Anna Kow

Gefährliches Vergnügen: Sex und Feminismus.

Ein Abriss

Sex, als ein Konglomerat von Symbolik und Herrschaft, Begehren und Überforderung, Sehnsucht nach reiner Natur und Kämpfen gegen Naturalisierung, ist für den Feminismus nie einfach nur eine „schöne Nebensache“ gewesen: Als „Spiegel und Instrument der Unterdrückung der Frauen in allen Lebensbereichen“1 wird Sexualität ab den 70er Jahren zu einem zentralen Aspekt im Kampf gegen das Patriarchat. Aus der Erkenntnis, dass männliche Herrschaft sich im Sex verkörpert – im Akt der Penetration als einem tradierten Verhältnis von Aktivität und Passivität, in der Allgegenwärtigkeit (pornographischer) Bilder von männlicher Dominanz und weiblicher Unterwerfung, in der Normalität sexualisierter Gewalt im privaten wie im öffentlichen Raum – ergeben sich zwei verschiedene Ansätze einer (weiblichen) sexuellen Emanzipation: Verweigerung oder Aneignung der kulturellen Muster.

Gemeinsam ist beiden Strömungen die Überzeugung, dass Sexualität als etwas kulturell Gewachsenenes in einer (unter anderem) auf dem Machtgefälle zwischen Männern und Frauen aufbauenden Gesellschaft nicht frei sein kann; und dass jeder Versuche einer Befreiung durch Sexualität die Kritik herrschender (Geschlechter-) Normen, Praktiken und Beziehungskonstellationen voraussetzen muss. Sex, der als privat und natürlich gilt, wird im Feminismus als ebenso künstlich/gesellschaftlich wie politisch entlarvt: Der heterosexuelle Akt (Mann fickt Frau) dient demnach nicht nur der Reproduktion der Menschheit, sondern vor allem der der Geschlechterverhältnisse, und die allgemeine Männerphantasie der sexuellen Verfügbarkeit von Frauen würde in Prostitution und Pornographie auf öffentlicher Ebene verwirklicht. Infolge dessen kann für die so genannten „Radikalen“ Feministinnen sexuelle Emanzipation nur in der Abkehr von einer männlichen Sexualität, vom Sex mit Männern überhaupt bestehen - „feminism is the theory, lesbianism is the practice“. Lesbisches Begehren - die Rückeroberung des weiblichen Körpers – wird sowohl als Antwort auf eine frauenverachtende Gesellschaft als auch als utopischer Raum zur Entwicklung oder Wiederentdeckung einer eigenen, womöglich sogar genuin weiblichen Sexualität gedacht. Wenn das männliche Verständnis von Sex schwanzfixiert, gewaltsam und funktional ist, dann muss eine emanzipatorische Sexualität dementsprechend ihren Schwerpunkt auf Zärtlichkeit und Empathie, Gleichheit und Emotionalität legen – weibliche Eigenschaften, gegen deren Zuschreibung sich Frauen auf öffentlich/politischer Ebene mit Recht zu Wehr gesetzt haben. Im Sex wird Biologie dann doch wieder zum Schicksal, „echte“ weibliche Sexualität hat weniger aggressiv, weniger an Pornos, Spielen und schnellem Sex interessiert zu sein als an Liebe und Treue. Die richtige und wichtige Erkenntnis, dass die Bedürfnisse, Wünsche und Probleme von Frauen aufgrund einer geschlechtsspezifischen Lebensrealität andere sind als die der hegemonialen Männlichkeit, läuft

Sex, der als privat und natürlich gilt, wird im Feminismus als ebenso künstlich gesellschaftlich wie politisch entlarvt.

Gefahr, für biologistische Begründungen herzuhalten und eine neue sexuelle Norm der befreiten Weiblichkeit zu propagieren, die für alle Frauen gleichermaßen gelten soll.

Ausgehend von einer kollektiven Unterdrückungserfahrung aller Frauen, hinter der die sozialen, ökonomischen und kulturellen Unterschiede zurücktreten, produziert die differenzfeministische2 Vorstellung einer genuin weiblichen Sexualität neue Ausschlüsse. Ganz abgesehen von jenen Frauen, denen der klassische Heterosex weiterhin ganz gut gefällt, werden auch Lesben, die in Butch/Femme3 -Beziehungen leben, mit Dildos ficken oder SM praktizieren, als Verräterinnen diffamiert. Ihre Art der Sexualität kopiere einfach die Machtdynamiken des Patriarchats und bestätige indirekt die Minderwertigkeit einer anderen, nicht auf Penetration und weiblichen Masochismus4 aufbauenden, Sexualität. Besonders heftig wird der Streit zwischen den „radikalen“ und den liberalen bzw. sex-positiven Feministinnen (die ein Recht auf Lust und Vergnügen jenseits feministischer political correctness einfordern) in den „Sex Wars“ der 80er Jahre in den USA ausgetragen. Die „National Organization for Women“ verfasst eine Resolution gegen Pornographie und Sadomasochismus, Frauenbuchläden weigern sich, die erotische Literatur des „Sexradicals“ Patrick Califia (der zu diesem Zeitpunkt noch Pat Califia heißt und als Lesbe lebt) zu verkaufen. Eine Gruppe Feministinnen geht 1983 so weit, in London öffentlich ein Exemplar der lesbischen SM-Storysammlung „Coming to Power“ zu verbrennen.5 Ganz abgesehen davon, dass Bücherverbrennung ein indiskutables Mittel ist, scheint diese Art der politischen Aktion auf zweierlei Art problematisch. Zum Einen, weil der Kampf gegen die in den öffentlichen Raum hineinreichenden Auswüchse der Sexualität, also Pornographie und Prostitution, allzu oft zu Bündnissen

Ganz abgesehen von jenen Frauen, denen der klassische Heterosex weiterhin ganz gut gefällt, werden auch Lesben, die in Butch/Femme-Beziehungen leben, mit Dildos ficken oder SM praktizieren, als Verräterinnen diffamiert.

mit dem Staat führt – statt zu einer Solidarisierung mit Sexarbeiter_innen, die in der Lesart dieses Feminismus nur als Opfer der Verhältnisse gelten können. Zum Anderen, weil die Sehnsucht nach Ausschluß von heteronormativen Sexualpraktiken und solchen, die von den Differenzfeministinnen als heteronormativ verstanden wurden (bspw. SM), die Überzeugung beinhaltet, dass Frauen vor dem Sex, vor einem Vergewaltigungsphantasien produzierenden „falschen Bewusstsein“, beschützt werden müssten - gerne auch gegen ihren Willen von den feministischen Schwestern.

Der sich im Zuge der „Sex Wars“ heraubildende Pro-Sex Feminismus (sex-postive feminism) leugnet nicht die Einlassung patriarchaler Macht in den Sex, leitet daraus jedoch andere Handlungsoptionen ab. Statt den Sex beschränken und bereinigen zu wollen und damit neue Normen einer vermeintlich richtigen, herrschaftsfreien Sexualität aufzustellen, liegt hier der Schwerpunkt auf der Aneignung bestehender Praktiken und Dynamiken, für die Möglichkeit des Vergnügens nicht außerhalb, sondern trotz existierender Gefahren. Gegen den von Porno-Gegnerinnen propagierten Slogan „Pornography is the theory, Rape is the practice“ stellen sex-positive feminists die Forderung nach anderen, nach besseren Pornos6 und bestehen auf der analytischen Trennung zwischen Phantasie und Wirklichkeit: Zwei Menschen, die sich Dildos umschnallen und im Spiel eine Vergewaltigung inszenieren, mögen sich kultureller Phantasmen und real existierender Machtdynamiken bedienen. Was ihr Vergnügen aber eindeutig von sexueller Gewalt unterscheidet, ist einerseits die Konsensualität, dass also das Spiel einvernehmlich und zu beidseitigem Lustgewinn stattfindet, und andererseits die Variabilität der Rollen - im Gegensatz zur Welt „da draußen“ ist nicht festgelegt, wer oben steht und wer unten. Macht und Ohnmacht werden verhandelbar: sie sind nicht länger an Körperlichkeit und sozialen Status gebunden, sondern können im Sex sowohl erotisiert als auch entnaturalisiert werden.

Auch Judith Butler verweist in Hinblick auf die sexuellen Kämpfe der Frauenbewegung auf die Unmöglichkeit einer Sexualität vor, außerhalb oder jenseits der Macht und fordert stattdessen, „die subversiven Möglichkeiten von Sexualität und Identität im Rahmen der Macht selbst neu zu überdenken.“7 Statt der Zurückweisung einer kulturell konstruierten Sexualität müsse versucht werden, innerhalb und mithilfe der zur Verfügung stehenden Bilder zu agieren, „das Gesetz zu wiederholen und es dabei nicht zu festigen, sondern zu verschieben.“8 Ein Weg, innerhalb einer existierenden heteronormativen und von patriarchaler Herrschaftssymbolik durchzogenen Sexualität eine Erweiterung der individuellen sexuellen Freiheiten zu erfahren, besteht somit in der Entnaturalisierung der Verhältnisse – darin, sie zwar als soziale Gegebenheiten anzunehmen, als der Rahmen, innerhalb dessen unser Handeln notgedrungen stattfindet, aber als etwas, das in seiner (abgeänderten) Reproduktion gleichermaßen gebrochen, parodiert und entdramatisiert werden kann. So gibt es laut Butler zwei Möglichkeiten, das Aufkommen des in den Sex Wars heiß umkämpften Dildos (bei Butler etwas theoretischer: der „Lesbische Phallus“) zu interpretieren: Die pessimistische Lesart wäre die einer fortwährenden im Imaginären verankerten Erniedrigung des Weiblichen, ein Beweis für die Unzulänglichkeit lesbischer9 Sexualität und die Unüberwindbarkeit heterosexueller Muster. Auf der anderen Seite kann der Dildo - wie es vor allem bei Beatriz Preciado ausgeführt und zelebriert wird - eben auch als Bruch mit einer als natürlich verstandenen, an (körperlich-geschlechtlich manifestierte) Männlichkeit und Weiblichkeit geknüpfte Heterosexualität verstanden werden. Butler beschreibt die lesbische Aneignung des Phallus als eine „kastrierende Inbesitznahme der zentralen männlichen Trope, angetrieben von der Art Aufsässigkeit, die gerade die Erniedrigung des Weiblichen beseitigen will“.10 Der Penis wird entprivilegisiert und durch den Dildo ersetzt, der insofern Gleichberechtigung schafft, als dass er von jeder und jedem getragen und benutzt werden kann. Schluss mit der Ernsthaftigkeit des Phallus, „In Wirklichkeit“ ist er aus Kunststoff und muss gereinigt werden, kann in der Schublade liegen, dekorativ herumstehen oder, wie in Emilie Juvenets Porno „One-Night-Stand“, einem Mops als Spielzeug dienen. Der Unterschied zwischen Penis und Dildo schwindet, aber nicht im Sinne der vor Wiederholung heterosexistischer Herrschaftsverhältnisse warnenden Feministinnen, sondern auf die ironisch-triviale Erkenntnis, dass man einen Penis nicht kaufen kann.11

Der Dildo kann Sextoy bleiben oder Körperteil werden. Er erweitert den Körper, dessen angeborene Geschlechtlichkeit in diesem Moment radikal an Bedeutung verliert, als Materialisierung einer (vieler) Phantasie(en). Statt aus

Macht und Ohnmacht werden verhandelbar: sie sind nicht länger an Körperlichkeit und sozialen Status gebunden, sondern können im Sex sowohl erotisiert als auch entnaturalisiert werden.

der Fähigkeit, jemanden ficken zu können, eine natürliche Überlegenheit abzuleiten, wird die Natürlichkeit der Sexualität selbst in Frage gestellt – am Radikalsten wohl in Beatriz Preciados Konzept der Kontrasexualität bzw. der „Dildonics“, einer Theorie egalitärer Köpertechnologien. In Abgrenzung zu den oben bereits skizzierten feministischen Versuchen, die natürlich weibliche Sexualität (wieder) zu entdecken, konstatiert Preciado: „Kontra- Sexualität handelt nicht von der Erschaffung einer neuen Natur, sondern vom Ende der Natur, die als Ordnung verstanden wird und die Unterwerfung von Körpern durch andere Körper rechtfertigt.“12 Zentral in Preciados Theorie, die sie wohl als Handlungsanweisung im Sinne eines politisch-sexuellen Manifests verstanden wissen will,13 ist die Etablierung eines Kontrasexuellen Vertrages, der „den Sozial-Vertrag, den man Natur nennt“ ersetzen soll. Die Körper verstünden sich darin nicht länger als Männer oder Frauen, sondern als Subjekte, die in gleichem Maße Zugang zu Praktiken und Ausdrucksformen haben, „die im Lauf der Geschichte als maskulin, feminin oder pervers entwickelt worden sind“.14 Dass Preciado an dieser Stelle einen so harmlosen Ausdruck wie „entwickeln“ verwendet, erscheint wie ein Vorgriff auf die egalitäre, grenzenlose Zukunft, verlief die bisherige „Entwicklung“ von sexuellen Identitäten und Praktiken doch eher entlang gewaltsamer Kategorisierungen und Ausschlüsse.

Zu den Praktiken der Kontrasexualität zählt neben der Aneignung bzw. Umdeutung des Phallus durch den Dildo und der Erotisierung des Anus (als allen Menschen eigenes „Loch“, das das Penetriertwerdenkönnen vom weiblichen Körper ablöst) auch die Etablierung der vertraglichen Aushandlung von Sex, wie sie in BDSM15-Zusammenhängen bereits üblich ist. BDSM steht für spielerische Interaktionen und sexuelle Praktiken, die auf „Power Exchange“ - dem bewussten Spielen mit Macht und Ohnmacht - beruhen. Das Verhältnis zwischen den Beteiligten16 ist durch eine klare Hierarchie zwischen Top (dem dominanten Part) und Bottom (dem sich unterwerfenden Part) gekennzeichnet. Für die Dauer eines Plays überträgt der17 Bottom die Verfügungsgewalt über sich selbst an die Top, die dann innerhalb eines vorher ausgehandelten Rahmens über den Bottom verfügen und ihn beispielsweise fesseln, demütigen, zur eigenen sexuellen Befriedigung (oder auch zur Erledigung des Abwaschs) benutzen und/oder ihm Schmerzen zufügen darf. Es ist offensichtlich, dass BDSM auf der Basis real existierender Herrschafts- und Unterdrückungsmuster funktioniert und diese zuspitzt. Dennoch kann nicht einfach von einer Spiegelung der Realität gesprochen werden- draußen geht es meistens eben nicht safe, sane & consensual 18 - zu sondern eher von einem Ineinandergreifen von Realität und Imagination, in dem „eigentlich“ schmerzhafte oder an tatsächliche Gewalterfahrungen erinnernde Praktiken lust- und liebevoll erlebt und integriert werden können.19 Das Bild einer gefesselten Frau, die von einem Mann20 sexuell „benutzt“ wird, mag also auf den ersten Blick wenig emanzipatorisch wirken, wird doch scheinbar genau das reproduziert, was es zu bekämpfen gilt. Wenn aber anerkannt wird, dass sexuelles Begehren viel weniger mit unseren Wünschen in Bezug auf soziale Verhältnisse zu tun hat, als mit sozial geprägten Bedürfnissen, dann sind das Spielen mit sexistischen Stereotypen und sexistisch sein zwei unterschiedliche Dinge. Das eine führt im besten Fall zum Orgasmus,21 das andere hoffentlich zu einem Tritt in die Eier. Gerade in queeren BDSM-Kontexten ist das Inszenieren von Geschlechterrollen ein fester Bestandteil des sexuellen Repertoires: „In contrast to everyday life, in BDSM spaces one can conciously choose and negotiate identities for play.“22 Innerhalb des „safe space“ der Szene eröffnet sich einerseits ein Experimentierfeld, in dem Geschlecht als variabel und performativ erlebt werden kann; und andererseits werden die noch immer existierenden sexistischen Stereotypen und damit verbundenen Machtdynamiken offen gelegt. Preciado schreibt dazu: „SM-Praktiken haben nicht nur vertragliche, die Rollen der Unterwerfung und der Beherrschung regelnde Pakte hervorgebracht, sondern auch die erotischen Machtstrukuren offenbar gemacht, die jenem Vertrag zugrunde liegen, der von der Heterosexualität als Natur erzwungen wird.“23 Statt die gewaltvollen Momente der Sexualität eliminieren zu wollen, ermöglicht der Vertrag eine Erotik der Differenz und der Machtunterschiede in einem sicheren Rahmen und entkoppelt beides zugleich von „natürlichen“ Faktoren wie Geschlecht, Alter oder Status. BDSM-Praktizierende betonen, dass die Verkörperung im Spiel zu einem besseren Verständnis von (anderen und eigenen Teil-) Identitäten und den damit verbundenen Machtdynamiken führen kann, letztlich zu einem geschärften Bewusstsein für soziale Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen.24 Trotzdem bleibt die für ein konsensuelles Spiel notwendige Einvernehmlichkeit zwischen Personen, zwischen denen im realen Leben ein strukturelles Machtgefälle herrscht, immer auch prekär – wir sind eben nicht gleich und wir kennen (bzw. artikulieren) auch unsere Wünsche, Bedürfnisse und Grenzen nicht alle gleich gut. BDSM-Zusammenhänge scheinen aber dennoch einen Spielraum zu eröffnen, in dem eben diese Dynamiken der Macht offen gelegt und verhandelt werden können – wider die Selbstverständlichkeit verfestigter Verhältnisse. Sexualitäten, die sich heterosexistischer Muster bedienen, reproduzieren also nicht einfach die zu bekämpfende Realität, sondern können in der (reflektierten) Wiederholung zu deren Dekonstruktion beitragen, indem sie sie in ihrer Gewordenheit, ihrer Nicht-Natürlichkeit, entlarven.

„Schwänze für alle, und zwar umsonst?!“25

Eine sexuelle Befreiung auf feministischer Grundlage kann weder in der Suche nach der authentischen, nicht kulturell verformten Sexualität bestehen, noch im Ausschluss der als heterosexistisch definierten sexuellen Spielarten. Als die Feministinnen der 70er und 80er Jahre die Penetration als normative Sexualität kritisierten, hatten sie insofern recht, als dass es offensichtlich nicht üblich war (und noch immer nicht ist?) Frauen danach zu fragen, auf welche Art und Weise sie eigentlich Lust empfinden. Zu verdammen wäre dann allerdings weniger eine konkrete Praxis, sondern das versäumte Sprechen über Wünsche, Grenzen und Bedürfnisse und die Privatisierung sexualisierter Gewalt. Im Zuge der Verschiebung vom klassischen Feminismus hin zum queeren Verständnis von Dekonstruktion und Subversion kann Befreiung dann eher als Versuch einer experimentellen Praxis verstanden werden, die sich der Körper und Technologien, der Geschlechterrollen und ihrer scheinbaren Grenzen spielerisch bedient und dabei auf dem Prinzip der Konsensualität basiert. Egalitär ist das kontrasexuelle Utopia trotzdem nicht, weil diese Emanzipation sowohl den Zugang zu bestimmten subkulturellen Räumen und Informationen (Queer-/Sex-/Playparties, Magazine, Bücher, Toys, Internetforen, Mailinglisten, Workshops, Gender-/ Queer-Studies, Pornos, Freiräume, Safer-Sex-Praktiken etc.) als auch einen bewussten Umgang mit den eigenen Bedürfnissen, Grenzen und das Wissen über potentiellen Gefahren voraussetzt. Das Anliegen des Feminismus, der auf einer makropolitischen Ebene den sexistischen Nor- malzustand anprangert, bleibt aktuell. Wenn auch in bestimmten geschützten Räumen ein spielerischer Umgang mit Macht und Herrschaft zum persönlichen Wachstum und – in gewisser Hinsicht – zur sexuellen Befreiung Einzelner beitragen kann, so ist es dennoch nach wie vor nötig, die (sexistischen) Gewaltverhältnisse im Öffentlichen wie im Privaten aufzudecken und zu bekämpfen.

  1. Alice Schwarzer: Der „kleine Unterschied“ und seine großen Folgen, Frankfurt a.M. 1975, S. 7. 

  2. Der Differenzfeminismus geht von wesenhaften, nicht kulturell produzierten Unterschieden zwischen Männern und Frauen aus. Differenzfeministinnen wird oft vorgeworfen, biologistisch zu argumentieren und damit zum Einen die kulturellen und sozialen Unterschiede zwischen Frauen nicht genügend zu beachten, zum Anderen Weiblichkeit (wieder) zum Schicksal zu erklären und so sexistische Kategorisierungen zu legitimieren. 

  3. Butch: maskuline Lesbe; Femme: betont weibliche Lesbe. 

  4. „Schon Freud - so heißt es - habe dargestellt, dass die Frauen typischerweise Phantasien entwickeln, in denen sie lustvoll erleiden, von Männern vergewaltigt zu werden. […] Freud meinte, dass Erziehung, Haltung der Gesellschaft und psychische Folgen ihres biologisch-anatomischen Schicksals eben der Frau gar nichts anderes übrig ließen, als die Aggression gegen sich selbst zu wenden und dabei masochistische Leidenslust zu entwickeln. Darüber hinaus sei ihr Masochismus die Vorbedingung dafür, dass sie den Geschlechtsverkehr überhaupt genießen könne.“ (Margarete Mitscherlich, EMMA September 1977, Quelle: http://www.emma.de/ sind_frauen_masochistisch_9_77.html) 

  5. Quelle: http://www.glbtq.com/social-sciences/lesbian_sex_wars.html 

  6. „Die Antwort auf schlechte Pornos sind nicht keine Pornos, sondern bessere Ponos!“ (Annie Sprinkle, Hardcore von Herzen, zitiert nach: Virginie Despentes, King Kong Theorie, Berlin 2007.) 

  7. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a.M. 1991, S. 56 f. 

  8. ebd. 

  9. Hier gemeint als eine rein auf die weiblichen Körper bezogene, also nicht-technologische, nicht mit heterosexuellen Elementen spielende Sexualität: das oft abwertend gebrauchte Bild der Lesben, die sich „nur“ zärtlich streicheln und küssen (also keinen „richtigen“ Sex haben). 

  10. Judith Butler: Körper von Gewicht, Frankfurt a.M. 1997, S. 127. 

  11. Judith Halberstam, Female Masculinities, zitiert nach: Beatriz Preciado, Kontrasexuelles Manifest, 59. 

  12. Beatriz Preciado: Kontrasexuelles Manifest, Berlin 2003, S. 10. 

  13. Siehe Tim Stüttgens Interview mit Preciado in der Jungle World 49 und 50/2004. 

  14. Beatriz Preciado: Kontrasexuelles Manifest, Berlin 2003, S. 10. 

  15. Steht für „Bondage&Discipline, Dominance&Submission, Sadism&Masochism“ und ersetzt den Begriff SM (Sado-Maso, Sadomasochismus), der oftmals pathologisierend gebraucht wird und weniger Vielfalt vermittelt als BDSM. 

  16. Ich gehe hier von zweien aus, es können aber durchaus mehr sein. 

  17. Dass Bottom hier männlich und Top weiblich ist hat keine Bedeutung; alle Konstellationen sind denk- und spielbar. 

  18. „safe, sane and consensual“ ist eine Grundregel der BDSM-Szene. 

  19. vgl. hierzu den Text „Subtile Klatschkultur“ von der Gruppe „Hannah und Bernd“, in: A.G. Gender-Killer: Das gute Leben – Linke Perspektiven auf einen besseren Alltag, Münster 2007. 

  20. „Frau“ und „Mann“ hier verstanden als Rollen in einem Spiel, die eben nicht zwangsläufig mit realen Geschlechterrollen übereinstimmen müssen. 

  21. … womit auf keinen Fall Orgasmen als alleiniges Ziel sexueller Aktivitäten festgelegt werden sollen … 

  22. Robin Bauer (2007): Playgrounds and New Territories – The Potential of BDSM Practices to Queer Genders, In: Langdridge, Darren & Meg Barker (Hrsg.): Safe, Sane and Consensual: Contemporary Perspectives on Sadomasochism. Palgrave: 177-194. 

  23. Beatriz Preciado: Kontrasexuelles Manifest, Berlin 2003, S. 19. 

  24. vgl. Robin Bauer (2007): Playgrounds and New Territories – The Potential of BDSM Practices to Queer Genders, In: Langdridge, Darren & Meg Barker (Hrsg.): Safe, Sane and Consensual: Contemporary Perspectives on Sadomasochism. Palgrave: 177-194. 

  25. Kommentar meiner Mitbewohnerin Anne. 

Die Autorin lebt in Leipzig und ist Redaktionsmitglied der outside the box.

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