Know your avantgarde history
Ein Kurz-Interview mit Martin Büsser über das Verhältnis von Weiblichkeit, Feminismus und künstlerische Avantgarden
Outside: Adorno beklagt in Minima Moralia, dass mit zunehmender Rationalisierung Künstlerinnen und Bohèmiennen dermaßen in die kapitalistische Verwertungslogik integriert seien, dass sie dem bürgerlichen Mann nicht mehr – wie noch im Liberalismus – als Flucht ins sexuelle „unreglementierte Glück“ dienen könnten.1 Ein sehr regressives Geschlechterbild! Welche Rollen wurden denn den Avantgarde-Frauen innerhalb der Avantgarden zugewiesen? War das Frauenbild vorrangig ein sexistisches?
Martin Büsser: Innerhalb der historischen Avantgarden am Beginn des 20. Jahrhunderts gab es keinen kritischen feministischen Diskurs. Die Surrealisten führten zwar Gespräche über Sexualität, doch wenn man diese heute liest, merkt man, dass die Frau da lediglich als Objekt vorkommt. Trotz des eigenen Anspruchs, bürgerliche Kunst und bürgerliche Werte radikal in Frage zu stellen, existierte kein Bewusstsein über den Zusammenhang zwischen der Gesellschaft und den darin vorherrschenden Geschlechterrollen. Das ist erst sehr viel später thematisiert worden. Frauen in der Avantgarde wurden fast immer nur als Gespielinnen und Musen angesehen oder sie dienten als Projektionsfläche der überwiegend männlichen Künstler. Natürlich gab es vereinzelt Künstlerinnen, die zum Teil auch feministisch sehr aktiv waren, Hannah Höch zum Beispiel bei den Dadaisten. Doch sie war damals eine Ausnahme.
Outside: Welches Frauenbild zeigt sich in den Werken? Uns fällt auf, dass das Bestreben der Avantgarden, die uneingelösten Begierden der Gesellschaft in der Kunst zum Ausdruck zu bringen, oft mit der Projektion auf die Frau als „unverfälschtes Naturwesen“ wie schon im Kunstdiskurs des 18./ 19. Jahrhunderts einherging. Beispielhaft wäre hier die surrealistische Fotografie zu nennen.
Martin Büsser: Ausgehend von der in Avantgarde-Kreisen sehr in Mode gekommenen Psychoanalyse wollte man ungehemmt all das zu Tage treten lassen, was man empfindet. Ohne die Verknüpfung mit einem reflektierten Gender-Diskurs kommt dann so etwas heraus wie die Frau als ursprünglich naives Wesen, als begehrtes Objekt. Komplementär dazu gab es immer auch den Stereotyp der Frau als verachtenswert und gefährlich. Bemerkenswert sind die unwahrscheinlich vielen Darstellungen von Frauenmörderinnen in der Kunst insgesamt. Ein anderes Beispiel ist der Künstler Hans Belmer, der an der Schnittstelle von Dadaismus und Surrealismus zu verorten ist. Er gestaltete Frauenkörper als monströse Puppen, ohne Gesichter, nur mit Brüsten und Beinen.
Die Autorinnen Germaine Greer und Rose Blight zeigen in ihrem Buch “Der Knabe“, dass in früheren Kunstepochen, beispielsweise der Renaissance, auch der Männerkörper Objekt der Begierde war.2 Erst in der Moderne hat fast ausschließlich der Frauenkörper diese Funktion inne. Gender-technisch gesehen fällt also die historische Avantgarde hinter die Renaissance zurück.
Outside: Würdest du dem einzelnen Künstler seine Blindheit für die Geschlechter-Thematik zum Vorwurf machen oder sagen, dass die Gesellschaft einfach noch kein Bewusstsein dafür hatte?
Martin Büsser: Künstler sind oft nicht besser als die Bedingungen, in denen sie leben. Aber gerade eine Avantgarde, die von sich behauptet, Vorreiterin von etwas Neuem zu sein, hätte sich Geschlechter-Fragen stellen sollen.
Outside: Die (Selbst-)Wahrnehmung als Avantgarde tauchte dann noch mal verstärkt bei Künstlerinnen der 60er Jahre auf, allen voran der „Pop Art“. Wie sah es dort aus mit der kritischen Reflexion auf das Geschlechterverhältnis?
Martin Büsser: Das Skizzierte setzt sich im Grunde auch nach dem 2. Weltkrieg fort. Da gibt es diese Typen wie Jackson Pollock, diese genialischen Männer, die ihre Farbe auf der Leinwand verspritzen und die so etwas Vitalistisches an den Tag legen. Und dieses männliche Selbst-Bild zieht sich auch weiter in der Pop Art durch. Geändert hat sich das, wenn wir von der bildenden Kunst sprechen, nur zögerlich ab den 70er Jahren. Auch dann waren feministische Positionen vor allem als singuläre Positionen einzelner Künstlerinnen vertreten. Wichtige Namen sind Barbara Jürgens und Vallie Export in Österreich oder Yoko Ono in den USA. Sie alle haben mit künstlerischen Formen gearbeitet, die es schon gab, vor allem Performance und Videokunst. Feministische Strategien in der bildenden Kunst haben aber nie die Massenwirksamkeit erreicht, wie sie dann später in der Popkultur möglich war. Interessant ist auch, dass es bis heute nur wenige männliche Künstler gibt, die sich für feministische Belange einsetzen. Das waren und sind fast immer nur Künstlerinnen.
Outside: Gab es in der Geschichte explizit feministische Avantgarden oder Frauenkollektive jenseits der Salons des 18. Jahrhunderts?
Martin Büsser: Die Riot Grrrrls in den USA wären so etwas, weil sich Musikerinnen vernetzt haben und einen großen politischen Überbau hatten, der hier allerdings nie angekommen ist, sondern im Wesentlichen als Style-Phänomen rezipiert wurde. Diese Gefahr besteht heute bei allem.
Outside: Welche Rolle spielt denn für dich persönlich das Geschlechterverhältnis?
Martin Büsser: In meiner Arbeit spielt es schon eine große Rolle. Für mich privat hingegen spielt es keine Rolle, ob mir ein Mann oder eine Frau gegenübersitzt. Das ist, glaube ich, auch das, was quer im Gegensatz zu schwul/lesbisch und den alten Kategorisierungen meint: Dass man wegkommen muss von diesem heteronormativen Denken. Das bedeutet aber auch wegkommen von der Einteilung, die diesem heteronormativen Denken verschuldet ist: schwul/lesbisch/bi, und die immer noch von einem biologischen Geschlecht ausgeht. Ich denke, das Problem ist die Festlegung, die letztlich dann eben auch wieder zu identitären Prozessen führt. The Hidden Cameras haben das mit Ban Marriage ganz schön vertont, also dass es Schwule gibt, die in der Mainstream-Gesellschaft eins zu eins aufgehen wollen, ohne noch zu reflektieren, dass man eigentlich aufgrund seiner Minoritätserfahrung auch Solidarität mit anderen Minoritäten haben sollte. Diese Reflektion geht immer mehr verloren.
Outside: Ich weiß nicht, ob das so genügt – ich habe oft den Eindruck, ich komme nicht so recht aus meiner geschlechtlichen Sozialisation heraus, wenngleich ich mir natürlich einiges von dem wünsche, wie du es gerade formuliert hast.
Martin Büsser: Ich glaube, da muss jeder Mensch ständig an sich selbst arbeiten.
Outside: An sich selbst?
Martin Büsser: Ja.
Outside (lacht): Na gut.