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-Zum Verhältnis von Welt und Zeitschrift! Von Theorie und Wirklichkeit! Zum Verhältnis unserer Arbeit und unserer Lohnarbeit und all dessen, worum wir uns nicht auch noch kümmern können wollen nicht wissen wie! (Wen meinst du jetzt mit „wir“, uns alle? Also ich tu was.) Zum Verhältnis von Ohnmacht und gleichzeitiger relativer Macht (im Vergleich). Zum Verhältnis von Kapital, Staat und Geschlechterverhältnis, again! (Wir kommen nicht umhin, das hier nochmals zu betonen.) Schwule Proletarierinnen aller Länder, vereinigt euch. Zum Verhältnis von Oktober 2015 und Januar 2017, beziehungsweise der Zeit dazwischen, beziehungsweise: was bisher geschah.
Unser Thema ist alles, und dementsprechend von allem zu wenig. „Aber das Problem hatten wir immer schon, auch bei den bisherigen Ausgaben. Es kann keine Vollständigkeit geben.“ Das Problem ist also nicht neu. Und vielleicht ist es auch gar kein Problem, sondern eher der notwendige Stand der Dinge. Zudem kriegen wir diesmal Geld für den Druck und haben eine Deadline.
Jetzt noch mal kurz aufzuzählen, was in diesem Jahr global alles passiert ist (Headlines, Horrorgeschichten), ist schon ein bisschen verlockend. Bezug nehmen auf Ereignisse, ohne die Arbeit auf sich zu nehmen, sie zu durchdringen: bloßes Namedropping, Auflistung verschiedenster Schreck- lichkeiten. Wir haben wenigstens dran gedacht. Wir haben wenigstens einmal geweint. Niemandem bringt das was, aber nicht zu weinen wäre auch nicht besser.
Dein Freund A. nennt dich pessimistisch, zynisch. Was macht die feministische Revolutionärin ohne Revolution? Wir haben darüber mal ein Gespräch geführt, vor Jahren. Dabei kam raus, dass nur die Natur uns noch tröstet. Wo sind wir gelandet? (Und der Schnaps, sagt B. und die Freundschaft und die Tatsache, dass wir uns dem gemeinsam aussetzen. Deine zur Schau getragene „Bringt ja eh nix“-Haltung nervt. Auch eine Art, sich aus der Verantwortung zu ziehen, nicht wahr?)
Eure Zeitschrift ändert doch auch nichts, aber vielleicht mehr als Ladendiebstahl. Beziehungsweise, um ehrlich zu sein, etwas anderes. Ein Gespräch auf der Bank im Park mit C., bei dem es euch tatsächlich gelingt, Aktivismus und Theoriebildung nicht gegeneinander aufzurechnen. Das einzige, was jetzt was bringt, ist praktische Hilfe. Die Leute brauchen Namen von verlässlichen Schleusern, die Leute brauchen Geld. Das ist richtig. Das einzige, was man tun kann, ist so schnell wie möglich hinterherzukommen mit der Durchdringung der Wirklichkeit. Mit der Zerschlagung falscher Formen. Das ist auch richtig. Was wir mit Dialektik meinen (unter anderem). Warum können die wenigsten noch so denken? Alles muss immer gleich in eins fallen. D. hat’s leider nicht mehr geschafft, ihren Artikel zur Kritik am identitären Denken zu schreiben. Nächstes Mal dann, sofern das Geld reicht.
Ihr wehrt Euch gegen die Trennung, aber sie besteht auch ohne Euch.
Beim Plenum streitet Ihr über den Begriff der Dringlichkeit. Ihr seid euch einig darin: Dringlichkeit war der Anfang dieser Ausgabe. Aber was heißt das jetzt? Dass hier alles in Artikelform versammelt wurde, was schon immer mal zu bearbeiten war? Da fällt uns aber eine ganze Menge ein, was fehlt. Oder doch eher: dass es uns drängt, verstehen zu wollen, zu intervenieren, immer einen Tick zu langsam natürlich, aber nun haben wir eine Finanzierung und ein Jahr Zeit, also lasst uns alles reinnehmen, was kommt?
Die Erfahrung, der Realität nicht beizukommen. Die Realität, die auf einmal wahnwitzige Linien zieht: Mehrere von Euch, vormals auf Hartz IV, bekommen auf einmal Jobs in der Flüchtlingshilfe. Der Staat nutzt das Elend der einen, um das Elend der andren zu verwalten. Die Trennung ist etabliert. Ihr wehrt Euch gegen die Trennung, aber sie besteht auch ohne Euch.
Was genau ist nun diese Ausgabe, Nummer sechs? „Alles, was uns in diesem Jahr über den Weg gelaufen ist.“ „Ein letztes Zucken.“ „Intervention.“ „Was wir immer schon mal sagen wollten.“ „Was uns angeboten wurde.“ „Redaktioneller als sonst, mehr Kollaboration mit Genossinnen.“ „Eine Sammlung unter dem Titel Kein Thema.“ „Aber die Sachen sind ja sehr wohl Thema, lang schon gewesen, das war’s ja auch, was wir wollten: Liegengebliebenes bearbeiten.“ „Und historisch. Die Kontinuität und die Unabgegoltenheit feministischer Kämpfe. Dass sich alles wiederholt.“ „Dass sich nichts gebessert hat.“ „Nein: dass Freiheit nicht einfach da ist und bleibt.“ People talk about liberation as if it’s some kind of permanent state, as if you get liberated and that’s it, you get some rights and that’s it, you get some acknowledgment and that’s it, happy now?
Etwas ist ins Wanken geraten. Wir hören nicht mehr Radio. Wir können das. Ist das nicht Wahnsinn? Dass wir das können? Es hat schon vorher gewankt, sagt deine Freundin E. Du hast nur nicht hingeschaut. Du hast zu wenig recherchiert. Es hat dich halt nicht direkt betroffen. An welchem Punkt wird uns klar, dass es uns betrifft, schon immer betroffen hat? An welcher Stelle versuchen wir eine Schneise zu schlagen, einen Anker zu werfen, eine Hand zu greifen zu kriegen inmitten all derer, die ihre Kämpfe auch ohne uns kämpfen werden, ganz einfach, weil sie es müssen?
„Muss man dafür studiert haben?“
Die Sachen werden so gern als Einzelphänomene behandelt: Rassismus hier, Religion dort, Geschlecht nur so lang’s niemandem weh tut. Und Klasse, Produktionsverhältnisse? Eher gar nicht. Als ließe sich die Welt so zerstückelt begreifen. Als wären nicht schon die Stücke falsch: weil sie als eben solche ihre Geschichte vergessen machen und ihre Abhängigkeit zum Ganzen. „Der Trick ist, die Einzelteile nachher wieder zusammenzusetzen.“ „Nee, der Trick ist, das Ganze gar nicht erst in Einzelteile zu zerlegen.“ „Blödsinn, der Trick ist, das Einzelne und das Ganze als miteinander vermittelt zu denken.“ „Muss man dafür studiert haben?“ „Traust du den Leuten nichts zu?“
Die Hälfte der Redaktion bricht weg wegen Jobcenterstress und Lohnarbeit. Die einen bekommen, um zu promovieren oder Kunst zu machen, ein Stipendium. Die andren nicht. Über unsre Inhalte sagt das nichts. Über die Notwendigkeit, die uns antreibt, über das, was wir dann doch als „Dringlichkeit“ zu bezeichnen uns einigen können. Über die Ohnmacht, die sich unterscheidet und die dennoch, nüchtern betrachtet, ein gemeinsamer Nenner ist.
„Willst du wirklich so enden? Stimmt, du bist zynisch.“ Ja. Entschuldigt bitte, ich komm‘ sonst nicht klar.
Am Ende hängen die Dinge doch zusammen. Wir ziehen die Linien nicht selbst, sie waren von Anfang an da.