Die Farbe der Mode
If your hair is relaxed, white people are relaxed. If your hair is nappy, they are not happy.
Die Unterdrückung der ehemals als SklavInnen verschleppten schwarzen Teile der amerikanischen Bevölkerung hat eine lange Tradition. Erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts beginnt sich im Zuge der Bürgerrechts-, Frauenrechts- und Anti-Vietnam-Bewegung der Gedanke der Gleichberechtigung durchzusetzen. Ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Die Künstlerin Ellen Gallagher hat ein Archiv von Lifestylemagazinen der vierziger bis siebziger Jahre erstellt, die speziell für den afroamerikanischen Markt herausgegeben wurden. Diese Hefte legen Zeugnis ab von einer der wichtigsten Funktionen der Mode – der sozialen Egalisierung.
Egalisierung durch Mode
Da gesellschaftlicher Zusammenhalt hauptsächlich über das „Recht der Geburt“ und die Sozialisation definiert wird, integrieren sich diejenigen am einfachsten, denen es gelingt, dem Standard der Mehrheit ähnlich zu werden. Mode stellt hierfür als – im Wortsinn – Oberflächenphänomen die besten Mittel zur Verfügung. Sie besitzt zu jeder Zeit ein großes Repertoire an Formen – z.B. Kleider, Accessoires, Kosmetik und Frisuren. Aber auch Lifestyletrends wie Sprache und Bewegung, um mit deren Hilfe eine Zugehörigkeit nicht nur zu demonstrieren, sondern auch durchzusetzen. Ein Phänomen, das bei der Integration von Minderheiten wie den AfroamerikanerInnen im weißen Amerika des zwanzigsten Jahrhunderts jedoch oft Ausmaße der Selbstverletzung angenommen hat.
Die Magazinseiten, die Ellen Gallagher für ihre Kunstwerke aus Heften wie Ebony oder Jet wählt, sind zum größten Teil Werbeanzeigen für Moden, die an schwarzen Körpern gezeigt werden, aber weißen Standards folgen und weiße Schönheitsideale erfüllen sollen. Ihre drei Werkgruppen eXelento (2004), afrylic (2004) und deLuxe (2004-2005) bestehen aus jeweils 396 Seiten dieser Werbeanzeigen. Es sind Anzeigen für Haarstreckmittel, Perücken, Pomaden, Entkräuselungskuren, Hautcremes und Bleichmittel, die dem US-amerikanischen Modekanon dieser Zeit entsprechen. „Johnson´s Ultra Wave will make you really proud of your hair” lautet der Werbeslogan für Johnsons Pomaden. Ein anderer: „celestial navigator! Mit diesen Perücken werden sie ein Star.“ Ellen Gallagher hat solche Anzeigen zum sogenannten Negros Improvement zu Collagen überarbeitet. Mit vorwiegend gelber (blonder) Knete formt sie zum Teil abstrakte Formen, meist extravagante Perücken und Masken, aber auch Rastazöpfe und Afros, die sie den Bildern in den Anzeigen überstülpt. Malcolm X hat, obgleich er als ambivalente Figur innerhalb der Bürgerrechtsbewegung angesehen wird, in seiner Autobiografie das Entkrausen des Haares als grauenhafte Tortur, als „großen Schritt zur Selbsterniedrigung“ beschrieben: „Ich hatte mich damit jener Masse von schwarzen Männern und Frauen in Amerika zugesellt, die eine Gehirnwäsche durchgemacht haben und glauben, dass schwarze Menschen „minderwertig“ und Weiße „überlegen“ sind.“1 Neben den Kosten und dem erheblichen Zeitaufwand ist die Behandlung mit Relaxer, so der Name für die Entkräuselungscreme, schmerzhaft und dauerhaft gesundheitsschädlich. Relaxer brechen die Haarstruktur auf, indem sie die Proteine angreifen, wodurch die Kopfhaut natürlich mit beeinträchtigt wird. Gallagher überschreibt die „Verstümmelungen“ an Körper und Seele mit ihrer ganz eigenen Interpretation von (kultureller) Identität. Die Masken und Frisuren aus Knete verweisen somit nicht ausschließlich auf die Geschichte weißer Normen, sondern zeugen auch von der Selbstbehauptung einer Afroamerikanerin gegenüber einer Gesellschaft, deren Zusammenhalt sich darüber konstituiert, andere Formen zu unterdrücken.
Da gesellschaftlicher Zusammenhalt hauptsächlich über das „Recht der Geburt“ und die Sozialisation definiert wird, integrieren sich diejenigen am einfachsten, denen es gelingt, dem Standard der Mehrheit ähnlich zu werden.
Distinktion durch Mode
Eine weitere wichtige Funktion der Mode ist, einem zentralen Begriff der Untersuchungen Pierre Bourdieus entlehnt, die Distinktion. Über äußere Merkmale findet sowohl soziale Anlehnung statt als auch die Manifestation von Unterschieden. Mode ist ein „Apparat, der Distinktionsinstrumente produziert, genauer: Objekte, die außer ihrer technischen Funktion auch eine soziale Funktion erfüllen können, die Funktion des Ausdrucks und der Legitimation sozialer Unterschiede.“2 Neben Kleidern sind auch Haarteile und Kosmetikartikel der von Gallagher gewählten Werbeanzeigen Distinktionsinstrumente einer gesellschaftlichen und der damit einhergehenden ökonomischen Praxis. Ohne Glatthaarperücke hatten beispielsweise schwarze Frauen das Gefühl, das Haus nicht verlassen zu können.3 Dieses Verbergen krausen Haares als vermeintlichen Makel kommt einer Bestätigung sozialer Unterschiede gleich. Durch die Nachahmung herrschender Standards wird soziale Ungleichheit weiter anerkannt und legitimiert. Zusätzlich mussten die anfallenden Kosten für Perücken und Friseurbesuche durch noch mehr Arbeit gedeckt werden. „Black women´s hair costs more than anything they wear.” Verhältnismäßig hohe Einsätze wie diese laden die begehrten Produkte mit Wert auf. Gerade die Anstrengung, ein Ziel zu erreichen, wird zu dessen Legitimation. Bourdieu und Delsaut nennen das „die vollendete Form der symbolischen Gewalt, einer sanften Gewalt, die sich nur mit dem stillen Einverständnis ihrer Opfer ausüben lässt und deshalb der willkürlichen Durchsetzung willkürlicher Bedürfnisse den Anschein einer befreienden Tat verleihen kann, die jene aus tiefstem Herzen wünschen, die sie erfahren.“4 Freedom Puffs wurden die Perücken genannt. Sie nährten die Hoffnung auf Integration und wurden gleichzeitig zum Zeichen ihres Scheiterns. So manifestierten sie die Ohnmacht einer sozial schwächeren Gruppe.
Mode als soziale Maske
Der Unterdrückung der AfroamerikanerInnen durch weiße Ideale hat Ellen Gallagher mit ihren Knetmasken eine weitere Überformung hinzugefügt. Sie hat einerseits die ehemalige Korrektur durch einen neuen Entwurf sichtbar und andererseits durch Überklebung unsichtbar gemacht. Dicke gelbe Knete liegt als Schutzschicht wie eine zweite Haut über den Anzeigen. Ebenso funktioniert Mode wie eine zweite Haut, hinter der man sich verbergen und schützen kann. Der Grund, eine Perücke zu tragen, ist nicht unbedingt das fehlende Bewusstsein für ihre Macht als Distinktionsmittel. Es schafft aber unter Umständen das Gefühl von Sicherheit. Um Diskriminierungen und körperlichen Übergriffen aus dem Weg zu gehen, war es hilfreich, das eigene Schwarzsein so weit wie möglich zu verbergen. Parallel dazu sollte die Annäherung der Formen den Boden für Gleichberechtigung bereiten. Die Stimmung im damaligen Amerika war auch für viele Weiße von der Hoffnung auf Integration geprägt. Gleichzeitig erwarteten sie von den AfroamerikanerInnen eine Bereitschaft, sich anzunähern und damit eigene Formen zu unterdrücken. Integration geht allerdings immer nur soweit, dass sie die Überlegenheit der sozial Privilegierten nicht bedroht. Diese wollen nicht ähnlich sein; und ergreifen so die „Flucht zum Neuen“, sobald ihr Feld von zu vielen NachahmerInnen erreicht wird. Das ist eine der Erklärungen für die ständigen Wechsel der Moden.
Mode funktioniert wie eine zweite Haut, hinter der man sich verbergen und schützen kann.
In den sechziger Jahren fordert der Ruf „black is beautiful“ ein Bewusstsein für die Ästhetik der Gleichberechtigung. Zum Zeichen der Selbstbestimmung werden schwarze Formen betont und nicht länger versteckt. Den diskriminierenden Bezeichnungen des wooly hair oder no good hair tritt der Afro als neues „authentisches“ Schönheitsmerkmal entgegen. In den Städten wird er umgehend zum Symbol des Widerstandes gegen die lange Tradition der Unterdrückung und Enteignung. „The Afro becomes this important way of taking up space in the city.“5 In den darauffolgenden Jahren ist jedoch eine Entwicklung zu beobachten, die exemplarisch für das Wesen der Mode ist. Der Afro findet Einzug in den Formenkanon der Mode und verliert seine politische Dimension. Um ständig Aktuelles bieten zu können und den Schein des Neuen aufrecht zu erhalten, sucht die Mode nach immer neuen Formen. Diesen Hunger stillt sie, indem sie sich wahllos allem annähert, es sich aneignet und dem eigenen System einordnet. Hierbei übt alles „Exotische“ auf die Mode einen ganz besonderen Reiz aus. Laut Jean Baudrillard trennt die Mode Inhalt und Form. Sie verarbeitet alle Formen, die sie sich aneignet, zu „bedeutungslosen Zeichen“6, zu leeren Hüllen, um sie auf diese Weise ver- und austauschbar zu machen. Sie schafft damit ein weites Formenrepertoire, aus dem sie frei wählen und kombinieren kann, ohne dabei auf inhaltliche Zusammenhänge achten zu müssen. Die öffentlichkeitswirksamen Auftritte des Afros etablierten ihn in kürzester Zeit als eine Modeform, die von jeder und jedem getragen werden konnte, und zwar ohne sich der Gefahr gewalttätiger Übergriffe auszusetzen. Die Identifikation mit einem „schwarzen“ Freiheitsbewusstsein musste allerdings hinter der Popularität, die das Tragen des Afros versprach, zurückstecken.
Mode und Subversion
Aus „Sicherheitsgründen“ fand bereits auf den Schiffen, mit denen tausende Frauen und Männer in die Neue Welt verschleppt wurden, eine Ordnung statt, die Zugehörigkeit aufbrechen sollte. Menschen unterschiedlicher Herkunft wurden aneinander gekettet, kulturelle und sprachliche Bande möglichst früh aufgelöst und damit Grundsteine für einen Identitätsverlust gelegt.7 Das Aufkommen des Afros in den sechziger Jahren darf daher nicht mit einer Suche nach originären Identitäten verwechselt werden. Waren frühere Formen des Afros an bestimmte regionale Rituale gebunden, so ist der Afro in den USA frei von dieser Bedeutung und kann als Modeform beliebig mit Inhalten aufgeladen werden. So scheint es einerseits positiv, wenn er zum Symbol schwarzen Selbstbewusstseins und schwarzer Unabhängigkeit wird und durch die Integration unterdrückter Formen die Mode zu einem Mittel macht, das Diskriminierungen ab- und Anerkennung aufbaut. Auf der anderen Seite ist es problematisch, wenn diese politische Sprengkraft durch die Etablierung zu einer begehrten Mode entschärft wird. Wenn es Mode ist, sich durch das Tragen eines Afros oder _Whitefros, wie die weiße Variante genannt wurde, mit der Emanzipationsbewegung der Schwarzen zu identifizieren, bedeutet das auch, sie zu ersticken. Die Attraktivität dieser Frisur erwächst schließlich nicht aus ihrem politischen Gehalt, sondern aus dem Umstand, dass sie neu und radikal scheint, dass sie von wenigen getragen wird und daher den sozial integrierten AmerikanerInnen die Möglichkeit gibt, sich individuell vom Gros der Gesellschaft abzuheben. Der Afro wird dabei Teil des kapitalistischen Verwertungssystems, das sich machtvoll Formen aneignet, ohne weiterbestehende, in diesem Fall rassistische, Strukturen anzugreifen. Aus diesem Grund und mit dem Argument, er sei Teil des amerikanischen Kulturimperialismus, war der Afro in den siebziger Jahren in Tansania verboten.
„Black women´s hair costs more than anything they wear.”
Die Masken, der Schmuck und die Perücken, die Gallagher aus Knete entwirft, behaupten zunächst einmal nichts anderes als jene Modeformen, die aus der Kombination unterschiedlicher Stile, aber auch explizit schwarzer Formen entstanden sind. Verbunden mit den Werbeanzeigen, entsteht jedoch eine Geschichte, die von Unterdrückung, Nivellierung und Hoffnung auf Integration im zwanzigsten Jahrhundert erzählt. Durch präzise gesetzte Manipulationen der Magazinseiten fügt Gallagher noch weitere Inhalte ein, wobei ihre Kommentare nahelegen, welche Details der Geschichte nicht vergessen werden dürfen. So taucht zum Beispiel in einigen Collagen, wie um die Verletzungen noch zu unterstreichen, immer wieder eine schwarze Krankenschwester auf, deren Bedeutung eng an die Krankenschwester Eunice Rivers angelehnt ist.8 Die gekneteten Modeformen dienen somit nicht allein als Überschreibungen und Korrekturen von geschehenem Unrecht, sondern setzen sich auch gezielt ins Verhältnis zu ihrer Geschichte und der Problematik von Identität. Auf diese Art sind Modeformen Egalisierungs- und Distinktionsmittel zugleich. Und auch wenn ihr emanzipatorisches Potenzial gering ist, sind sie wichtige Zeugen gesellschaftlicher Entwicklungen und bieten die Möglichkeit einer Erzählung, so wie Gallagher sie entwirft.
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Malcolm X. Die Autobiographie, Hrsg. Alex Haley, Atlantik-Verlag, Bremen, 2003, S. 70. ↩
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Pierre Bourdieu und Yvette Delsaut: «Die neuen Kleider der Bourgeoisie», in Kursbuch 42, 1975, S. 179. ↩
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Vgl. Ellen Gallagher: «1000 Words», in Artforum, April 2004, S. 128-131. ↩
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Pierre Bourdieu und Yvette Delsaut: «Die neuen Kleider der Bourgeoisie», in Kursbuch 42, 1975, S. 180. ↩
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Ellen Gallagher: «1000 Words», in Artforum, April 2004, S. 131. ↩
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Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod, Berlin: Matthes und Seitz, 2005, S. 135. ↩
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Vgl. Edouard Glissant: «Kultur und Identität – Ansätze zu einer Poetik der Vielheit», Fulda: Das Wunderhorn, 2005, S. 12. ↩
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Eunice Rivers stellte im Rahmen des Tuskeegee-Experiments zwischen 1932 und 1972 Kontakt zu schwarzen Syphilispatienten her. Anstatt der versprochenen Heilung wurden Versuche an den Kranken durchgeführt. ↩