Stolz und Vorurteil
Markierungspolitiken in den Gender Studies und anderswo
Die aktuelle Ausschreibung für Seminare im Rahmen der Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin verlangt von Bewerber_innen „Angaben zur aktiven Auseinandersetzung (Schlüsselkompetenzen) mit rassistischer Privilegierung und Benachteiligung im Kontext struktureller Ausschlüsse“. Darin verdichtet sich eine institutionalisierte Benennungspraxis, deren begründete Herkunft wir beschreiben und auf deren ambivalente Wirkungen wir aufmerksam machen möchten. Da solche Markierungspolitiken auch außerhalb der Universität in der queer-feministischen Linken auftauchen, meinen wir, dass es an der Zeit ist, eine erneute Debatte über neu-alte Formen von Identitätspolitiken zu führen.
Die Kämpfe der Gender Studies
Die in der Ausschreibung formulierte Forderung folgt zunächst einem politischen Begehren: Strukturellen Ausschlüssen soll institutionell etwas entgegengesetzt werden. Dies motivierte nicht zuletzt das Projekt der Gender Studies selbst, das vor dem Hintergrund der feministischen und schwul-lesbischen Kämpfe in den 1990er Jahren an deutschen Universitäten etabliert wurde. Über Politiken der Institutionalisierung lässt sich streiten. Jedoch ist der Versuch, strukturelle Ungleichheiten anhand sozialer Kategorisierungen von Geschlecht und kulturellen Vorstellungen von Geschlechtlichkeit(en) zu analysieren und als Perspektive in den Kanon der Wissenschaften einzubringen, ein emanzipatorisches Anliegen und gehört zu den großen Verdiensten der Gender Studies. Genauso wichtig war und ist die Erweiterung der wissenschaftlichen Gegenstandsbereiche durch die Thematisierung anderer gesellschaftlicher Diskriminierungsformen. Dazu gehört auch die Einsicht, dass sich soziale Diskriminierungen qua Differenzkategorien wie race, Klasse und Geschlecht kulturell wie strukturell wechselseitig ergänzen und miteinander verschränkt sind, was inzwischen im deutschen Kontext oftmals unter dem Stichwort „Intersektionalität“ (aus dem Englischen: intersection = Kreuzung) gelabelt. All das hat nicht nur in Hinblick auf die Auseinandersetzungen der Gender Studies in Zeitschriften, Kongressen und Gremien wissenschaftspolitische Relevanz. So ist es gut und richtig, Student_innen zur Reflektion über derlei Vermittlungen und mithin über ihre eigene gesellschaftliche Position anzuregen. Denn ein weiterer zentraler Aspekt innerhalb der Akademisierung von feministischen Kämpfen war und ist es, die Aufmerksamkeit auf die hegemonialen (Selbst-)Verhältnisse zu lenken und die eigene Position zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Insofern hat die feministische Theorie das Projekt der beständigen Kritik des Feminismus an sich selbst zu leisten und den verwendeten Kategorien, Begriffen und Konzepten zugleich etwas entgegenzusetzen, so etwa „als Frau“ für die Rechte von Frauen und für das Verschwinden dieser Gruppe einzutreten.
Aus all diesen Gründen schreiben wir aus einer Solidarität zu den Gender Studies heraus. Gerade weil uns ihr Anliegen wichtig ist, gerade weil wir der Meinung sind, dass es möglich ist, politische Kämpfe in der Akademie zu führen und weil die Auseinandersetzung um Wissensformationen eine politische ist, halten wir eine bestimmte Form, in der diese Kämpfe ausgetragen werden, für untragbar.
Inter- und Biosektionalität
In jüngster Zeit ist in manchen Kreisen der Berliner Gender Studies eine Tendenz zu beobachten, die eine re-identifizierende Wende in dieser Disziplin einzuläuten scheint. Das heißt: Identitätspolitik in Form von Benennungs- und Markierungspraxen steht wieder auf der Tagesordnung (und in eben diesem Licht sehen wir die eingangs zitierte Ausschreibung). Kategoriale Aufzählungslogiken, von denen angenommen wurde, dass sie mit den Identitätspolitiken der 1980er Jahren längst überwunden worden seien, erleben eine Wiederkehr und werden durch einige Lehrende vor dem Beginn von Referaten und Vorträgen explizit eingefordert. Fragwürdig scheint auch die neuere Sitte, wissenschaftlichen Aufsätzen Reihungen von Selbstattribuierungen voranzustellen – etwa: „ich als weiße, heterosexuelle Mittelschichtsakademikerin“ –, ganz so, als ob derlei Markierungen bereits eine Kritik einlösen oder ein reflexives Verhältnis der Sprechenden begründen würden. Insbesondere in der so genannten Intersektionalitätsforschung der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Praxis Einzug gehalten, flankiert von endlosen – und mitunter endlos langweiligen – Debatten darüber, welche Kategorien denn nun zentral und damit zu benennen seien und welche nicht. Derlei ließe sich abtun als Rituale der Akademie, die sich der eigenen Seriosität und Ernsthaftigkeit versichert und die in der Wissenschaftsgeschiche typisch sind, insbesondere für die Stabilisierungsphase eines universitären Zweiges. Doch damit nicht genug. Genauso fragwürdig erscheint die Art und Weise, wie in diesen Kreisen der Gender Studies die Qualität von Forschungsthemen verhandelt wird. Wer warum zu welchem Thema arbeitet, wird nicht über Erkenntnisinteresse oder politisches Anliegen bestimmt, sondern über soziale respektive identitäre Positionen legitimiert oder delegitimiert. Identitäre Konzeptionen wie die des „Biomann“ – hier nicht begriffen als Verortung, sondern als Fremdzuschreibung – dienen dann dazu, eine Forschungsberechtigung einzulösen oder eben zu verweigern. Bei „fehlenden Vorraussetzungen“ eben dieser sollen konkret gestellte Auflagen erfüllt werden, wie ein jüngerer Vorfall im Kontext der Berliner Gender Studies zeigt. Unter Ausschluss aus den bisherigen Arbeitskontexten wurde eine als „Biomann“ adressierte Person aufgefordert, mehrere Wochen über Privilegien zu reflektieren, die sich aus einer bestimmten ihr zugeschriebenen Subjektposition ergäben. Am Ende der Reflexionszeit sollte ein „selbstkritischer“ Text stehen, der die Grundlage abgeben sollte, die geplante wissenschaftliche Arbeit überhaupt verfassen zu dürfen. Die Seminarleiterin schließlich war so frei, die Selbstkritik als nicht ausreichend zu beurteilen. Und nicht nur in der Akademie, auch in feministischen Gruppen und auf Plena in der linksradikalen Szene hat die Forderung, (teilweise vermeintlich) sozial privilegierte Positionen explizit zu machen, seit einiger Zeit Konjunktur. (Ein augenfälliges Beispiel findet sich in den zahllosen Such-Anzeigen linker WGs, die ganz genau zu wissen scheinen, welche Sicherheiten und Risiken mit Identitätszuschreibungen greifbar gemacht werden können. Und so ist die Teilnahme am Spielchen „Wir, weiß, heterosexuell, männlich sozialisiert suchen…“ in der Regel die Grundlage, um in den Auswahlverfahren um Plätze in linken WGs in Kreuzkölln und anderswo mitmachen zu können.)
Gerade weil uns die Anliegen der Gender Studies wichtig sind, gerade weil wir der Meinung sind, dass es möglich ist, politische Kämpfe in der Akademie zu führen und weil die Auseinandersetzung um Wissensformationen eine politische ist, halten wir eine bestimmte Form, in der diese Kämpfe ausgetragen werden, für untragbar.
Wir können in einem solchen Umgang keine politische und/oder antiherrschaftliche Praxis erkennen, dagegen aber das Begehren nach einer unangreifbaren wissenschaftspolitischen Position. Unseres Erachtens hält hier ein hygienischer Diskurs Einzug, der über Sprechpositionen und Privilegien die politische Gemengelage regulieren möchte. Die explizit benannten Privilegien und Hierarchien werden dabei nicht mehr wirklich zur Disposition gestellt, ihre Überwindung scheint nur noch nachrangiges Ziel.
Das Identitäts-GPS oder endless waiting at the intersection
Tatsächlich handelt es sich hier um ein politisches wie theoretisches Dilemma. Das materialistisch oder dekonstruktivistisch begründete theoretische Wissen um die soziale Konstruiertheit gesellschaftlicher Ordnungskategorien einerseits und damit verbundenen zugewiesenen Identitäten andererseits führt bekanntlich nicht zu deren praktischem Verschwinden. Aber die mit dem linguistic turn einhergehende Sensibilisierung für die Bedeutung der Sprache bei Hervorbringung und Aufrechterhaltung dieser Kategorien macht auf ein doppeltes Problem aufmerksam: Die Dethematisierung oder bewusste Entnennung der herrschenden Markierung läuft Gefahr, ihre Fortdauer lediglich zu leugnen. Aber ihre bewusste Benennung zum Zweck ihrer Abschaffung verfängt sich in dem Paradox, sie gerade dadurch beständig wieder aufzurufen und zu bestärken. Letztere Beobachtung ist nicht neu, sie findet sich bereits im Vorwort zu Judith Butlers Gender Trouble: Die feministische Kritik, die die Herrschaft von Männern über Frauen anprangere und zum Zwecke des Kampfes ein einheitliches weibliches Subjekt anrufe, bestätige die zweigeschlechtliche Ordnung, indem sie nach innen Unterschiede nivelliere und nach außen polarisiere. Die Kritik reproduziere also genau die Verhältnisse, die sie kritisiere.
In der scheinbaren Konkretion komplexer Herrschaftsverhältnisse, in Personifikation und Anklage, vor allem aber in Reduktion gesellschaftlicher Beziehungen auf Verhaltens- oder Sprechanweisungen realisiert sich das Politische nicht, sondern zieht sich zurück.
Aus der Einsicht in die diskursive Gewalt von Sprache müsste die Praxis der Selbstpositionierung den Intersektionalitäts- und „Interdepenz“-Theoretiker_innen auch aus anderen Gründen selbst fragwürdig vorkommen. Denn in der additiven Reihung von Privilegien und Diskriminierungen werden nur neue Hierarchien und Ausschlüsse produziert. Und wie absurd erscheint die Frage, ob die Position „weiß, weiblich, bürgerlich und heterosexuell“ weniger oder mehr der Erforschung eines Themas als „weiß, weiblich, bürgerlich mit akademischen Referenzen in der Familie, partiell bisexuell“ diene.
Was also ist geschehen? Wurde Butlers Kritik wieder vergessen? Ist sie erst gar nie richtig verstanden worden in einem deutschen Diskurs, der sich von Anfang an mit dem scheinbar leichten amerikanischen “queer” schwer tat? Oder versteht sich die Wiederbelebung von Identitätspolitiken selbst als Reaktion auf die dezentrierenden, auflösenden, subvertierenden (and so on) 1990er und 2000er Jahre? Betrachten wir eine logische Schlaufe, in der sich die emanzipatorische Analyse verfangen hat? “Diese Kategorien sind doch sozial konstruiert.” – “Ja, aber sie sind auch eine reale Existenzweise.” – “Ja, aber sie sind historisch gemacht.” – “Aber sie sind eine reale Existenzweise.” – “Aber …”
Ich bin klein, mein Herz ist weiß, denn ich weiß um meine Privilegien oder Ich glaube an Erlösung durch die endlose Reflexion meiner Privilegien
Gleichzeitig sind die Probleme diffiziler, als es auf den ersten Blick vermuten lässt. Denn die Aufforderung, sich unbedingt positionieren und verorten zu müssen, produziert ein Klima des Misstrauens und der Verdächtigungen und unterliegt nicht selten der Gefahr eines Zwangsoutings, wenn minoritäre Positionen zur Vereindeutigung aufgerufen werden, die sich mitunter aus guten Gründen für Unsichtbarkeit entschieden haben. Auch wirkt der Diskurs um die Selbstpositionierung auf Menschen, die den hochgradig voraussetzungsvollen Jargon nicht beherrschen (und in Folge dessen bestenfalls mit Nichtachtung gestraft, schlimmer noch, kollektiv sanktioniert werden) in hohem Maße einschüchternd. Mit einer Markierungspolitik, die auf explizite Weise identitäre Kategorisierungen einfordert, erlangt zudem eine Praxis der Selbstbezichtigung Konjunktur, deren Nähe zu den religiösen Praktiken des Bekenntnisses und der Beichte unübersehbar ist. Während die Beichte aber in ihrer katholischen Form im Zwiegespräch mit dem Gottesvertreter heimlich geschieht, hat das öffentliche Bekenntnis vor der Gemeinde der Gläubigen sein religiöses Vorbild in der russisch-orthodoxen Kirche. Als solches ging es vor allem in den 1930er Jahren in die politische Praxis der Reinigung in der Sowjetunion und der Kommunistischen Internationale ein. Das Entscheidende ist: Auch die sozialistische Selbstkritik wurde in emanzipatorischer Absicht vollzogen. Sie gründete im Wissen darum, dass auch die Linken nicht als Linke zur Welt kommen, dass auch Revolutionär_innen mit den Fehlern der Gesellschaft behaftet sind, die sie bekämpfen. Die Selbstkritik steht in der Tradition der Aufklärung. Und auch ihre Kollektivierung ist konsequent in der Ablehnung jeder äußerlichen, metaphysischen Autorität (Gott, Gesetz, Gewissen).
Die Effekte kritischer Selbstpositionierung oder markierender Selbstkritik sind jedoch oftmals nicht die erwünschten, zumindest sind sie nicht hauptsächlich emanzipatorisch. Öffentliches Selbstschämen und Beschämen von anderen in Seminaren oder auf Plena, umfangreiche schriftliche und mündliche Äußerungen zu den eigenen Privilegien funktionieren zumindest praktisch eher als Moralismus denn als politischer Kampf. Sind sie nicht als Wunsch nach der alles bedenkenden Position zu verstehen (der somit – entgegen dem eigenen Anspruch – einem Totalitätsdenken verhaftet ist)? Nach einem Sprechort, an dem die Sprechenden sich von aller Schuld an der Teilhabe an gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen reingewaschen haben – letztlich nach Erlösung? Diese Position gibt es nicht. Sie ist ein christliches Phantasma der Reinheit. Die gegenwärtige Debatte kann hingegen nicht religiös-moralisierend, sondern nur politisch ausgetragen werden.
Allerdings ergibt sich auch hier ein Dilemma. Eine Politik, die zugunsten der Auseinandersetzung auf institutionalisierte Moralcodes und Verhaltenstickets verzichtet, hat anstrengende Auswirkungen. Ist es wirklich wünschbar, dass jedes Arschloch jede Scheiße einfach so rausplärren soll, damit der Mist auf dem Tisch liegt, wo er im offenen Konflikt bearbeitet werden kann? Oder machen moralische Regeln zum Sprechverhalten es nicht wirklich wesentlich einfacher für diejenigen, die von bestimmten Redeweisen regelmäßig verletzt werden (und die kein Bedürfnis haben, zusätzlich zur wissenschaftlichen Arbeit stets noch politische Bildungsarbeit gratis mitzuleisten)?
Jedoch besteht in den momentan vorfindbaren individualisierten Selbstbefragungs-, Selbstbezichtigungs- und (Selbst-)Positionierungsritualen die falsche Vereindeutigung dieses Dilemmas. Und damit ist ein Punkt erreicht, an dem wir Einspruch erheben. Entgegen der eigenen Forderung nach Reflexion wird dadurch jegliche analytische, begreifende Arbeit – sei sie dekonstruktiv, sei sie materialistisch – abgewendet. Was hier geschieht, ist ein Stillstellen des Denkens, der Vollzug politischer Faulheit – und somit Ausdruck genau der Privilegien, die man benannt hat und meint, dadurch bereits problematisiert zu haben.
Das „Recht auf Faulheit“ meint etwas anderes …
Dieser Stillstand findet seinen Ausdruck auch in dem durch das Bekenntnisspiel implizit mit angebotenen Ort des Freispruchs durch die „Zertifizierung“ der ausreichenden Privilegienreflexion – so im Beispiel der vom Arbeitskontext ausgeschlossenen Person wie auch in der eingangs vorgestellten Ausschreibung für Lehrende in den Gender Studies. Aber welcher Ort soll das sein? Und wer soll das Recht haben zu beurteilen, wann die Reflexion auf Privilegien abgeschlossen und ausreichend ist, wann die „Schlüsselkompetenz“ erreicht wurde? Sollten Personen, die sich dieses Urteil anmaßen, – im Falle von Professor_innen scheint dies besonders perfide – nicht das strukturelle und durch diese Geste unterstrichene Macht- respektive Gewaltverhältnis reflektieren?
Wie dem auch sei, hinter den vermeintlichen „Schlüsselkompetenzen“ dieses aufgesetzten Antirassismus der oben zitierten Ausschreibung verbergen sich die Eckpfeiler neoliberaler Regierungsweisen. Abgefragt wird die Eloquenz der Selbstpositionierung im Sinne akademischer Trendvermarktbarkeit (Stichwort: karriereorientiertes Mentoring im akademischen Antimainstream): ein dazugehöriger Wissensbestand, eine Wissensressource, eine durchkonzipierte und bestens verwertbare Haltung („Sei austherapiert, habe deine Emotionen und Privilegien unter Kontrolle, wisse um die verkaufssteigernden Effekte auf deine Karriere, wenn du die Veräußerlichung deiner privaten und biographischen Details betreibst“, etc.). Stattdessen sollte kritisch nachgefragt werden, wenn sich das Projekt der Privilegienreflexionen offenbar formvollendet in das Instrumentarium des neoliberalen Hochschulumbaus einfügt. Und wenn die Abfrage der möglichst eloquenten, möglichst elaborierten Reflektion der eigenen Verortung den politischen Status (oder Habitus) der Gender Studies als Alleinstellungsmerkmal garantieren möchte, die politische Praxis und Position der Bewerber_innen aber nicht mehr darin vorkommt, sollten wir uns die Frage stellen, was das noch mit, tja, Politik zu tun hat.
The wild wild West
Was sich vor unseren Augen abspielt, ist auch das klassische Format weißer Weinerlichkeit, wie sie etwa James Baldwin so treffend beschrieben hat. Die Akademie hat sich für Kanaken1 bislang kaum geöffnet, es sei denn, sie bedienen das Exotismus-Programm ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Sparte und beforschen identitär zurechtgezurrte Themen wie Folklore, Trachten, Völkerschlachten. Die Intersektionalitätsforschung konzentriert sich jedoch gegenläufig auf die Figur der an ihrer Whiteness leidenden Akademiker_innen und privilegiert diese gegenüber anderen Subjektpositionen. Auch dies ist der bereits zitierten Stellenausschreibung anzumerken, die erst nachrangig darüber informiert, dass sich strukturell von Rassismus betroffene Personen zur „Privilegien“-Sparte nicht äußern sollen.
Unseres Erachtens hält hier ein hygienischer Diskurs Einzug, der über Sprechpositionen und Privilegien die politische Gemengelage regulieren möchte.
Unter umgekehrten Vorzeichen spiegelt sich hier ein bevormundender Dominanzdiskurs wieder, der Kanaken unter dem Vorzeichen der paternalistischen Ideologeme des Schutzes und der Hilfe abermals zum Schweigen bringt. Der Vorstellung anzuhängen, dass Migrant_innen per se über keine „Privilegien“ verfügten heißt, die Frage nach den sozialen und politischen Verhältnissen, die Kanaken erst zu solchen machen, zugunsten identitärer Wohlfahrtsvorstellungen preiszugeben. Kollektiv werden so auch jene zu Opfern gemacht, die sich nie als solche empfunden und verhalten haben. Und dies eben nicht aus einem genuinen Interesse daran, die Zusammensetzung der Akademie dauerhaft zu verändern, sondern um zu gewährleisten, dass das weiße/cisdeutsche, über-Privilegien-reflektierende Subjekt im Zentrum der Aufmerksamkeit bleiben kann. Selbst wenn Kanaken in den Gender Studies bessere Chancen darauf haben sollten, einen Lehrauftrag zu erhalten, als dies in anderen Disziplinen der Fall ist, kreist die Regelung der verbalen Entprivilegierung um Fragen der Repräsentation, nicht aber um Rechte. Sie ist das Gegenteil einer praktischen Kritik, weil sie die Präsenz einer transzendenten Absicherung garantiert (jener Figur der Whiteness-geplagten cisdeutschen Akademikerin also), aber nicht über die Selbstanklage hinausweist. Herkunftsbenennungen bleiben auch in umgekehrter Form, auf das ‚eigentlich’ nach Herkunft fragende Subjekt zurückgekippt, problematisch, da sie soziale Positionen im Sinne kulturalisierter Platzanweisungen fixieren. An dieser Stelle sei exemplarisch auf das Manifest von Kanak Attak aus dem Jahr 1997 verwiesen, das sich explizit gegen die Frage nach Pass oder Herkunft wendete: Ein iterativer Umgang mit Rassismus funktioniert nicht, schützt nicht und macht auch aus Intersektionalitätsgläubigen keine besseren Subjekte.
Im Übrigen enttarnt sich die Proklamation der „Intersektionalität“ als neues wissenschaftspolitisches und herrschaftskritisches Paradigma im Sinne eines historischen Wiederholungszwangs – ein Whiteness-zentrierter Feminismus ist schließlich schon vor Jahrzehnten von all jenen kritisiert worden, die sich darin nicht wiedergefunden haben bzw. dort nicht willkommen geheißen wurden. Es ist nicht das erste Mal, dass ihre Geschichte aus dem Kanon ausgeblendet wird.
Politik und Moral
Interessant ist nicht zuletzt die Verkehrung der Intention in Bezug auf das Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Die Markierungspraktiken treten mit dem zuweilen explizierten Anspruch auf, die Gender Studies zu (re)politisieren – und die teils heftigen Auseinandersetzungen, die sich um Benennungs-, Skandalisierungs- und Ausschlusspraktiken entfachen, scheinen dem auch zunächst Recht zu geben. Tatsächlich wiederholt sich aber eine Bewegung, die aus der langen Geschichte der Linken schon allzu bekannt ist. In der scheinbaren Konkretion komplexer Herrschaftsverhältnisse, in Personifikation und Anklage, vor allem aber in Reduktion gesellschaftlicher Beziehungen auf Verhaltens- oder Sprechanweisungen realisiert sich das Politische nicht, sondern zieht sich zurück.
Nicht als Motiv oder ethische Grundierung, aber als Form ist die Moral das Gegenteil der Politik. Wo sie den Konflikt in individuelle Regeln zu bannen oder ihm zuvorzukommen sucht – dieses darf gesagt werden, jenes muss expliziert werden –, schafft sie nur Merkaufgaben für Streber_innen, die auf diesem Ticket dann Karriere machen.
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Zum Begriff Kanake siehe http://www.kanak-attak.de ↩