Richard Menke

Die männliche Angst

Irgendwann ereilt sie wohl jeden heterosexuellen Mann, der sich noch nicht vorstellen kann Vater eines Kindes zu werden: die begründete oder auch irrationale Befürchtung, es sei beim Sex aufgrund fehlender oder schiefgegangener Verhütung „etwas passiert“. „Etwas“ meint, die Sexualpartnerin könnte schwanger und man selbst also in absehbarer Zeit Papa werden. Trotz der enormen Tragweite für das eigene Leben ist das Thema indes unter Männern im Grunde nicht präsent – und auch für Freundinnen und Familie sind männliche Gefühle diesbezüglich ein Tabu: „Männer können (und sollen) nicht über seine Gefühle sprechen.“ Dass die Gedanken und Ängste rund um das mögliche Vaterwerden selbst in progressiven Zusammenhängen kaum eine Rolle spielen, mag unterschiedlichen reichlich antiquierten Vorstellungen geschuldet sein: beispielsweise dass man als Mann einfach machen und nicht reden soll – und wenn dann lediglich über den erfolgreichen Vollzug des Aktes an sich. Unter Freunden gibt man dann den lässigen Typen, der höchstens beiläufig desinteressiert fragt, ob sie eigentlich die Pille nehme. Damit verknüpft ist

Auf der einen Seite die Erwartung an den Mann, Verantwortung zu übernehmen, auf der anderen die berechtigte Abwesenheit jedes Mitentscheidungsrechts.

die eigentlich längst überwunden geglaubte Ansicht, Verhütung sei nun einmal Frauensache, ebenso wie der bedauerliche, naive Glaube einiger Männer, sich einer Verantwortung für mögliche Folgen aufgrund gottgegebener, männlicher Dispositionen beizeiten entziehen zu können. Konkret wäre hier das Selbstbild des „Lonesome Cowboys“ oder „Easy Riders“ zu nennen, der, entbunden von banalen alltäglichen Verpflichtungen, ein wildes Leben in der großen, weiten Welt lebt. Die Vorstellung, in den ausschweifendsten Jahren Verantwortung für ein Kind übernehmen zu müssen, passt da so gar nicht rein - weshalb Mann sich diesem „Konflikt“ am sichersten dadurch zu entziehen weiß, den Ort zu wechseln, abzuhauen. Doch auch wenn sich diese männlichen Einstellungen und Verhaltensweisen bisweilen als Indifferenz gerieren mögen („Dann zahl ich halt…“), so sind sie dochzugleich Ausdruck und Ursache tiefsitzender und oft geleugneter Ängste kinderwunschloser Männer, von denen man eine vielleicht als zentral erachten könnte: Eng verknüpft mit der genannten „Cowboy“-Problematik ist die weitreichende Angst vor dem Kontrollverlust, also dem Verlust von Selbstbestimmtheit, Autonomie, letztlich der eigenen Individualität. Der Gedanke an das plötzliche Ende eines spontanen, wilden und exzessiven Lebensstils heißt dabei fast, das Leben als solches zu verlieren. Denn im Gegensatz zu nahezu allen anderen Bereichen der Gesellschaft erreicht die „Kontrollfähigkeit“ des Mannes bei der Sexualität ihre Grenzen, letztlich hat er nicht mehr wie sonst alle Fäden in der Hand. Neben einer Sterilisation bleibt das Kondom das einzige Verhütungsmittel, dass Mann aktiv zur Verhinderung einer Schwangerschaft benutzen kann. Doch dass dieses durch seine beispielsweise im Vergleich zur Pille recht hohe Fehlerquote zum Unsicherheitsfaktor wird, bereitet vielen Männern – bewusst oder unbewusst – Angst. Ein wesentlicher Faktor ist dabei auch das Maß des Vertrauens in Handeln und Aufrichtigkeit der Frau: Das reicht dann von der Frage, ob sie die Pille wirklich bzw. regelmäßig nehme bis zum redundanten frauenfeindlichen Vorwurf, sie wolle dem Mann sowieso nur heimlich ein Kind „unterjubeln“. Diese männliche Angst vor der unterschwelligen Macht und Bindungslust der Frau, die ihre biologischen Eigenschaften zur Kontrollausübung ausnutzt, ähnelt der virulenten Aussage, jede Frau hätte ihren Mann unter „der Fuchtel“ respektive „dem Pantoffel“. Jene essentielle Vertrauensunsicherheit oder Zuschreibung typisch weiblicher hintertückischer Verhaltensweisen können denn auch ursächlich für „Schwangerschaftsängste“ sein, die bis ins Pathologische reichen – von psychischen Problemen wie zwanghafter Kontrolle bis hin zum Libidoverlust. Andererseits liegen diesen Ängsten natürlich nachvollziehbare Überlegungen zugrunde, die gerade dem aufgeklärtesten Mann schlaflose Nächte bereiten können. Denn sollte bei der Verhütung etwas schieflaufen (Kondom reißt, oh no) unterliegt alles Folgende nicht mehr seiner direkten Kontrolle, er wird im Grunde handlungsunfähig. Weder kann er über den Gebrauch der „Pille danach“ entscheiden, noch Informationen über körperliche Details oder das Einsetzen bzw. Ausbleiben der Tage einfordern, ebenso wenig wie einen Schwangerschaftstest. Und vor allem hat er kein Recht über eine mögliche Abtreibung zu bestimmen. So richtig diese Überlegungen auch sein mögen, basieren sie nur bis zu einem bestimmten Punkt auf realen Verhältnissen: Denn zum einen missachten wir damit die faktische Macht, die Männer über Frauen ausüben (können), in dem sie beispielsweise jegliche Form von Gewalt anwenden, um Handlungen und Entscheidungen zu erzwingen. Zum anderen vergessen wir die auf konstruktive Lösungen bedachten Aushandlungsprozesse zwischen Individuen, die Teilung von Verantwortung, gegenseitige Rücksichtnahme und Achtung der Bedürfnisse der anderen. Denn die männliche Angst vor Vaterschaft beruht ja vor allem auf der Vorstellung des Unwahrscheinlichen: Mann und Frau versichern sich gegenseitig einvernehmlich, kein Kind zeugen zu wollen und auch alles in ihrer Macht stehende dafür zu tun - und trotzdem passiert ein Missgeschick. Entschließt sich die Frau jetzt entgegen der Absprache abzuwarten und das Risiko einer möglichen Schwangerschaft einzugehen, so hat der Mann, der sich auf sie verlassen hat, tatsächlich keinerlei Möglichkeit mehr eine Vaterschaft zu verhindern. Es bleibt ihm nur mehr die Wahl, sich entweder mit seinem „Schicksal“ und damit der Rückstellung seiner individuellen Bedürfnisse und Lebensplanung abzufinden oder sich diverser „Arschlochverhaltensweisen“ zu bedienen (auf „Pille danach“ oder Abtreibung drängen, sich der Situation durch Abhauen entziehen). Glücklicherweise herrscht dieses Misstrauen selten und soll hier lediglich das grundsätzliche potentielle Dilemma veranschaulichen. Dieses wird paradoxerweise gerade aus männlicher pro-feministischer Sicht am deutlichsten: Denn natürlich möchte Mann das Recht der Frau, über ihren Körper ganz allein zu bestimmen, in keiner Weise infrage stellen und natürlich will man keiner der verachtenswerten Idiotentypen sein - es ist ein heikler und äußerst ambivalenter Balanceakt, den man bewältigen muss. Da nach der Zeugung von der Befruchtung bis zur Geburt alles ohne den Mann passiert, muss er sich einerseits hinsichtlich aller eigenen Bedürfnisse zurücknehmen, gleichzeitig aber als „Erzeuger“ ein hohes Maß an Verantwortung übernehmen. Er muss also auf der moralischen Ebene so tun als befände er sich in derselben Position wie die Frau, ohne jedoch die letztliche Entscheidung mit zu fällen. Es ist ein oft ausgeblendeter Spagat: Auf der einen Seite die Erwartung an den Mann, Verantwortung zu übernehmen, auf der anderen die berechtigte Abwesenheit jedes Mitentscheidungsrechts. Aber wer möchte verübeln, dass der Fokus nur selten auf diesen Konflikt gerichtet ist? Schließlich tragen nicht gerade die Männer das größte Risiko oder die meisten Belastungen hinsichtlich des Komplexes um Sex, Verhütung, Abtreibung und Gebären. Zudem widerspricht bereits die bloße Angst vor Schwangerschaft dem Selbstbild eines aufgeklärten Mannes. Denn eigentlich hat man ja nicht im Sinn, die Frau mit Unsicherheiten und Ängsten zu belasten, die sich im weitesten Sinne auf ihren Körper beziehen. Und außerdem stehen Emanzipation und Selbstbestimmung ja auch für ein hedonistisches Leben ohne andauernde existenzielle Sorgen – und Sex für Lust und ungehemmte Freude statt gefahrvolles Risiko und Quelle mannigfaltiger Ängste.

Der Autor lebt in Leipzig.

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