forms of insubordination
_Ungehorsam_Kritik_Musik_ in essayistischem Schreiben
„To choose deliberately the form of the essay is to step away from a path of obedient submission to the academic world in which feminism, the formerly activist movement, is now firmly ensconced. It is to say that we value the form in which we present our thoughts as much as we do their content.”1
Die hier formulierte Verschränkung des Verhältnisses von Inhalt und Form mit dem Verhältnis von Akademie und Aktivismus, die durch die Metaphern der Wendung und des Ungehorsams zu einem Spannungsfeld wird, in dem sich ‘der Feminismus’ (ein Singular, der sich hier offenbar hauptsächlich auf die sogenannte ‘Zweite Welle’ im Westlichen Kon/Text bezieht) bewegt, hat mich dazu bewogen, dieses Zitat an den Ausgangspunkt meines Essays zu stellen. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt in meiner eigenen Positionierung, in der Tatsache, dass ich meine zentrale Frage danach, wie Formen des Denkens und Schreibens gefunden werden können, die den eigenen inhaltlichen Ansprüchen gerecht werden, aus einer Perspektive formuliere, die in eben diesem Spannungsfeld eines Feminismus des Aktivismus und der Akademie, der Praxis und Theorie positioniert ist.
Dabei ist mir die im Eingangszitat formulierte Affirmation eines bestimmten ‘Ungehorsams’ gegenüber den akademischen Spielregeln als Begründung dafür, den Essay als feministische Form aufzufassen und anzueignen, als Wendung ‘weg’ vom akademischen Kalkulus, die von Joeres/Mittman im weiteren Text als Wendung ‘hin’ zu außer-akademischen politischen Gemeinschaften des Widerstands aufgefasst wird, durchaus sympathisch. Allerdings ist die Unterstellung einer Affinität ‘des Feminismus’ zum Ungehorsam romantisierend und trügerisch zugleich, eine Art narzisstischer Verlockung, der es im Namen selbst/kritischer Reflexion zu widerstehen gilt. Und auch die Verortung der ‘Quelle des Ungehorsams’ und des kritischen Potenzials des Feminismus ‘außerhalb’ der Akademie bietet ein auf simpler Gegenüberstellung basierendes Argument, das insbesondere in Verbindung mit der Aussage, dass ‘der Feminismus’ als ‘ehemals aktivistische Bewegung’ mittlerweile in weiten Teilen im wissenschaftlichen Apparat eingerichtet ist, ein Narrativ bildet, das die Gefahr birgt, in seiner scheinbaren Banalität die vielfältigen, weit reichenden Konsequenzen dieses Prozesses eher zu verdecken als zu thematisieren.
Eine davon ist, dass der Preis dafür, einen ‘Platz’ in der Welt der ‘Wissenschaft’ gefunden zu haben, bedeutet, auch Teil der ‘Wahrheitsspiele’ der Universität geworden zu sein. Der Zusammenhang von Wissen und Macht über das Scharnier der Wahrheit reicht als epistemologische Struktur weit über akademische Kon/Texte hinaus. Doch ‘Wissenschaft’ kommt bekanntermaßen eine besondere Rolle dabei zu, bestimmte Formen von Wissen mit Legitimität und Wahrheitswert auszustatten, wohingegen andere Wissensarchive und Erkenntnisperspektiven ausgeschlossen und marginalisiert werden. Nun ist die von Joeres/Mittman angesprochene ‘feministische Bewegung’ in weiten Teilen gerade mit einer Kritik der Wissenschaft angetreten. Einer Kritik ihres Anteils an der Re/Produktion gesellschaftlicher Machtverhältnisse, der umso effektiver funktioniert, als die eigene Verstrickung in Herrschaftsmechanismen hinter einem Anspruch auf ‘Objektivität’ verborgen und die eigene ‘interessierte Position’ ins Gewand eines ‘allgemeinen Interesses’ und ‘humanitären Universalismus’ gekleidet werden.
Inklusion in bestehende Verhältnisse mit dem Ziel der Ausweitung bestehender Privilegien? Umwälzung bestehender Verhältnisse mit dem Ziel der Abschaffung dieser Privilegien? Eine dialektische Verknüpfung beider Perspektiven? Eine Dekonstruktion der Dichotomie? Eine gänzlich andere Strategie?
Die Problematik der Institutionalisierungsprozesse verschiedener ‘akademischer Feminismen’ liegt meiner Auffassung nach nicht notwendigerweise darin, diese Kritik mit dem eigenen Eintritt in die Wissenschaft aufgegeben zu haben, sich also an den universitären Rahmen angepasst, assimiliert und die ‘ursprüngliche’ Radikalität oder radikalen Ursprünge aufgegeben zu haben. Statt dessen möchte ich die Schwierigkeit und Herausforderung, aus einer Position im Rahmen der Akademie zu operieren, als die Frage formulieren, wie in das bestehende epistemische Gefüge interveniert werden kann bzw. soll - eine Frage der Strategie, die notwendigerweise mit dem zu erreichenden (je nach politischer Position unterschiedlich definierten) Ziel in ein Verhältnis zu setzen ist. Diese Formulierungen mögen sich recht abstrakt anhören, sind aber mittelbar oder unmittelbar verbunden mit unseren jeweiligen politischen Perspektiven: Inklusion in bestehende Verhältnisse mit dem Ziel der Ausweitung bestehender Privilegien? Umwälzung bestehender Verhältnisse mit dem Ziel der Abschaffung dieser Privilegien? Eine dialektische Verknüpfung beider Perspektiven? Eine Dekonstruktion der Dichotomie? Eine gänzlich andere Strategie? In welchem Zusammenhang stehen dabei Matrizen gesellschaftlicher Macht und Herrschaft (_Hetero_Sexismus_Rassismus_Antisemitismus_etc.) zu den Formen, in denen Wissen und Wahrheit organisiert sind? Was bedeutet Veränderung in diesem Kon/Text? Ich werde nicht versuchen, diese Fragen zu beantworten. Sie stellen jedoch einen Referenzrahmen für meine Überlegungen zum Verhältnis von Inhalt und Form und eine Konkretion der inhaltlichen Ansprüche dar, die von den Formen, die Denken und Schreiben annehmen können, unterstützt werden sollen.
Ich möchte der Fährte des ‘Ungehorsams’ etwas folgen, bezogen auf den Essay als Form, wobei ich einige der von Joeres/Mittman gemachten Verknüpfungen explizit loser und offener halten möchte: Weder gehe ich von einer bestimmten Definition von Feminismus oder einer daraus ableitbaren Bestimmung seiner Bezüge zu Formen des Ungehorsams aus, noch ist mir daran gelegen, die hier verhandelte Problematik als spezifisch ‘feministisch’ zu monopolisieren oder auf das Feld akademischer Wissensproduktion zu beschränken. Statt dessen möchte ich die in der Reflexion auf das Verhältnis von Inhalt und Form bereits angelegte Infragestellung der Dichotomie von Theorie und Praxis noch ein Stück ausweiten: Wie kann ein verantwortlicher Umgang mit den Formen, in denen wir Kritik üben, gefunden werden, in einem Verhältnis, in dem Denken und Schreiben, verstanden als Handlung und Vollzug, als Prozesse gesellschaftlicher Veränderung, als diesen nicht äußerlich aufgefasst werden?
Beginnen wir mit dem Essay als ‘ungehorsame’ Form: Joeres/Mittman attestieren dem essayistischen Schreiben eine gewisse ‘Unverantwortlichkeit’ gegenüber den Idealen akademischer Verantwortung, insofern es sich gegen Formen wissenschaftlicher Objektivität, Neutralität und Verallgemeinerung versperrt. Diese Dimension der Positioniertheit wird aus feministischer Perspektive oft als Schritt in Richtung ‘Verantwortung’ aufgefasst und ist eng verknüpft mit einer Haltung die Spivak als ‘feministische Unverantwortlichkeit’ bezeichnet: Eine Unverantwortlichkeit gegenüber dem ‘wissenschaftlichen Ideal’, Fakten und Argumente objektiv unter Angabe von Beispielen wiederzugeben, in der anschließenden Evaluation unparteiliche Maßstäbe anzuwenden und im gesamten Prozess die eigenen Zielsetzungen und Positionen unsichtbar zu halten.2 Ich halte diese Möglichkeit, den Essay als in vielerlei Hinsicht ‘positioniertes Schreiben’ aufzufassen, für einen politisch und epistemologisch sehr vielversprechenden Einstiegspunkt und fasse Positionierung in einer mehrfachen Dimensionierung als voreingenommen, begrenzt in Wissens- und Erkenntnismöglichkeiten und -ansprüchen, parteiisch für und gegen Verhältnisse und Perspektiven, involviert in die jeweiligen Gegenstände und Themen und transparent bezüglich der vorgenommenen Operationen auf. Zugleich möchte ich einwenden, wie prekär diese ‘Charakterisierung’ des Essays ist, insofern die meisten Texte zu essayistischem Schreiben gerade die ‘Undefinierbarkeit’ der Form betonen und sich selbst im Spannungsfeld der Kategorisierung des Essays als demjenigen, das sich der Kategorisierung entzieht, bewegen.3 Joeres/Mittman beginnen ihren Sammelband Politics of the Essay: Feminist Perspectives mit einer recht zurückhaltenden Positionierung des Essays im Grenzbereich zwischen Privat und Öffentlich, Fakt und Fiktion, als Genre, das sich aufgrund seiner Offenheit und Flexibilität den üblichen Klassifizierungen entzieht. Unter Verweis auf die Bedeutung des französischen essai (Entwurf, Versuch, Essay) kommen Joeres/Mittman zu folgender vorläufigen Formulierung bezüglich des Verhältnisses des Essays und des Projekts ‘Feminismus’: „In its status as a borderline genre […] the essay connects to […] the project(s) of feminism: the unsystematized nature of the essay, its spontaneous and almost accidental quality, its assumed opposition to doctrinaire, disciplinary thinking, its focus on personal experience, its cultivation of diversity, its stress on particularity, its ‘happy inheritance of meaninglessness’ […], its concern with knowledge that is intimately connected with the author, its emphasis on objects and the importance of things.“4
Der Essay als kritische Form
Gerade aufgrund dieser Schwierigkeit den Essay begrifflich zu ‘fassen’ wird er oft zum ‘Anti-Genre’ per se, der Form für kritische Reflexion und subversives Denken erklärt, dem die Fähigkeit zugeschrieben wird, gerade in der Überschreitung etablierter (bspw. disziplinärer) Grenzen deren Instabilität und Arbitrarität offen zu legen.5 Eine wesentliche Bestimmung des Essays und seines kritischen Gehalts wird also in dem Widerstand verortet, den er seiner Klassifizierung entgegensetzt. Auch wenn Adorno in seiner Charakterisierung des Essays (im Singular) als „die kritische Form par excellence”6 weniger zurückhaltend als Joeres/Mittman ist, folgt seine Argumentation einer ähnlichen Logik, wobei er den Essay im Grenzbereich von Kunst und Wissenschaft, Partikularität und Universalität positioniert.
Dabei bewegt sich Adornos Text Der Essay als Form selbst in einem Spannungsfeld: Einerseits singt er ein Loblied auf den Essay als Form des Partikularen, die der allgemeinen Theoretisierung widersteht und sich nicht zur Reduktion auf ein Prinzip, zur Abstraktion oder Generalisierung hinreißen lässt. Andererseits trifft er diese Aussagen über den Essay im Allgemeinen und nähert sich damit einer Theorie, einer Konzeption, einer normativen Setzung an - eine Tendenz die sich in seiner leicht als definitiv/definitorisch zu lesenden Aussage über den Essay als „kritische Form par excellence“ verdichtet.7
Dabei schreibt Adorno jedoch in der Form des Essays über den Essay und setzt das, was er inhaltlich formuliert, gleichzeitig formal um. Der von ihm somit performativ entwickelte Essay als Form kombiniert dabei seine philosophische Kritik an positivistischer Wissenschaft mit seiner dialektischen Auffassung, die er explizit von widerspruchsfreien Ableitbarkeiten abgrenzt: „Der Essay pariert nicht der Spielregel organisierter Wissenschaft und Theorie [..]. Weil die lückenlose Ordnung der Begriffe nicht eins ist mit dem Seienden, zielt er nicht auf geschlossenen, deduktiven oder induktiven Aufbau.”8 Adornos dialektischer Zugang bietet sowohl für die Spannung von Singularität und Totalität als auch von Wahrheit und Unwahrheit Platz: „Darum ist der Essay dialektischer als die Dialektik dort, wo sie selbst sich vorträgt […]: weder darf unmittelbar die Wahrheit der Totalität gegen die Einzelurteile ausgespielt noch die Wahrheit zum Einzelurteil verendlicht werden, sondern der Anspruch der Singularität auf Wahrheit wird buchstäblich genommen bis zur Evidenz ihrer Unwahrheit.”9
Worauf Adorno hier als die ‘Unwahrheit’ des Essays referiert, sind genau die Elemente, die er bis zu diesem Punkt als seine ‘Wahrheit’ und seinen ‘kritischen Gehalt’ ausgemacht hat: die Verweigerung einer Ableitung der Gegenstände, die fehlende Definition der Begriffe, die stattdessen umstandslos eingeführt werden. Es ist vielmehr die Verpflichtung zu definieren, die Adorno als „vorkritisch”10 bezeichnet, insofern er es als „Aberglaube[n] der aufbereitenden Wissenschaft” und ihren „Herrschaftsanspruch”11 bezeichnet, Begriffe als ‘an sich’ unbestimmt zu behandeln, als seien sie nicht implizit schon durch ihren Kontext in Sprache konkretisiert. Auch das wissenschaftliche Ideal der zweifelsfreien Gewissheit, des allgemeinen Überblicks und Bezugs aufs Ganze kritisiert Adorno als „identitätslogische Supposition”12, die ebenso wie die Forderung nach Definition das rationalistische Theorem, auf dem es beruhte, in der Wissenschaftspraxis überlebt hat. Im Gegensatz dazu bleibt der Essay offen, dem Prozess des Denkens näher als einem fertigen Produkt; dem Irrtum exponiert; jederzeit bereit abzubrechen ohne zu implizieren, es bliebe nichts mehr zu sagen; durch die eigene Widersprüchlichkeit und das Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit und Vorläufigkeit eher dem Lernprozess verwandt.13
Den an den Essay gerichteten Vorwurf der Beliebigkeit sieht Adorno dabei zugleich als zutreffend und ungerechtfertigt an: Einerseits stimmt er zu, dass der „Essay tatsächlich nicht schließt und das Unvermögen dazu als Parodie seines eigenen Apriori hervorkehrt”14, verweist aber darauf, dass das größere Problem eher in den wissenschaftlichen Formen liegt, die die ihnen ebenfalls anhaftende Spur der Beliebigkeit zu verbergen suchen. Durch diese Charakterisierungen kommt Adorno zu eben der oben zitierten Aussage über den Essay, dass „seine Tendenz […] stets die zur Liquidation der Meinung [ist], auch der, mit der er selbst anhebt. Er ist, was er von Beginn war, die kritische Form par excellence; und zwar, als immanente Kritik geistiger Gebilde, als Konfrontation dessen, was sie sind, mit ihrem Begriff, Ideologiekritik.“15
Eine wesentliche Bestimmung des Essays und seines kritischen Gehalts wird also in dem Widerstand verortet, den er seiner Klassifizierung entgegensetzt.
Zur ‘Unwahrheit’ werden diese Elemente essayistischen Schreibens für Adorno, insofern sie zwar durch den unmittelbaren Bezug auf Abgeleitetes „als wäre es an sich”16 den Begriff des Ursprungs suspendieren, gleichzeitig jedoch den „Zeitkern”, den geschichtlichen Gehalt der Wahrheit und die tatsächliche Vermitteltheit allen Seins ignorierten. Zum Element der ‘Wahrheit’ werde dies, insofern die Illusion, Kultur sei nur „zu destruierendes Epiphänomen über dem Sein”17 in eben dieser Bewegung reflektiert wird. So kommt Adorno also zu der Aussage: „Bewegt sich die Wahrheit des Essays durch seine Unwahrheit, so ist sie nicht im bloßen Gegensatz zu seinem Unehrlichen und Verfemten aufzusuchen, sondern in diesem selber, seiner Mobilität, seinem Mangel an jenem Soliden, dessen Forderung die Wissenschaft von Eigentumsverhältnissen auf den Geist transferierte.”18 Eine Charakterisierung, die die oben zitierten Formulierungen Joeres/Mittmans zu den spontanen, akzidentellen, un-disziplinierten und an Bedeutungslosigkeit grenzenden Qualitäten des Essays anklingen lässt.
Adorno hebt diese Spannung zwischen seinem Wahrheitsbegriff und dem, was er als ‘Unwahrheit’ des Essays bezeichnet auf der Ebene der Form auf: Denn da die Darstellung im Essay an die Stelle der Methode tritt, rettet das „Wie“ des Ausdrucks die „Präzision“.19 Die Begriffe werden zwar nicht definiert, dafür aber im Prozess ihrer Wechselwirkung und Verflechtung ‘erfahren’. „Alle seine Begriffe sind so darzustellen, daß sie einander tragen, daß ein jeglicher sich artikuliert je nach den Konfigurationen mit anderen.”20 Dabei entsteht kein Gerüst oder Bau, sondern eine Kristallisation der Elemente in Bewegung, gleichzeitig Konfiguration, in der Spannungen abgebildet und damit zum momentanen Stillstand gebracht sind, und ein Kraftfeld, in dem jedes geistige Gebilde dynamisiert und selbst zum Kraftfeld wird, mit dem der Essay interagiert.21 So kommt der Essay Adorno zufolge trotz seiner Offenheit und Beliebigkeit zu einer Einheit seines Gegenstands, seiner Theorie und der in ihn eingewanderten Erfahrungen – nicht als Allumfassendes, als Totalität, sondern in der ‘empathischen Arbeit’ an ihrer Darstellung,22 die Adorno in der Nähe der Rhetorik verortet. Laut Adorno erhalten die Begriffe eine Mehrdeutigkeit, die Übergänge eine assoziative Kraft, die Elemente eine Anzahl an Querverbindungen, die den Essay der Kunst und insbesondere der Musik annähern, ohne dabei seine Verwandtschaft mit der Theorie aufzukündigen.23
Die ‘musikalische Logik’, nach der Adorno sein Essay komponiert, ist zunächst auf der Ebene der Verknüpfungen und der Mobilisierung der Begriffe angesiedelt. Die erwähnten rhetorischen Elemente der assoziativen Übergänge, das ‘Nachlassen der logischen Schlüsse’, die Mehrdeutigkeit der Begriffe, der spielerisch-bewusste Einsatz von Äquivokationen, die Querverbindung von Ideen und Argumenten statt ihrer (induktiven oder deduktiven) Ableitung, stellen Adorno zufolge Momente dar, in denen „der Essay die musikalische Logik, die stringente und doch begriffslose Kunst des Übergangs [streift], um der redenden Sprache etwas zuzueignen, was sie unter der Herrschaft der diskursiven Logik einbüßte […].”24 Im Essay werden Gedanken ästhetisch arrangiert und formen Muster von Beziehungen, die in ihrer Verwebung vielfältige Berührungs- und Kontaktpunkte entstehen lassen, stringent und nicht-linear zugleich, ohne ein Zentrum, einen Ursprung oder ein telos zu bilden. In Adornos stilistischer Gestaltung des Essays ist außerdem der völlige Verzicht auf strukturierende Einteilung in zentrale Aussagen, Unterpunkte, Beispiele bemerkenswert. Ein Verzicht, der mit einem parataktischen Stil einhergeht, der verschiedene Gedanken thematisch präsentiert, diese Themen variiert, sie in vielfältige Verbindungen mit anderen Themen setzt, Harmonien und Dissonanzen erzeugt und dabei der Leser_in die Aufgabe lässt, die Dichte der kompositorischen Verknüpfung mitzuvollziehen und mitzugestalten.
Kunst braucht kein Wissen, keine Definition, keine Ontologie, sondern Komposition. Genau darin liegt ihre ‘Freiheit’ und, wie Adorno so zutreffend charakterisiert, ihr ‘Dilemma’.
In seinen Anleihen an die Kunst kommt der Essay Adorno zufolge also einer Form des Denkens und Schreibens nahe, die ihre wissenschaftlich / diskursiv organisierte Ordnung unterläuft. Und trotz teilweise sehr unterschiedlicher theoretischer Positionierungen lassen sich die verschiedenen hier versammelten Bezüge auf den Essay als kritische Form in Nähe der von Butler in ihrem Essay ‘Was ist Kritik?’ entwickelten Auffassung von Kritik lesen, derzufolge es weniger Aufgabe von Kritik ist, eine allgemein gültige oder objektive Bewertung ihres jeweiligen Gegenstandes zu liefern, sondern vielmehr das System der Bewertung selbst herausarbeiten, Gegenstände neu sichtbar werden zu lassen, als abgestützt von epistemologischen Gewissheiten, die bestimmte Perspektiven auf Welt ermöglichen und alternative Ordnungen verwerfen.25 Dabei führt der Essay in seinem ‘kritischen Verhältnis zur Gegenwart’, das Adorno als unverantwortlichen Aspekt jeder Wahrheit „die sich nicht in der Verantwortung gegenüber dem Bestehenden verbraucht”26 bezeichnet, auch eine Dimension von Zeitlichkeit ein, die sich als ‘utopisches Versprechen’ auffassen lässt.
Grenzen der Kunst und Kunst der Grenzen
Für Adorno liegt der utopische Charakter von Kunst gerade in ihrem negativen Bezug zur Gegenwart, sowohl in ihrer Funktionslosigkeit in einer „virtuell durchfunktionalisierten, vom Tauschprinzip total durchherrschten Gesellschaft,”27die gerade in ihrer Funktionslosigkeit in Opposition zur gesellschaftlichen Gegenwart tritt, als auch in ihrem eigenen Problematischwerden, mit dem Adorno seine im Angesicht der Verbrechen des Nationalsozialismus formulierte Ästhetische Theorie einsetzen lässt: „Zur Selbstverständlichkeit wurde, daß nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist, weder in ihr noch in ihrem Verhältnis zum Ganzen, nicht einmal ihr Existenzrecht.“28 Er fährt auf der folgenden Seite fort: „Angesichts dessen, wozu die Realität sich auswuchs, ist das affirmative Wesen der Kunst, ihr unausweichlich, zum Unerträglichen geworden.“29 In dieser radikalen Infragestellung von Kunst liegt für Adorno ihre Aufgabe begründet, einerseits das ‘Hässliche’ und ‘Verfemte’ zu ihrer Sache zu machen, „um im Hässlichen die Welt zu denunzieren“30, andererseits das noch nicht Bestehende aufscheinen zu lassen.31 In diesem Utopie-Begriff Adornos ist Kunst in ihrer Stellung zur Jetztheit, ihrem Widerstand gegenüber der Gegenwart positioniert. Diese Komplexität eines Ineinander-Übergehens der Funktionslosigkeit von Kunst und ihrer Funktion der Kritik an einer durchfunktionalisierten Gesellschaft bei Adorno bedingt jedoch gleichzeitig ihr Dilemma, in der ihr eigenen gesellschaftlichen Effektlosigkeit gefangen zu sein, die die Kunst nicht verlassen kann, da sie sonst riskieren würde, in den gesellschaftlichen Verwertungszusammenhang einzutreten und zur Ware zu werden.
Mir ist daran gelegen, diese Überlegungen auf das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft zurückzufalten, in Form eines Zögerns, mit der zwischen diesen beiden Feldern liegenden und diese beiden Felder in ihrem Verhältnis zueinander konstituierenden Trennung allzu leichtfertig umzugehen, ohne genauer nachzuspüren, wann sie mit Bedacht anerkannt und wann sie sorglos überschritten werden sollte. Denn sowohl Adorno als auch Spivak warnen davor, die Unterscheidung von Kunst und Wissenschaft allzu leichtfertig zu leugnen bzw. ihr Verhältnis umzukehren und dabei ihre epistemologischen Grundstrukturen (die ‘Spielregeln’ der Organisation von Wissen und Wahrheit) in dieser Umkehr intakt zu lassen. Darüber hinaus besteht das Problem, dass die Gegenüberstellung von Wissenschaft und Kunst, Fakt und Fiktion, Wahrheit und Erfindung im gegenwärtigen Episteme zu wirkmächtig ist, als dass eine tatsächliche Gleichsetzung oder Umkehr beider Bereiche möglich oder produktiv wäre.
An dieser Stelle möchte ich mich Spivak zuwenden, die marxistische_aktivistische_feministische,_dekonstruktive Perspektiven auf höchst interessante Weise vereint, um mich zum Abschluss der Frage anzunähern, was es heißen kann, die bestehende Dichotomie (von Wissenschaft und Kunst, verschiebbar in analoge Register von Objektivität und Subjektivität, Universalität und Partikularität, etc.) tatsächlich zu verändern.
Im Kon/Text ihres Buches Death of a Discipline merkt Spivak zum Verhältnis von poiesis (Dichtung / Literatur / Geschichten-Schreiben / Fiktion) und istoria (Zeitzeugen / Geschichts-Schreibung / Fakten) an: “Aristotle could get away with saying that imaginative making – poiesis – is a better instrument of knowledge – philosophoteron – than istoria, but I cannot, especially since we live in a time and a place that has privatized the imagination and pitted it against the political.”32
In der gegenwärtigen dichotomischen Gegenüberstellung von ‘Politik’ und ‘Kunst’ ist es riskant und vielleicht sogar unmöglich, die mit ‘Kunst’ assoziierten ‘imaginativen’ Formen des ‘Wissens’ als ‘besseres Wissen’ zu behaupten. Teil dieses Risikos liegt zunächst in der offensichtlichen Gefahr der ‘Entpolitisierung’ der so thematisierten Problematik bzw. der ‘argumentativen Ineffektivität’ von Kunst – denn wo würde eine solche Behauptung ‘besseren Wissens’ die sich auf Kunst statt auf Wissenschaft stützt, Gehör finden? Wer würde sie als Argument anerkennen? Und was würde mit Kunst geschehen, würde sie in der bestehenden epistemologischen Ordnung als ‘Wissen’ anerkannt?
Darüber hinaus stellt Spivak jedoch auch die Frage, was gewonnen wäre, wenn das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft einfach umgekehrt bzw. verschoben würde. In ihrem Buch A Critique of Postcolonial Reason beschäftigt sie sich erneut mit dem Verhältnis zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen der Geschichte und der Literatur,33 insbesondere mit dem Vorschlag, historische Archive wie Literatur (also Fakten als Fiktion) zu lesen:
„Perhaps my intent is to displace (not transcend) the mere reversal of the literary and the archival […] To me, literature and the archives seem complicit in that they are both a crosshatching of condensations, a traffic in telescoped symbols, that can only too easily be read as each other’s repetition-with-a-displacement.”34
Ich lese ihre Argumentation als Warnung davor, die ineinander greifenden Symbole von Kunst und Wissenschaft in ihrer Wirkmacht zu bestärken, wenn die Mechanismen der Autorisierung einfach verkehrt werden, sprich die Archivar_in gegen die Autor_in eingetauscht wird. Spivaks Warnung wirft die Frage auf, in welchen Formen dieses Verhältnis verändert werden kann, ohne die Struktur wechselseitiger Abstützung umzukehren oder zu verschieben und dabei im Kern intakt zu lassen. Die mit unterschiedlicher Macht ausgestatteten Positionen von Kunst und Wissenschaft sind im gegenwärtigen epistemologischen und politischen Rahmen nicht einfach umkehrbar: Gerade aufgrund ihrer wechselseitigen Positioniertheit im antithetischen Verhältnis und der Dichotomisierung in ‘Objektivität’ der Wissenschaft und ‘Singularität’ der Kunst kommt es darauf an, die singuläre Unverifizierbarkeit der Kunst im Bezug auf die Definitionsverfahren der Wissenschaft zu mobilisieren, nicht einfach um ihr Monopol in Frage zu stellen und daran teilzuhaben, sondern um Verfahren des Wissens zu verändern. Nicht nur anderes Wissen – andere Formen des Wissens. In Spivaks Mobilisierung der Figur der ‘Ironie’ sehe ich einen Vorschlag, wie dies gedacht werden kann:
„It is in this sense that I have called literary training the irony of the social sciences, if irony is understood as permanent parabasis. It is the name of the move by which the collectivity of the Chorus in Attic comedy moves up, again and again, to interrupt the seemingly coherent dramatic praxis – Aristotle’s word – to inform the public of a structurally different interpretation of the ‘same’ action.”35
Der Fortgang des Dramas, die notwendigen Akte der Generalisierung, die hegemonialen, als ‘Wissen’ legitimierten Erzählweisen werden immer wieder durch den Einwurf strukturell anderer Interpretationen unterbrochen - eine Unterbrechung die niemals ‘gelingen’, sondern immer nur die Grenzen der allgemeinen Bedeutung und ihrer Generalisierung aufzeigen kann. Und so bleibt auch Adornos Essay trotz seiner Komposition in Anlehnung an musikalische Formen in seiner begrifflichen Organisation “notwendig der Theorie verwandt.”36
Der für die feministische Praxis der Positionierung und ihren kritischen Gehalt so wichtige Bezug auf ‘Perspektiven von unten’, auf ‘Erfahrungen von Marginalisierung’, auf die daraus abgeleiteten Wissensansprüche und die als ‘Wissen’ legitimierte Kritik an Unterdrückung, Macht und Herrschaft brauchen ‘Definition’, ‘Konstruktion’ und ‘Ontologie’, um in der gegenwärtigen ‘Ordnung der Dinge’ den Status des ‘Wissens’ zu erhalten. Kunst braucht kein Wissen, keine Definition, keine Ontologie, sondern Komposition. Genau darin liegt ihre ‘Freiheit’ und, wie Adorno so zutreffend charakterisiert, ihr ‘Dilemma’. Aber für unsere Formen von Schreiben, in denen wir uns dem Problem der Reproduktion des Bestehenden in seiner Kritik stellen müssen, kann die Mobilisierung von Kunst als Unterbrechung und Infragestellung dieser notwendigen Re/Produktion als utopisches Versprechen einstehen, das nicht unmittelbar einlösbar ist und doch unverzichtbar bleibt.
Literaturliste
Adorno, Theodor W. Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften Bd. 7. Frankfurt a. M. 1970.
“Der Essay als Form.” In: Noten zur Literatur. Gesammelte Schriften Bd. 11. Frankfurt a. M. 1974, S. 9-33.
Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesungen. Frankfurt a. M. 1975.
Butler, Judith. “Was ist Kritik? Ein Essay über Foucaults Tugend.” DZPhil, Berlin 50 (2002) 2, S. 249-265.
Haraway, Donna J. “Situated Knowledges. The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective.” In: Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature, New York 1991, S. 183-201.
Joeres, Ruth-Ellen B., und Elizabeth Mittman. The Politics of the Essay. Feminist Perspectives. Bloomington 1993.
Spivak, Gayatri Chakravorty. A Critique of Postcolonial Reason. Toward a History of the Vanishing Present. Cambridge [u.a.] 1999.
Death of a Discipline. New York 2005.
Other Asias. Hoboken 2008.
-
Joeres/Mittman 1993, S. 20. ↩
-
Vgl. Spivak 2008, S. 59. ↩
-
Vgl. Joeres/Mittman 1993, S. 12, S. 16. ↩
-
Ebd., S.19 ↩
-
Vgl. ebd., S.12. ↩
-
Adorno 1974, S.27. ↩
-
Ebd, S.17. ↩
-
Ebd.. ↩
-
Ebd., S. 28. ↩
-
Ebd., S. 19. ↩
-
Ebd., S. 20. ↩
-
Ebd., S. 24. ↩
-
Vgl. Adorno 1974, S. 25. ↩
-
Ebd., S. 25. ↩
-
Ebd., S. 27, Wortfolge geändert, A.W. ↩
-
Ebd., S. 28. ↩
-
Ebd., S. 28. ↩
-
Ebd., S. 29. ↩
-
Ebd., S. 20. ↩
-
Ebd., S. 21. ↩
-
Ebd., S. 22. ↩
-
Vgl. ebd., S. 26. ↩
-
Vgl. ebd.: S. 31. ↩
-
Ebd., S. 31, Wortfolge geändert, A.W. ↩
-
Vgl. Butler 2002, S. 252. ↩
-
Adorno 1974, S. 13. ↩
-
Adorno 1975, S.57. ↩
-
Adorno 1970, S. 9. ↩
-
Ebd., S. 10. ↩
-
Ebd., S. 79. ↩
-
Vgl. ebd. S 127, S. 203. ↩
-
Spivak 2005, S. 37f. ↩
-
Vgl. Spivak 1999, S. 202-7. ↩
-
Ebd., S. 205. ↩
-
Spivak 2005, S. 52. ↩
-
Adorno 1974., S. 26. ↩