Ada Fischmann Maimon und der Kampf für das Frauenwahlrecht in Jaffa 1918-1926
Eine Auseinandersetzung um die politische Gleichberechtigung der Geschlechter im Angesicht der kommenden israelischen Gesellschaft
Ada Fischmann Maimon (1893-1973) ist eine wenig bekannte jüdische und zionistische Feministin. Sie gilt als die Gründerin der Arbeiterinnenbewegung in Palästina in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Ihre politische Haltung und die Auseinandersetzungen, die sie führte, drehen sich um Feminismus, Sozialismus, die Fragen nach Solidarität und Bündnissen, um das Verhältnis von Religion und Gesellschaft, um die Auslegung von Religion, um Nation und Geschlecht. Durch all dies hindurch zieht sich die Überzeugung, dass für eine gesellschaftliche Emanzipation die Emanzipation der Frauen unabdingbar ist. Dieser Artikel dient dazu, eine Streitschrift vorzustellen, die sie 1918 verfasste, diese einzuführen und in einen Kontext zu setzen. Die Streitschrift An die hebräische Frau liegt bislang nicht in deutscher Übersetzung vor.
Die Befreiung der Frau bedeutete für Maimon eine Befreiung aus gesellschaftlichen und religiösen Traditionen.
Ada Fischmann Maimon immigrierte 1912 aus Russland in das osmanisch kontrollierte Palästina, wo sie als Landwirtin und Lehrerin arbeitete. Im Jahr 1920, als das Histadrut, der Allgemeine Verband der Arbeiter Israels1, gegründet wurde, forderte sie die Teilnahme und Ernennung von Arbeiterinnen in den Ausschuss des Verbandes.2 Infolgedessen wurde die Arbeiterinnenbewegung (Tnuat Hapoalut) in Palästina gegründet und Maimon war bis 1926 ihre Vorsitzende. Sie gründete 1930 eine Wirtschaftsschule für Mädchen, die Ayanot in der Nähe von Ness Ziona, und war deren Leiterin. Auch war sie weiter in der Arbeiterinnenbewegung und dem Histadrut aktiv und vertrat eine sozial-feministische Haltung in der Politik des Jeschuws.3 Neben ihrer Tätigkeit als Mitarbeiterin und nach dem Zweiten Weltkrieg als Leiterin der Aliyah-Abteilung4 des Histadrut war sie von 1949-1954 Mitglied des neu gegründeten Parlaments Israels, der Knesset. Obwohl sie feministische und religionstheoretische Fragen aufgeworfen hat, die bis heute diskutiert werden, bezieht sich fast niemand mehr auf sie. Mit ihren radikalen Positionen als Jüdin, Sozialistin und Feministin passt sie nicht recht in die Schemata der Geschichtsschreibung. Absicht unseres Beitrages ist es, einen kleinen Ausschnitt zu beleuchten: Maimons Kampf für das Frauenwahlrecht in Jaffa 1918.5
Nach dem ersten Weltkrieg und der Eroberung von Palästina durch Großbritannien bekam die Nationalfrage eine neue Bedeutung für die zionistische Bewegung, die seit der ersten Einwanderungswelle nach Eretz-Israel (erste Aliyah 1881-1904) die politische Emanzipation der Jüdinnen und Juden durch die Etablierung eines Nationalstaats anstrebte.6 Mit der Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 und der nationalen Aufbruchstimmung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schien auch für die jüdische Nation eine Gelegenheit gekommen zu sein. Ada Fischmann Maimon schildert diesen Moment so: „Mit der Eroberung des Landes durch die Engländer belebte sich das politische Interesse im Lande. Sofort nach der Befreiung Jehudas7 war es der erste Schritt der jüdischen Bevölkerung, alle Strömungen zu vereinigen, um in der historischen Stunde als nationale Einheit auftreten zu können“.8 Die Vereinigungsversuche begannen schon Anfang 1918 mit Versammlungen des ganzen Jeschuws in Jaffa.9 Ein Kernthema der Diskussionen und Auseinandersetzungen in der Versammlung war die Zusammensetzung des gewählten Ausschusses; denn es ging nicht nur um die Interessen der verschiedenen Gruppierungen, sondern auch um die zukünftige Form der jüdischen Gesellschaft in Eretz-Israel.
Die verschiedenen Gruppen im Jeschuw lassen sich unterteilen in zwei Fronten, Rechts und Links. Zu den Rechten zählten diejenigen, die eine konservative Gesellschaft auf Grundlage der jüdischen Religion anstrebten. In der Linken wollte man eine moderne Gesellschaft auf Basis von Sozialismus, Demokratie und Gleichberechtigung der Geschlechter aufbauen. Die Rechten kamen hauptsächlich aus dem alten Jeschuw. Unter ihnen waren die orthodoxen Kreise besonders dominant. Die AnhängerInnen der Linken waren demgegenüber meist aus dem neuen Jeschuw und aus den zionistischen Parteien.10 Neben der Entscheidung über die Form der Vertretung der jüdischen Interessen in Palästina gegenüber dem Britischen Mandat trat im Zuge der Gründungsversammlung zunehmend die Frage danach in den Mittelpunkt, wer für das Judentum spricht und im Namen welcher Werte.
Die zahlreichen Meinungsverschiedenheiten verhinderten die eigentlich angestrebte Vereinigung des jüdischen Jeschuws. Im Zentrum der Auseinandersetzungen über die Art und Weise der Vereinigung und deren Bedeutung standen die verschiedenen Haltungen und die sehr unterschiedlichen Vorstellungen über die zukünftige Gesellschaft in Bezug auf Themen wie Religion, Demokratie, Sozialismus und Gleichberechtigung. Die Frage nach dem Frauenwahlrecht war eines der umstrittensten Themen, offensichtlich kristallisierten sich hier besonders deutlich die Unterschiede zwischen dem alten und dem neuen Jeschuw. Die Konservativen wollten die Rolle der jüdischen Frau weiter einschränken. Sie fürchteten die neue Stellung der Frau in der Gesellschaft und den Einfl uss des Modells der Chalutza11. Diese Entwicklung nahmen sie als eine der „sexuellen Freizügigkeit“ wahr.12 Die Frauenrechte wurden damit sehr schnell zum Hauptthema der Versammlungen und Wahlkampagnen auf kommunaler und nationaler Ebene.
1918 fanden in Jaffa zwei wichtige Wahlkampagnen statt: die der Stadtverwaltung von Jaffa und die der allgemeinen Verwaltung des Jeschuws. Jaffa wurde damit zu einem überregionalen politischen Schauplatz. Viele beteiligten sich leidenschaftlich an den Kampagnen, VertreterInnen aller Sektoren kamen nach Jaffa. Es war ein Kampf um die Gestaltung der neuen Gesellschaft in Palästina und ihre politische Form. Die hohe Beteiligung und die Vehemenz der politischen Konflikte verdeutlichen die Bedeutung jener Geschehnisse klarer als die Erläuterung der Hauptthemen selbst. Hier entstand, noch bevor die Grundlagen des politischen Systems geklärt waren oder die bevollmächtigten VertreterInnen und ihre Gesellschaftsvorstellungen feststanden, die jüdische politische Einrichtung in Eretz-Israel an sich in einer Vorreiterrolle für das zionistische Vorhaben.
Verschiedene orthodoxe Kreise forderten nun die Abschaffung des Frauenwahlrechts. Sie stellten dies als eine Bedingung für ihre Beteiligung an den Wahlen und in den Verwaltungsorganen. Die zionistischen Kreise wollten zu dieser Zeit eine Spaltung des jüdischen Jeschuws vermeiden. Die Vereinigung des Jeschuws hatte höchste Priorität, was dazu führte, dass die zionistischen Gruppen teilweise bereit waren, das Frauenwahlrecht zu opfern.
Die Frauen in den zionistischen Kreisen waren überrascht und enttäuscht. Für sie stellte diese Haltung einen Verrat der zionistischen Bewegung an ihren eigenen Grundsätzen dar, hatte diese doch seit ihrer Gründung die Fahne der Moderne und der Gleichberechtigung der Klassen und Geschlechter13 hochgehalten. Sie aber rückten nicht von ihrem Standpunkt ab und organisierten sich umgehend für den Kampf um Gleichberechtigung. Fünf verschiedene Frauenorganisationen engagierten sich im Zeitraum von acht Jahren zwischen 1918 und 1926: Hadassah – die zionistische Frauenorganisation in den USA, WIZO (Women’s International Zionist Organisation), der Zusammenschluss der hebräischen Frauen (Histadruth Nashim Ivriot), die Arbeiterinnenbewegung (Tnuat HaPoalot) und der Verband der hebräischen Frauen für die Gleichberechtigung in Eretz-Israel (Hitachduth Nashim Ivriot LeSchiwui Schuiot BeEretz-Israel) als Dachverband für alle Frauen und Frauenorganisationen, die sich für die Gleichberechtigung der Frau einsetzten.14
Ada Fischmann Maimon führte den Kampf für das Frauenwahlrecht im Namen der Arbeiterinnenbewegung. Im Rahmen dieses Kampfes veröffentlichte sie 1918, kurz vor der dritten Gründungsversammlung, eine Streitschrift unter dem Titel An die hebräische Frau, aus der wir hier ein paar Ausschnitte erstmals in deutscher Übersetzung vorstellen möchten. Die Streitschrift erschien als eigene Broschüre kurz vor der dritten Versammlung im Dezember 1918, in der die Frage des Frauen-
wahlrechts entschieden werden sollte. Ziel der Streitschrift war es, die Frauen des Jeschuws zu ermutigen, in aller Deutlichkeit für das Frauenwahlrecht einzutreten.
Letztendlich wurde in der Gründungsversammlung und später auch in der Repräsentantenversammlung für das Frauenwahlrecht gestimmt, das bis heute in Israel im Gesetz verankert ist. Maimon wurde 1925 als Abgeordnete der zweiten Gründungsversammlung gewählt. Aus verschiedenen Parteien wurden noch weitere 24 Frauen unter die 201 Abgeordneten der Versammlung gewählt. Maimon wurde im Folgenden in jede weitere Gründungsversammlung bis zur Gründung des Landes und des israelischen Parlaments gewählt. Dann war sie in den Jahren 1949-1955 Abgeordnete in der Knesset. Sie veröffentlichte weiterhin Artikel und Bücher und war beteiligt an der Verabschiedung mehrerer Gesetze zur Verbesserung der Gleichberechtigung der Geschlechter.
Die Befreiung der Frau bedeutete für Maimon eine Befreiung aus gesellschaftlichen und religiösen Traditionen und eine radikale Reflexion der Unterdrückungsverhältnisse. Für sie war klar, dass eine gesellschaftliche Emanzipation ohne eine Emanzipation der Frauen nicht zu haben ist.
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Dachverband der Gewerkschaften ↩
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Protokoll der neunten Sitzung der Gründungversammlung des Histadrut, 9. Dezember 1920, Sammelband, 1 (1970), S. 61. Zitiert in B. Margalit-Stern, Redemption in Bonbage, Jerusalen 2006, S. 70 ↩
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Jeschuw: die jüdische Gemeinschaft in Palästina vor der Gründung des Staates Israel. Man unterscheidet zwischen alten und neuen Jeschuw. Das alte Jeschuw bezeichnet die jüdische Bevölkerung in Palästina, die vor der ersten jüdischen Einwanderungswelle in 1881 dort lebte oder bis dahin schon angekommen war. Mit dem neuen Jeschuw bezeichnet man die jüdische Bevölkerung, die ab der ersten Einwanderungswelle und bis zur Gründung des Landes nach Palästina kam. Oft gilt die Bevölkerung des alten Jeschuws als konservativer und religiöser. ↩
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Aliyah ist die Jüdische Einwanderung nach Eretz-Israel. Die Bezeichnung stammt aus der Bibel, aus dem ersten Buch Mose, wo die Söhne Jakobs so genannt werden, als sie ins Land kamen, um ihren Vater da zu begraben. ↩
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Auf Deutsch ist von ihr dieses Buch erschienen: Ada Fischmann, Die arbeitende Frau in Palästina, Tel-Aviv, Moazath Hapaoloth, 1930 ↩
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In diesem Artikel werden die Begriffe Palästina, Eretz-Israel und Israel oft verwendet. Diese Begriffe sind nicht untereinander austauschbar. Palästina war für Fischmann Maimon die Bezeichnung des Landes als territoriale und administrative Gebietskörperschaft, während Eretz-Israel, oder das „Land Israel“, von ihr als das historische Heimatland der Juden, und die Verkörperung der Sehnsucht nach einem solchen Heimatland betrachtet und bezeichnet wurde. Die Begriffe sind hier auch in dem selbe Sinne gebraucht. Fischmann Maimons erste Monographie z. B. hieß im Original auf Hebräisch Die Arbeiterinnenbewegung in Eretz-Israel, in der deutschen Übersetzung heißt es Die arbeitende Frau in Palästina. Israel ist die Bezeichnung des Nationalstaates, der 1948 gegründet wurde. ↩
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Jehuda: Die Tradition berichtet von einer Spaltung im Königreich der Israeliten nach Salomo in zwei Staaten: das Nordreich Israel (Hauptstadt: Samaria) und das Südreich Judäa (auch Jehuda) (Hauptstadt: Jerusalem). Seitdem war Judäa der Name der Region rund um Jerusalem, wo früher das Südreich Judäa lag. ↩
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Ada Fischmann, Die arbeitende Frau in Palästina (Tel-Aviv, Moazath Hapaoloth, 1930), S.150 ↩
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Die erste Versammlung fand eigentlich in Petach-Tikwa kurz nach der Eroberung des südlichen Teils des Landes am 18. November 1917 statt. In dieser Zeit war Jaffa noch stark von den Einschränkungen des Krieges beeinflusst und konnte die Versammlung nicht veranstalten. Thema dieser Versammlung war die dringende Notwendigkeit, das Jeschuw zu vereinigen und eine Gründungsversammlung dafür einzurichten. ↩
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M. Friedmann, Zwischen Tradition und Fortschreiten – Frauenwahlrecht, In: Forschungen der Geschichte Israels in der Moderne Teil II, Hg. J. Cohen (Zalman Shazar Zentrum, Jerusalem, 1998), S. 442 ↩
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Chalutza = (heb. Pionierin, Vorkämpferin) Bezeichnung von einer Tätigkeit aber auch einer Stimmung von Freude an der Arbeit des Aufbaues der neuen Gesellschaft. Die Pionierinnen nahmen an allen Bereichen der Aufbauarbeit teil und brachen damit die bestehenden Sozialnormen. Das Modell der Chalutza als Arbeiterin, die vollständig an dem Aufbau der Gesellschaft und des Landes teilnahm, entwickelte sich insbesondere in der Zeit des zweiten Aliyah (1904-1914). ↩
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Vgl. M. Friedmann, Zwischen Tradition und Fortschreiten – Frauenwahlrecht, In: Forschungen der Geschichte Israels in der Moderne Teil II, Hg. J. Cohen, (Zalman Shazar Zentrum, Jerusalem, 1998), S. 443; sowie Shilo M., Der Kampf für die Stimme (Yad Ben zvi, Jerusalem, 2013), S. 13 ↩
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Am zweiten zionistischen Kongress (Basel, 1898) wurde das Frauenwahlrecht angenommen: Stenographisches Protokoll der Verhandlungen des II Zionistenkongresses in Basel 28. - 31.08.1898, (Wien, 1898), S. 48; vgl. auch Die Welt, 17. - 20.04.1898 Im Bericht aus dem Kongress, S. 1 „Frauen können zu Delegierten gewählt werden. Sie haben im Kongress Sitz und Stimme.“ ↩
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Vgl. Safran Hannah: Don’t wanna be nice Girls - the Struggle for Suffrage and the New Feminism in Israel. (im Orig. hebr.) Pardes, Haifa 2006. S. 30-44. ↩