheit und ihre reproduktive Funktionalität zu kümmern, ihre Aktualität bewahrt. Problematisch dabei ist eine sich daran anschließende Dichotomisierung von guten = lebensförderlichen und bösen = akkumulationsförderlichen Tätigkeiten im Kapitalismus. Gänzlich bizarr ist jedoch die Umdeutung jeglicher menschlicher Tätigkeit bzw. körperlicher Praxis als Arbeit im „voll entfalteten Sinne“. Damit wird der marxsche Arbeitsbegriff wieder aufgenommen und in diesem Sinne auch Gebären als „produktiv“ definiert. Und warum wurde das Verständnis der Kategorie Differenz, insbesondere bei Maria Mies sowie ab 1981 auch bei den anderen Bielefelderinnen, zunehmend vereindeutigt und damit auch gleichzeitig selbst wieder dichotomisiert? Bemerkenswert ist an der Herangehensweise der Bielefelderinnen, dass dort versucht wurde, vom Subjekt des männlich industriellen Lohnarbeiters Abstand zu nehmen und stattdessen den Blick für die Heterogenität von Arbeitsverhältnissen innerhalb der kapitalistischen Vergesellschaftung zu öffnen. Insofern scheint mir der Begriff Differenz eine Suche nach Verbindungslinien und Trennungen zwischen gesellschaftlichen AkteurInnen zu repräsentieren. Wie schon angedeutet, findet sich insbesondere in den Texten der späten 1970er Jahre ein analytischer, nicht wertender Begriff von Differenz im Kapitalismus, der von der Zentralität des industriellen Lohnarbeiters Abstand nimmt. An diesem Punkt scheint der Versuch auf, der dichotomischen Struktur der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Repräsentation im Marxismus einen Begriff der Differenz entgegenzusetzen. Dieser kritisiert die Trennung zwischen Produktion und Reproduktion sowohl in Bezug auf das Geschlechterverhältnis, als auch auf eine globalisierte kapitalistische Ökonomie. Andererseits entwickelte sich der Begriff der Differenz zunehmend auch als ontologischer, der neue Gemeinsamkeiten schafft, gleichsam ein moralisches Dach, unter dem sich die SubsistenzproduzentInnen – Frauen und Bauern – zusammenfinden, die gemeinsam ein Gegenprinzip zum Kapitalismus leben. Damit verliert dieser Begriff jedoch seinen heterogenen Inhalt und wird zu einem negativen Abziehbild dessen, was er zuvor infrage gestellt hatte. Aus der analytischen Kategorie wird damit auch ein identitärer Begriff, der Frauen und Bauern qua ihrer Stellung im Produktionsprozess zu einer positiven ethischen Gemeinschaft stilisiert.
Affektive Arbeit – die Subsistenz des 21. Jahrhunderts
Wer sich fragt, ob derartige Positionen nicht längst veraltet sind und die Auseinandersetzung damit insofern nur noch historisch ist, der wird durch die Lektüre von Negri/Hardts Empire eines Schlechteren belehrt. Denn auch in Empire findet sich ein ganz zentraler Argumentationsstrang, in dem es um die „biopolitische Produktivität“ geht, die dort als ontologische Substanz gesellschaftlicher Produktion bezeichnet wird. Ähnlich ist dort auch die ambivalente Konzeption, in der einerseits alle Arbeit als kapitalistisch subsumierte bezeichnet wird, während sie andererseits auch jenseits dieses Verhältnisses zu existieren scheint. Darunter ist in etwa zu verstehen, dass es auch innerhalb des bestehenden Kapitalismus schöpferische Dynamiken gibt, die als allgemein menschlich gedacht werden und deshalb als Vorschein einer befreiten Gesellschaft interpretiert und angeeignet werden können. Interessant erscheint mir auch, dass trotz der strukturellen Abwesenheit einer feministischen Position in Empire die Thesen dort zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie die der Differenzfeministinnen führen – mit dem kleinen aber folgenreichen Unterschied, dass Negri/Hardt technikbegeistert und die Bielefelderinnen technikkritisch argumentieren. Ganz in der Logik der Marxisten wird in Empire eine Technikbegeisterung sichtbar, die zu einer „neuen Verwendung der Maschinen“12 führen könne. Was bei den Differenzfeministinnen die Subsistenzproduktion ist, ist bei Negri/Hardt die affektive Arbeit. „Affektive Arbeit bedeutet hier für sich und unmittelbar die Konstitution von Gemeinschaften und kollektiven Subjektivitäten. In mehrfacher Hinsicht konnte so der produktive Kreislauf von Affekt und Wert als ein autonomer Kreislauf der Konstitution von Subjektivität erscheinen, der im Gegensatz zum Prozess der kapitalistischen Verwertung steht.“13 Diese sei, wie die immaterielle Arbeit allgemein, angesichts der Postmodernisierung des Kapitalismus an eine zentrale Stelle gerückt. Affektive Arbeit wird als Bestandteil der immateriellen Arbeit verortet. Immaterielle Arbeit bezeichnet zunächst die Zunahme von Arbeiten, die mit der Informatisierung der Produktion zusammenhängen. Das Bild dieser Dienstleistungen ist geprägt vom Umgang mit dem Computer sowie von Kommunikation, womit diese Fähigkeiten zu Primärqualifikationen geworden sind. Der andere Teil ist die affektive Arbeit. Sie wird beschrieben als „Arbeit am körperlichen Wohlbefinden“ oder auch „Frauenarbeit“. Auch hier findet sich eine Dichotomisierung von Tätigkeiten und Anforderungen, die dem postulierten neuen Subjekt der Multitude nicht gerecht wird.14 Umso wichtiger scheint es mir, die durchaus verbreitete Anwendung des Begriffes der affektiven Arbeit zu kritisieren. Dies geschieht z.B. in der Lesart von Rosemary Hennesy, die dort einen „Mehrwert“ verortet, der nicht vollständig kapitalistisch angeeignet werden könne. Auch bei Encarnacion Gutierrez Rodriguez findet sich eine Verwendung dieses Begriffes als „affektiver Wert“ von migrantischer häuslicher Arbeit.15 Nicht zufällig beziehen sich Negri/Hardt auch auf ökofeministische Positionen wie die von Vandana Shiva, die von einer positiven Biopolitik von unten ausgeht. Die Stärke von Empire scheint mir nach wie vor darin zu liegen, einer neuen politischen Subjektivität nachzuspüren, die von den Autoren als die strukturell heterogene Multitude benannt wird. Beide vorgestellten Konzeptionen – die der Bielefelderinnen und die von Hardt/Negri – stellen die Heterogenität der Klassenverhältnisse in den Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung. Aus dieser Abkehr von einem einheitlichen politischen Subjekt erwächst jedoch die Notwendigkeit einer Synthesis oder Verknüpfung der Vielfalt. Wenn in der aktuellen Phase des Kapitalismus zunehmend alle Menschen auf sehr unterschiedliche Weise diesem Produktionsverhältnis subsumiert werden – also als Multitude, Heterogenität oder Differenz –, wie können die Menschen darin eigentlich gemeinsame Interessen erkennen und gemeinsam kämpfen? Die schlechte Lösung dieser politischen Frage besteht in beiden Fällen in einer sekundären Homogenisierung des politischen Subjektes, die auf den apolitisch religiösen Begriff des Lebens zurückgreift. Im Namen des Lebens ist es dann auch für marxistisch geschulte Feministinnen und Postoperaisten möglich, einem Vitalismus zu frönen, der verkürzt als Produktivität des Gebärens oder Produktivität des Lebens – so gesehen ein weisser Schimmel – bezeichnet werden könnte. „Nur die Subsistenzproduzenten (Frauen, Bauern) können nämlich Leben schaffen (Menschen, Nahrung, Glück). […] Die Ware selbst ist tot (Tauschwert), sie kann erst wieder durch Subsistenzarbeit, Lebensarbeit, Hausfrauenarbeit (Liebe) zum Leben (Gebrauchswert) erweckt werden.“16 Die Produktivität des Gebärens erschafft ein politisches Subjekt, das keine Feindschaft gegenüber kapitalistischer Produktivität zusammenhält, sondern der Wunsch, positiv an Dynamiken wie Produktivität im Kapitalismus anknüpfen zu können. Deshalb erscheint die meist auf Mangel gegründete Subsistenzproduktion nicht als Teil des Problems kapitalistischer Vergesellschaftung, sondern als Teil der Lösung. Ärgerlicherweise wird in dieser Perspektive auch die zuvor als Unterwerfung kritisierte weibliche Hausfrauenarbeit wieder als Liebe gefeiert, und nicht als Zumutung der „Arbeit als Liebe“17 kritisiert. In Empire ist die Antwort ganz ähnlich, etwas weniger essentialistisch, dafür aber stärker von der herbeihalluzinierten Wiederaneignung der Produktionsmittel geprägt: „Affektive Arbeit produziert soziale Netzwerke, Formen der Gemeinschaftlichkeit, der Biomacht.“18 Wie Susanne Schultz treffend formulierte, wird damit zugleich eine lange Tradition linker Idealisierung von Reproduktionsarbeit als Nicht-Entfremdung und Herrschaftsfreiheit fortgeführt.19
Reproduktionsmaschinenkommunismus
Gleichzeitig zur erfreulichen Wiederentdeckung von Marx am Ende der Postmoderne und des Endes des Endes der Geschichte finden sich zunehmend auch wieder Auseinandersetzungen mit Reproduktion. In diese Richtung argumentieren unter anderem auch einige AkteurInnen, die sich selbst als KommunistInnen und queer verorten. In Auseinandersetzung mit queeren Texten wie Beatriz Preciado oder Donna Haraway wird hier versucht, Technik und Produktivkraftsteigerung nicht nur für die Produktion, sondern auch für die gesellschaftliche Reproduktion als emanzipatives Potential zu untersuchen.20 So schlägt z.B. Johannes Paul Raether in seiner Performance-Serie „Transformella“ vor, die Reproduktion im Moment ihrer massenhaften industriellen Anwendung durch eine globale Reproduktionsmedizinindustrie darauf hin zu untersuchen, welche Potentiale diese für eine neue Avantgarde eröffnen könnte. Die Avantgarde kommt von den Rändern der Gesellschaft, es sind die Queer-People, deren Kritik der Heteronormativität hier unmittelbar praktisch zu werden verspricht. Meiner Ansicht nach handelt es sich jedoch um die technologische Beantwortung einer sozialen Frage, womit eine herrschaftskritische Auseinandersetzung mit Gesellschaft umgangen wird. Als emanzipatorisch wird gewürdigt, dass durch die Anwendung von Reproduktionsmedizin eine nicht heteronormative Elternschaft und damit eine Dekonstruktion der Zweigeschlechtlichkeit möglich werde. Diese Idee kann sich durchaus auf eine feministische Traditionslinie berufen, die von Simone de Beauvoir über Shulamith Firestone bis zur bereits erwähnten Donna Haraway reicht.
Bis es mit der technischen Entwicklung soweit ist, könnten gerade historisch materialistische DenkerInnen die Zeit sinnvoll dafür nutzen, darüber nachzudenken, warum sich der Kinderwunsch im Kapitalismus immer auf das sogenannte „eigene“ Kind bezieht.
Allerdings handelt es sich um eine Tendenz, die der androzentrischen Vorstellung des autonomen Subjektes verhaftet bleibt, selbst wenn, wie bei Firestone, eine grundsätzliche Änderung der Gesellschaft angestrebt, und nicht nur eine gleichberechtigte Teilhabe innerhalb des Bestehenden gefordert wird. In dieser Vorstellung wird der Körper der Frau – nicht aber der des Mannes – und die damit einhergehende nicht freiwillig gewählte Fruchtbarkeit nicht nur als eine Einschränkung der sexuellen Praktiken, sondern grundsätzlich als Problem thematisiert. Die Gebärfähigkeit der Frau gilt darin als der entscheidende Punkt, weshalb Frauen nicht gleichberechtigt in die produktive Arbeit einbezogen werden könnten. Dieser Vorstellung ist entgegenzuhalten, dass es dem Kommunismus doch hoffentlich um die Entwicklung eines Naturverständnisses geht, das mehr Subjektivitätsformen anerkennt als den arbeitsfähigen männlichen Körper. Sonst droht diese Utopie – wie Raether durchaus selbst kritisiert – in eine eugenische Position umzukippen, die die Natur von alten, jungen und anderen hilfsbedürftigen Körpern weiter an der Norm der Funktionalität des Kapitalismus misst. Solche Positionen berufen sich meist auf Friedrich Engels Schriften, die den gesellschaftlichen Status der Frau auf ihre Biologie zurückführen. Ganz analog zu Raether formuliert Firestone ihre Vorstellungen von Utopie: „Ich bin deshalb der Ansicht, dass die erste Forderung an irgendein alternatives System lauten muss: 1. Die Befreiung der Frauen von der Tyrannei der Fortpflanzung durch jedes nur mögliche Mittel. Verlagerung der Kindererziehung auf die gesamte Gesellschaft, auf Männer sowohl wie Frauen. […] Mit Kindertagesstätten speist man die Frauen billig ab und erleichtert nur die augenblickliche Last, ohne danach zu fragen, weshalb diese Last den Frauen aufgebürdet wird. Andererseits gibt es da die etwas ferner liegenden Lösungen, die auf dem Potential moderner Embryologie aufbauen, d.h. also auf künstlicher Fortpflanzung.“21 Solange aber die Reproduktionsmedizin weiter auf Menschen zur Produktion angewiesen ist, scheint mir hier eher eine Delegation der Funktion des gebärfähigen Geschlechtskörpers an Leihmütter stattzufinden. Die Verschiebung der Reproduktion auf „domestic workers“, Eispenderinnen und Leihmütter hebt meiner Ansicht nach die bestehende gesellschaftliche Heteronormativität nicht auf, sondern setzt die gesellschaftlich hergestellte Trennbarkeit von sexuellen Praktiken und generativer Reproduktion qua Verhütungsmitteln unter kapitalistischen Bedingungen weiter fort. Wer es sich leisten kann, delegiert Haushaltsarbeit, heteronormative Arbeitsteilung und Gebären wieder an Frauen, die bekanntlich schon immer mit diesen Tätigkeiten in Verbindung gebracht wurden. „Weil Frauen mit dem gesellschaftlichen Bild von Müttern in Verbindung gebracht werden, bittet man sie insgesamt eher als Männer darum, sich um psychische Bedürfnisse zu kümmern. Die Welt erwartet von den Frauen Mütterlichkeit, und dieser Sachverhalt verbindet sich unter der Hand mit vielen Arbeitsplatzbeschreibungen.“22 Diese Arbeiten werden zum allergrößten Teil unter prekären und schlecht bezahlten Bedingungen von Migrantinnen übernommen – es findet sich also eine neue Arbeitsteilung zwischen privilegierten und weniger privilegierten Frauen. Wie Melinda Cooper23 andeutet, arbeiten dieselben Frauen häufig gleichzeitig oder nacheinander als Eispenderin, „sex-worker“, Leihmutter und als „domestic worker“, ohne sich miteinander zu solidarisieren und politisch zu unterstützen, da die Identifikation mit dem einen Job häufig über die Abgrenzung vom anderen läuft. Am Horizont wird aber erklärtermaßen von Raether die ganz unkörperliche Zeugung, Austragung und Geburt herbeigesehnt. Der Mensch entspränge dann irgendwann tatsächlich dem Kopfe, und nicht mehr dem Uterus. Bis es mit der technischen Entwicklung soweit ist, könnten gerade historisch materialistische DenkerInnen die Zeit sinnvoll dafür nutzen, darüber nachzudenken, warum sich der Kinderwunsch im Kapitalismus immer auf das sogenannte „eigene“ Kind bezieht. Gibt es im globalisierten Kapitalismus nicht bereits genügend Kinder, die Bedarf nach fürsorglichen und verbindlichen sozialen Elternschaften hätten? Was bedeutet das für die Utopie von gesellschaftlicher Reproduktion? Vielleicht gälte es für die Entwicklung einer anderen Gesellschaft eher nach sozialen Beziehungsformen und Verhältnissen zu forschen, die die kindliche Bedürftigkeit und Abhängigkeit aus der strukturell gewaltförmigen Kleinfamilie herauslösen könnten, anstatt im Kommunismus jedem Individuum sein/ihr/unser Kind zu ermöglichen. Unter anderem gälte es dabei die Selbstverständlichkeit in Frage zu stellen, mit der der Kinderwunsch mit der romantischen Zweierbeziehung verknüpft wird, auch wenn diese homosexuell sein mag. Warum keine freundschaftliche Assoziation mit Menschen, die sich weder durch biologische Verwandtschaft noch durch Liebesbeziehung, sondern durch ähnliche Vorstellungen in gemeinsamer Kindererziehung zusammenfinden? All diese Fragen sowie die sich vermutlich daran anschließende Diskussion, wer welche Arbeiten für das Kind übernimmt, wenn es denn einmal da sein sollte, wird durch die Phantasie der technischen Machbarkeit meiner Ansicht nach eher desartikuliert. Ich halte deshalb die Ausweitung der kommunistischen Technikbegeisterung auf die Reproduktion nicht für sinnvoll, auch wenn sie nicht-heteronormative Lebensgemeinschaften adressiert und einschließt. Angesichts der zunehmenden Verbreitung einer global organisierten Leihmutterschaftsindustrie, die Eispenderinnen und/oder Samenspender mit ethnischer Expertise, Leihmütter aus Indien und internationale Reproduktionsmedizin in Verbindung setzt, gälte es doch eher, die „Produktivität“ dieses Prozesses immanent zu kritisieren.
Schluss/ Aus/ Ende/
Abschließend möchte ich die Frage in den Raum stellen, welche anderen Möglichkeiten es geben könnte, um eine Kritik der politischen Ökonomie mit einem materialistischen Begriff sozialer und generativer Reproduktion zu verknüpfen. Wie dargestellt, waren die 1968er ff von einer langen zähen Auseinandersetzung mit den theoretischen Vorgaben des marxschen Arbeitsbegriffes und der Produktivität geprägt, die letztlich eher nahelegten, dass eine Einschreibung in die marxistische Kritik an ihre Grenzen gekommen ist. Dennoch eröffnet die Auseinandersetzung mit dem Differenzfeminismus einen Blick auf die Grenzen von Marx, auf die seit seiner Wiederentdeckung in den letzten Jahren bisher nur wenige überzeugende Antworten formuliert wurden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es im Kapital von Marx eine Begeisterung für die Produktivkraftsteigerung als Mittel gesellschaftlicher Befreiung gibt, die zumeist nicht kritisiert, sondern wie in Empire nur transformiert wird. Ontologisierung ist darauf keine wünschenswerte Antwort, sondern eine Fortschreibung des Produktivismus, und führt stattdessen zu einer zunehmenden Verdrängung bzw. Verkehrung feministischer Erkenntnisse. Das gilt sowohl für die Bielefelderinnen als auch für Empire. Queere KommunistInnen können sich zwar auf eine feministische Traditionslinie von Technikbegeisterung – von de Beauvoir über Firestone bis Haraway – stützen, die jedoch gesellschaftliche Befreiung gefährlich nah an neoliberale Konsumstrategien heranführt, und die zumeist auf das Idealbild des autonomen Mannes und nicht auf kreatürliche Bedingtheit oder Bedürftigkeit fokussiert ist. Das im Marxismus dominante Bild von der Maschine als utopisches Potential für gesellschaftliche Emanzipation sollte deshalb endlich ruhen gelassen werden. Es müsste stattdessen um einen Begriff von Heterogenität oder Differenz gesellschaftlicher Ausbeutungsstrategien und Herrschaftsformen im Kapitalismus gehen, der diese Erkenntnis nicht selbst wieder strategisch ummünzt. Gerade im Zusammenhang mit der Reproduktion einer Gesellschaft ginge es viel eher um die Entwicklung menschlicher Kooperation, in der die Einzelnen nicht als perfektible Masse verstanden/angesehen werden, sondern das Ganze als Verhältnis von bedürftigen und verantwortlichen Subjekten konzipiert wird.24
Eine Auseinandersetzung mit der historischen Situiertheit des Differenzfeminismus scheint mir vielversprechend, weil der Ausgangspunkt der Postmoderne ein ähnlicher war, wenn auch ganz anders. Auch damals ging es darum, Dichotomisierung und Linearität in Frage zu stellen, und die Trennung von Ökonomie und Kultur aufzubrechen. Allerdings war die Postmoderne auch ein langer Prozess der Melancholie, in dem bekanntlich nicht nur Begriffe wie Fortschritt, Meta-Erzählung und das politische Subjekt zu Grabe getragen wurden, sondern gleichzeitig auch die Erinnerung daran, was damit verloren ging. Auch wenn der Untergang des Realsozialismus zurecht begrüßt wurde, ist damit zugleich auch die Vorstellung abgewehrt worden, dass es denn etwas besseres als den Kapitalismus geben könnte. Damit wurden die bereits in den 1980er Jahren entwickelten Thesen vom Ende der Geschichte und der großen Erzählungen historisch als Antikommunismus determiniert. Die Melancholikerin kann sich bekanntlich nicht auf das verloren gegangene Objekt der Begierde besinnen, weil sie im Prozess der Abwendung von dem verlorenen Liebesobjekt all seine Macht leugnen musste.25 Zum Glück gibt es seit einiger Zeit Anzeichen dafür, dass die Melancholie nach 20 Jahren auch in einen aktiven Trauerprozess umgewandelt werden kann, in dem es um die Durcharbeitung der verdrängten Vergangenheit geht. Nicht um diese zu rehabilitieren oder zu romantisieren, sondern damit sich die blöden Antworten auf gute Fragen nicht endlos wiederholen. Ob die Epoche, in der Zukunft gestern war, an ein Ende kommt, hängt deshalb auch davon ab, wie feministische Gesellschaftskritik weiterentwickelt werden kann, ohne die Fehler der vorangegangen Generationen zu wiederholen, oder zu behaupten, sie überspringen zu können.
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Zu den sogenannten Bielefelderinnen gehörten vor allem Maria Mies, Veronika Bennhold Thomsen und Claudia von Werlhof, deren Ansatz sich aus einer Diskussion um Produktionsweisen und der Produktion im Trikont entwickelt hatte und diese mit unbezahlter Reproduktionsarbeit von Hausfrauen strukturell analogisierten. Aber auch z.B. Adelheid Bieseckers und Christa Wichterichs Positionen in den achtziger Jahren gingen in diese Richtung. ↩
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So wie sich auch die repräsentative Demokratie als angeblich adäquate Herrschaftsform für den Kapitalismus bekanntlich keineswegs überall durchgesetzt hat. ↩
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Das Kapitel zur ursprünglichen Akkumulation im Kapital Band 1 beschreibt den historischen Prozess der Expropriation von Kleinbauern und der Herstellung der doppelten Freiheit des Lohnarbeiters als Enteignungsprozess, die dem Kapitalismus vorausgehen muss und deshalb doppelt frei ist: frei von direkter Herrschaft, aber auch jeglicher Produktionsmittel enteignet. ↩
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Luxemburg, Rosa: Die Akkumulation des Kapitals. Zitiert nach Werlhof, Claudia von: Frauenarbeit. Der blinde Fleck in der Kritik der politischen Ökonomie. In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 1. München 1978. S. 20. ↩
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Und zunehmend wieder an Bedeutung gewinnt, was eine ökonomiekritische Diskussion des Kolonialismus angeht, wie z.B. bei Silvia Federici. ↩
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Werlhof 1978. S. 23. ↩
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Werlhof 1978. S. 117. ↩
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Mies, Maria: Subsistenzproduktion, Hausfrauisierung, Kolonisierung. In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 9/10. München 1983. S. 117. ↩
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Ebd. S. 117. ↩
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Ebd. S. 118. ↩
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Mies, Maria: Gesellschaftliche Ursprünge der geschlechtlichen Arbeitsteilung. In: Bennholdt-Thomson, Veronika/Werlhof, Claudia von/Mies, Maria: Frauen, die letzte Kolonie. Hamburg 1983. S. 169 ff. ↩
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Negri, Antonio/Hardt, Michael: Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt a.M. 2002. S. 411. ↩
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Hardt, Michael: Immaterielle Produktion, Biomacht und Potenziale der Befreiung. URL: http://unirot.blogsport.de/images/hardt_affektive_arbeit.pdf ↩
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In Empire wird das ehemalige eindimensionale Subjekt der männlich industriellen Arbeiterklasse durch ein neues, eher philosophisch konzipiertes Subjekt der Multitude ersetzt, in dem verschiedenste Arbeits- und Nichtarbeitsformen als gleichermaßen unter das Kapitalverhältnis subsumiert thematisiert werden. ↩
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Insbesondere in der englischsprachigen Diskussion wurde sogar zeitweise versucht, einen affective turn in der Diskussion um Dienstleistungsarbeit herbeizureden, siehe: Ticineto Clough, Patricia: The Affective Turn. Theorizing the Social. Durham 2007. ↩
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Mies 1983, S.117. Ich vernachlässige hier absichtlich eine Kritik an der bereits überholten Position von Maria Mies. ↩
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„Arbeit aus Liebe, Liebe als Arbeit “ war einer der grundlegenden feministischen Texte von Gisela Bock und Barbara Duden, die die Entstehung der Frauenarbeit im Kapitalismus, zu der die Unsichtbarkeit von privater unbezahlter Reproduktionsarbeit gehört, beschreiben. ↩
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Negri/Hardt 2002, S. 304. ↩
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Schultz, Susanne: Neue (affektive) Arbeit, alte Dualismen. Zur feministischen Kritik am Begriff der „immateriellen Arbeit“. URL: http://www.linksnet.de/de/artikel/24257 ↩
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Siehe dazu auch Kalender, Ute: Das Verhältnis von Linken und Queers zu Reproduktionstechnologien. In: Jungle World Nr. 19/2011. ↩
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Firestone, Shulamith: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution. Frankfurt a.M. 1975. S. 191. ↩
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Vgl. Hochschild, Arlie: Das gekaufte Herz. Frankfurt a.M. 1983. ↩
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Vgl. Cooper, Melinda: Life as Surplus: Biotechnology and Capitalism in a Neoliberal Era. Washington 2010. ↩
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Siehe dazu Federici, Silvia: Anmerkungen über Altenpflegearbeit und die Grenzen des Marxismus. In: Linden, Marcel van der/Roth, Karl Heinz/Henninger, Max: Über Marx hinaus. Arbeitsgeschichte und Arbeitsbegriff in der Konfrontation mit den globalen Arbeitsverhältnissen des 21. Jahrhunderts. Berlin 2009. ↩
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Ich interpretiere hier Sigmund Freuds Thesen seines Textes zu Melancholie und Trauer, in dem es darum geht zu verstehen, warum ehemalige Liebesobjekte nicht fallengelassen werden können. Als Gegenstrategie wird in der Analyse Erinnern und Durcharbeiten empfohlen. ↩