Tango Queer Buenos Aires
Ein paar Gedanken zur Verortung des Tango in heterosexistischen Gesellschaften.
Zu Standardtänzen im Allgemeinen und zum Tango im Besonderen.
Tanzrollen sind Teil der weiblichen und männlichen Maske, oder anders ausgedrückt der Geschlechterrollen. In den meisten Fällen heißt dies: Mann führt, Frau wird geführt. Im Tango: El hombre conduce, la mujer luce. (zu deutsch: Der Mann führt, die Frau glänzt.) Der Körper der Frau erscheint so als ein für den Mann zugreifbarer, formbarer, führbarer. Was macht dieses Geführtwerden mit einem Menschen? Was das Führen? Was wird uns auf diesem Weg in den Körper eingeschrieben?
Der Körper der Frau erscheint so als ein für den Mann zugreifbarer, formbarer, führbarer.
Die Binarität des Tanzes ist nur in wenigen Tänzen aufgebrochen – bspw. ein wenig im lockeren Swing, da dort auch PartnerInnen gewechselt werden können. Der Tango hingegen gilt als besonders heteronormativ, ist aber kein Sonderfall (vgl. Rock’n’Roll). Dennoch, wenn wir die in uns aufkommenden Bilder Tango tanzender Paare genauer analysieren wollen, sollten wir unterscheiden können: Ist der Tango gemeint, den ein 70jähriges Paar im bonaerensischen Park zwischen anderen Tanzenden in Jeans vor einem Ghettoblaster tanzt, oder spricht man vom Turniertanz Tango? Tango als klassischer tango argentino ist extrem heteronormativ. Tango als europäisches Erotikum/Exotikum jedoch noch viel mehr. Es gibt hier keinen qualitativen Unterschied, da die zwei Pole immer bestehen. Doch in der Stilisierung des Tango liegt auch eine Verstärkung der Extreme.
Kurz zur Geschichte des Tango.
Wie Vielen bekannt sein dürfte, entstand der Tango als Tanz zwischen Einwanderern, man munkelt zunächst als Tanz zwischen Männern, denn diese strömten en masse aus dem verarmten Europa und Russland nach Argentinien. Dies macht sich auch bemerkbar in der eigenen Sprache, die teilweise im Tango verwendet wird und die nicht aus dem Spanischen allein ableitbar ist: der Lunfardo. Tango wird zudem oft als leidend empfunden – tatsächlich geht es oft um unmögliche Liebe, Verlassen, um Sehnsucht, um Vergangenheit: klassische Themen der MigrantInnen. Erst später dann, so heißt es, wurde mit Frauen getanzt, in sogenannten zwielichtigen Milieus der Hafengegend von Buenos Aires im späten 19. Jahrhundert. Durch seinen (Re-)Import im frühen 20. Jahrhundert nach Europa erhielt er ein salonfähiges Angesicht – durch die Aneignung in Berliner, Pariser, Warschauer, Budapester Cafés. Als er dann als argentinisches Erfolgsprodukt zurück nach Argentinien kam, war er stilisiert, ästhetisiert, aber auch stärker heterosexualisiert.
Der Tango in der argentinischen Gesellschaft.
Im Tango war es tatsächlich möglich, dass Frauen in Männerkleidern sangen, Frack und Zylinder waren beliebte Kleiderstücke, die Stimmen oft ungewohnt tief (Tita Merello). Wenn etwa über die verflossene Liebe gesungen wurde, war oft nicht ganz geklärt, ob nun eine Frau oder ein Mann besungen wird – so manche Sängerin hat so ihre Liebste ganz ohne Skandal in den dreißiger oder vierziger Jahren besingen können und wird heute als Ikone (Azucena Maizani, 1907 geboren, ist nur ein berühmtes Beispiel)) der Lesbierinnen gefeiert. Viele dieser Texte wurden jedoch im Zuge der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz „geglättet“, also vereindeutlicht.
Im Tango war es tatsächlich möglich, dass Frauen in Männerkleidern sangen, Frack und Zylinder waren beliebte Kleiderstücke, die Stimmen oft ungewohnt tief (Tita Merello).
Im Tango gibt es verschiedene Masken – auch ein männlicher Sänger nimmt sich eine Rolle an, wenn er singt (man sehe nur Carlos Gardel). Der Ganove, Cafiche (Zuhälter und Angeber), Trickbetrüger wird plötzlich zum sensiblen, trauernden Tangosänger. Die Frage kann demnach nicht lauten, wie authentisch die männliche und die weibliche Rolle im Tango sind. Rollen sind Rollen, wollen erlernt sein und sind somit nie natürlich. Aber dennoch werden manche Rollen klassisch, wenn kulturell stark auf sie rekurriert wird. Im (Standard)Tanz wird so die Zweiteilung in männliche und weibliche Rollen Grundlage des Tanzens überhaupt – so auch im Tango.
In Buenos Aires gibt es inzwischen mehrere Lesbigay-Milongas (Tanzabende), doch de facto sind sie Gay-Milongas, in denen es noch immer den starken und schwachen, den führenden und den geführten Part gibt. Wieso, wird Mariana Docampo, die Begründerin des Tango Queer in Buenos Aires, neben anderen interessanten Gedanken in ihrem Artikel „Tango Queer Buenos Aires“ für uns verfolgen. In Buenos Aires, ähnlich wie in Uruguay und Brasilien, sind bei den sogenannten „Marcha Gay“s vor allem Gays, Transfrauen und Drag Queens im Vordergrund. In dieser stark patriarchalen Gesellschaft sind es auch hier Männer und jene Frauen, die als Männer sozialisiert wurden, die die Öffentlichkeit prägen.
Lesbische Frauen, als Frauen sozialisierte Männer (Drag Kings und Transmänner), kurz: Queers, die als heterosexuelle Frauen erzogen wurden, beginnen jedoch zunehmend, sich Sprachrohre zu suchen. Dies ist aber eine recht neue Entwicklung – bislang sind sie unterrepräsentiert, werden gesellschaftlich nicht ernst genommen (so rufen selbst Polizisten den Frauen, die Hand in Hand herumlaufen, hinterher: Na, gibt’s nicht genug Männer?). Der Feminismus sowie die queer theory (und Praxis) bahnen sich langsam ihren Weg: Mujeres Creando, Tango Queer Buenos Aires, queer-lesbische Lokalitäten wie der BACH-Club und nun seit aller jüngster Zeit auch legale homosexuelle Eheschließungen sind Zeichen dieser Veränderung. Mit der linksliberalen Regierung, die Argentinien zur Zeit hat, sowie einer Präsidentin, die sich zumindest symbolisch gegen Kirche und Machismo durchzusetzen versucht, ist dem vielleicht eine Chance gegeben. Das die Gesellschaft selbst damit jedoch revolutioniert sei und sich queers zu jeder Nachtzeit und überall auf die Straße begeben können, bleibt jedoch ein Traum in einem Land, das mit enormer Armut zu kämpfen und erst vor 25 Jahren die letzte autoritäre Militärregierung hinter sich gelassen hat. Es bleibt die Freiheit einer Gruppe von Menschen in einer Blase der Millionenstadt Buenos Aires.
Tango Queer Buenos Aires
Tango Queer was created in Buenos Aires in 2005 by me and a group of students and friends. Together, we discussed ideas for a tango scene free from the norms and codes of traditional tango, which govern and limit the possibilities for communication between people.
In the beginning, Tango Queer was a tango class followed by a practica at the bar Simón en su Laberinto in San Telmo, plus a lesson and weekly practica at Casa Brandon. In 2007, I opened the Milonga Tango Queer at Buenos Aires Club, which continues to run at this location every Tuesday.
Tango Queer organizes many activities, parties and cultural events throughout the year. Since 2006, it has been involved with the organization and running of the International Queer Tango Festival of Buenos Aires, and welcomes dancers to its dedicated space there.
Why “Queer Tango”
In the beginning, and after many discussions, we decided to use the name “tango queer” because:
I) Using the word “queer” to define ourselves involves taking over the term and giving a new meaning to its still pejorative connotation. This implies the subversion of an established structure.
II) Since the term includes anything that is not standard, the term includes everyone, without setting anyone under a static order, but as a foundation for coexisting in diversity.
III) The erotic, sensual and social role that gays, lesbians, bisexuals, and transgender occupy in society is pretty much disputed. This actually eases the possibility of exploring through dance new ways of communication.
IV) “Queer” people dancing to Tango the way they feel like, is taking over the traditionally chauvinistic emblem that excludes diversity from the structure of the dance itself and promotes power relationships amongst genders. Taking over offers the possibility of having different dynamics for each one, promoting communication as equals.
Feelings
Tango itself as a dance is not only music and movement. Tango has to do with communication between two persons. It is a language established between two bodies that flow with sensuality. For a few minutes - the minutes a song lasts - strong emotions are conveyed among the dancers. That is why Tango is related to feelings, to senses and to the way we express what we feel.However, in its original form, Tango has been a dance for export as an Argentine emblem.
Tango as a symbol - Heterosexuality
Something has symbolic representation therefore it “exists”. Only then is it recognized by society.
Tango is a popular dance and, like any other, it works as a mirror for the society from which it emerges and in which it is practiced. In this case the society of the city of Buenos Aires. But tango is also a dance that has a strong sensual connotation. Hence this mirror reflects nothing but the way our society sees eroticism between its constituents. In the first place: Man-Woman; then: Active-Passive; two well-differentiated roles, two poles. Such opposition simplifies the complex erotic bond that can exist between individuals. Although it represents a considerable majority in our society, it establishes the “allowed” way of feeling that conditions and censors many other different ways of feeling. This is instituted as a stereotype to follow, and all those that feel differently are left outside this mold. Because without doubt the eagerness to unify divides identity. Such social representation we could symbolically think of as an “Erotic Feeling Formula”. Therein lesbians, gays, bisexuals and transgender people are not represented. Nor straight men and women that conceive eroticism in a different way from the one this “formula” states.
“Queer” people dancing to Tango the way they feel like, is taking over the traditionally chauvinistic emblem that excludes diversity from the structure of the dance itself and promotes power relationships amongst genders.
However, our society is changing. And Tango continues to faithfully mirror our society, changing along with it. It is this possibility of change that opens the doors to Queer Tango.
Women
Hardly anyone will argue that traditional tango is a chauvinistic dance. Without going any further, this is firstly evidenced on how roles are designated: man leads, woman follows. And although - in the best of cases - it is true that roles are meant to be complementary, the position one person occupies over the other is quite uneven. Mainly when the role is naturally attributed to gender, and does not allow exchanging roles to be an option. Such inequality is strictly related to difference of knowledge. While the man/leader is the one who carries most of the information in relation to steps and movements, the woman/follower is taught from the beginning to allow herself to be guided. Pleasure of the dance increases as the woman becomes more and more docile and the man more confident. As a result of this dynamic, a woman without a leading man cannot take one single step. She becomes dependent on the man for her movements.
This sort of relationship is very evident in the traditional styles of tango such as the “Milonguero” style. In new Tango styles women have begun to participate more and their active cooperation has even become necessary. Still, the symbolic burden of control that the roles bear, is the same, being set depending on the gender.
What we question is not the existence of different roles, which is the primary basis of Tango-dance structure, but the way they are set and identified with gender, as if one thing was strictly related to the other.
Women are not usually willing to lead and suggest a different role for themselves within the Tango dance. This might be out of contentment or perhaps out of fear of upsetting the man. Nevertheless, within the last years some women have appeared dancing amongst themselves in “Milongas”. This being either because they want to, or to strengthen knowledge with practice, without which exchanging roles could not be possible.
Lesbians
One of the biggest struggles of lesbians was and still is the struggle to be visible, that is to say, for lesbians to be socially recognized.
Lesbians have been historically omitted and were used to silence or disguise their love and eroticism, have perhaps made of silence their way of existence.
To see this, it is enough to go back over how roles in Tango are designated, to which we have given the name “Erotic Feeling Formula”: man-leader and woman-follower.
We have already discussed symbolism in the designation of roles and also the dependence the woman-follower has on the leading-man.
As a result of this formula, a woman that chooses another woman as a dance partner will face a large obstacle: neither of them will be able to lead. Therefore, symbolically speaking, it would be impossible for them to dance Tango with one another. This does not happen when a couple of men try to dance Tango together, for both of them play an active role. The absence of symbolic representation in such an idiosyncratic dance like Tango makes proof of social invisibility. As a result, for an anthropocentric society like ours, lesbianism is something that cannot be conceived. That is why we see in this woman-woman formula – the impossible formula in Tango – the most subversive one. In order to bring about this impossible formula, it is necessary for at least one of the women to lead so that each woman can take up a different role, or that both of them take in both roles indistinctly, allowing the possibility of exchanging roles.
This practice questions not only the structural sexism in the dance, but also admits the exploration of Tango through an exchange in which difference does not imply power inequality, but a new way of communication.
DANCE TECHNIQUE - Role exchange
Queer Tango proposes the possibility for people who dance tango to freely choose the role they want to take up and also which gender they prefer to dance as/with.
To be able to perform this way, the teaching technique used is exchanging roles. This means for everyone to learn to lead and follow. Dancers have the power to choose to dance the role they prefer or to exchange roles, depending on the person they are dancing with and the moment they decide to do so.
This technique allows to explore the dynamics in more equal relationships. So the symbolic power that lays on the leading role vanishes when either person can take up either role, indistinctly.