Ohne Titel
A. fragt mich nach der Abtreibung. Ach ja, da war ja was … Daran denke ich nicht so oft und nicht so gerne wie an die Geburt meiner Tochter. Ist auch nicht so einfach, es separat zu denken. Der Tod meiner Mutter war zeitgleich und dann, zwei oder drei Monate später, war ich schon wieder schwanger und hab’s behalten. Das hängt alles irgendwie zusammen.
Die Abtreibung. Ich bin schwanger geworden, weiß auch genau, wann es passiert ist. Hab es schnell gemerkt. Zwei Wochen später hab ich meine Tage nicht gekriegt, da war es mir eigentlich schon klar. Schwangerschaftstest, was ist an positiv bitte schön positiv? Dann Poleiminzetee (ein menstruationsfördernder Tee, den ich von einer Freundin hatte) getrunken, Fieber gekriegt, aber nicht geblutet. Schiss gekriegt und doch zur Ärztin gegangen. Das erste Mal in Leipzig, zu welcher gehe ich? Kein Bock auf Moralkeule. Ich will auf keinen Fall jetzt ein Kind, wenn überhaupt. Grade ein tolles Studium angefangen, meine Mutter liegt im Sterben, ich werde sie pflegen. Nicht die ganze Zeit, aber in den Semesterferien werde ich einen Monat übernehmen. Die meiste Zeit werden sich ihre Lebensgefährtin P. und die Freundin S. abwechseln. Ich kann nicht bei meiner Mutter sein und ein anderes Wesen in mir haben, sie braucht all meine Aufmerksamkeit.
Mein Körper fühlt sich fremd an, ist mein Feind. Meine Brüste schmerzen und mir ist die ganze Zeit übel, von wegen nur morgens. Ich fühle mich von meinem Körper hintergangen, er gehört mir nicht mehr. Ich will ihn wieder haben. Ich habe noch nicht mal Lust zu rauchen. Die Frauenärztin will nicht, dass ich auf den Bildschirm schaue, gibt mir aber trotzdem ein Bild mit, für die Klinik, und eine Überweisung. Grauer Fleck mit weißem Punkt drin. Das ist es also, so sieht es in mir aus.
Voruntersuchung und Gespräch in der Klinik. Es gibt in Leipzig nur eine Tagesklinik, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt, frau braucht also nicht über Nacht zu bleiben. Außerdem werden da noch Brustvergrößerung und Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere gemacht. Seltsame Mischung. Auch die Leute, die im Wartezimmer sitzen. Frauen mit dickem Bauch, Frauen, die heulen. Manche mit ’nem Typen dabei, manche ohne. Ich sitze da mit C., meinem Freund, und wir fühlen uns unwohl, wollen es schnell hinter uns bringen. Gespräch und Untersuchung sehr unterkühlt, der Bildschirm muss nicht mehr weggedreht werden, steht sowieso so, dass ich nichts sehe. „Denken Sie nicht zu viel darüber nach.“ Zur Krankenkasse, Kostenübernahme beantragen, wieso erzähl ich eigentlich schon wieder was über meine Gründe? Schwangerschaftskonfliktberatung, Mist, bei Pro Familia gibt’s keinen Termin, also katholische Beratungsstelle, überraschenderweise ganz okay. Zumindest will sie mich nicht überreden, das Kind zu bekommen, sondern eher rausfinden, ob ich es wirklich nicht will oder bloß scheinbar vernünftige Argumente vorschiebe. Danach drei Tage Bedenkzeit, gesetzlich vorgeschrieben.
In der Klinik. Mifegyne: heute ein Medikament, das die Gebärmutterschleimhaut sich ablösen lässt und die Öffnung des Muttermundes bewirkt, übermorgen das andere, das Gebärmutterkontraktionen auslöst und es damit abbluten lässt. Erste Pille, da ruft P. an, meine Mutter ist zu Hause. Seit gestern ist sie nicht mehr in der Klinik, die Therapie ist beendet, weil sie keine Wirkung mehr zeigt. Es geht meiner Mutter sehr schlecht. Vielleicht stirbt sie bald, vielleicht in den nächsten Tagen, vielleicht in einem Monat. Diesen Punkt gab es in den letzten Monaten schon mehrmals. Meine kleine Schwester fährt zu ihr ins Wendland. Ich kann nicht, hab das tote Wesen im Bauch, morgen nehme ich die zweite Pille, morgen kommt es raus. Habe nie das Wort „Baby“ gedacht.
Für die zweite Pille muss ich wieder in die Klinik. Es dauert etwas, bis sie wirkt, C. und ich gehen einen Kakao trinken. „Seien Sie in 1½ Stunden wieder hier.“ Wir sind aufgeregt, aber auch froh und ängstlich. Dann zurück in die Klinik. Ich kriege Krämpfe, will mich hinlegen. Entweder mit C. im Wartezimmer sein oder ohne ihn im Dreibettzimmer liegen. Ich hätte ihn gerne bei mir, aber mein Bauch tut so weh, ich will ins Bett.
Ich kriege Durchfall. Es fängt an zu bluten, in riesigen Brocken, da hilft nur auf dem Klo sitzen und laufen lassen. Ich schwitze und muss kotzen. Es tut so scheiße weh, ich frage nach einer Ärztin, nach Schmerzmitteln. „Da kann man nichts machen, tut halt weh“, sagt die. Im Internet stand was anderes. Ich liege im Bett und heule und wälze mich herum, probiere möglichst leise zu sein, da sind schließlich noch zwei andre Frauen im Zimmer. Denen geht es nicht so wie mir. Scheiße, läuft da was falsch? Irgendwann tut es nicht mehr ganz so weh. Blutet immer noch total. Aber ich werde nach Hause geschickt. Mit dem Taxi nach Hause, schnell aufs Klo, bevor der nächste Blutklumpen kommt. Zu spät. In der Dusche sitzen und heulen. Schicke C. Schmerzmittel holen. Leg mich ins Bett. P. hatte mir auf die Mailbox gesprochen, ich soll sie dringend zurückrufen. Ich rufe an. Meine Mutter ist gestern Nacht gestorben. Ich liege im Bett und heule und schlafe ein.
Am nächsten Tag fahre ich ins Wendland, meine Mutter hatte sich ein Abschiedsfest gewünscht, keine Trauerfeier. Dafür, wie scheiße das alles ist, kriegen wir es doch ganz gut hin. Können zusammen weinen, uns in den Arm nehmen. Mein Bauch tut immer noch furchtbar weh, ich hab Krämpfe und blute. Meistens weiß ich nicht, warum ich weine, ob wegen meiner Mutter oder den Schmerzen oder dem Zellhaufen. Ich erzähl es vielen, hab nicht das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen, sondern will mich mitteilen, austauschen. Die Reaktionen sind sehr verständnisvoll und mir wird noch mal deutlich, dass ich mit diesem Thema nicht allein bin.
Wieder zu Hause, ein paar Tage später. Ich rufe in der Klinik an, um einen Termin für die Nachuntersuchung auszumachen. „Wie, es blutet noch? Kommen Sie so schnell wie möglich vorbei!“ Scheiße, C. ist nicht da, ich will nicht alleine dahin, wer weiß, was die mit mir machen. Fühle mich nicht mehr als Herr der Lage, ich weiß nicht, was in meinem Körper passiert. Kann es jetzt nicht einfach schnell vorbei sein? Frage A., ob sie mitkommt. Klar, macht sie. Stundenlang sitzen wir im Wartezimmer. Wieder diese Pro-7-Brustvergrößerungsdoku in Dauerschleife. Dann die Untersuchung, eine fremde Ärztin – aua, ist die rabiat! Ich soll noch ein anderes Medikament nehmen. Und was ist los?! „Ist nicht alles abgegangen, das neue Medikament wird Wehen auslösen.“ Als ich die Liste mit den Nebenwirkungen durchlese, wird mir schlecht. Ich soll es eine Woche lang nehmen – wenn’s nicht klappt, droht ’ne Ausschabung (Frechheit, dass die dieses Wort in der Klinik noch benutzen). Es passiert nichts. Außer, dass ich heulend das Baby bitte – inzwischen denke ich dieses Wort manchmal –, es jetzt endlich gut sein zu lassen und zu gehen.
Dann die Ausschabung, im Fachjargon Nachcurettage, „Wenn Sie früh in den OP kommen, müssen Sie nicht warten, sonst bis zu drei Stunden.“ Hey, ich hab Fragen, ich fühle mich nicht ausreichend aufgeklärt und will nicht bis mittags in diesem bescheuerten Wartezimmer sitzen und mir Arztserien anglotzen! Als ich das sage, werde ich endlich mal ernst genommen. Meine Fragen werden von einer Ärztin, der ich noch nicht begegnet bin, beantwortet und ich muss dann doch keine drei Stunden warten. Vollnarkose, Ausschabung, Aufwachen im Dreibettzimmer. Ich muss noch zwei Stunden hier bleiben, zur Kontrolle. Es tut nicht weh, ich schlafe. Als ich aufwache und mein Zeug zusammensuche, liegt eine Frau im Zimmer und weint, sie hat ihr Baby verloren.
Ich bin unendlich froh, es endlich hinter mir zu haben. Das Ganze hat über einen Monat gedauert. Solche Komplikationen wie bei mir gibt es bei 2-5% der Schwangerschaftsabbrüche dieser Methode.
Zweimal kriege ich noch meine Tage, dann bin ich wieder schwanger. Ich bin wieder unsicher, aber es fühlt sich anders an, mein Körper gehört mir. Es soll wohl so sein und ich entscheide mich dafür, dieses Kind zu kriegen. Die Situation ist anders.