Barbara Sichtermann

„Von einem Silbermesser zerteilt –“

Über die Schwierigkeiten für Frauen, Objekte zu bilden, und über die Folgen dieser Schwierigkeiten für die Liebe

Einer der ersten Frauen-Songs aus den frühen Siebzigern schloß mit dem martialischen Refrain: „Frauen, zerreißt eure Ketten / Schluß mit Objekt-Sein in Betten / Frauen gemeinsam sind stark.“ Der letzte Vers war eine ältere Losung, die, wenn ich mich recht erinnere, schon 1969 auf einer Berliner Demonstration skandiert wurde: Zum 1. Mai, als das Wort Feminismus noch selten vorkam, der Anlaß mit Frauenproblemen nicht spezifisch zu tun hatte, ein Frauenblock dennoch ‚für sich‘ schon loszog. Das, was zwei Jahre später als Neue Frauenbewegung ‚massenhaft‘ hervortrat, hatte seine vielfältig vereinzelten, aber prägnanten Vorgeschichten.
Der Text jenes frühen Protestsongs spiegelte ganz gut die Inhalte der feministischen Empörung: es ging um das Ende des Objektstatus. Nicht bloß im Bett, auch die Ökonomie kam vor, das Lied war gründlich. „In der Werbung Puppen“ reimte sich auf „Leichtlohngruppen“, das „Objekt-Sein in Betten“ aber stand im Refrain, wurde also wiederholt, mit ihm war vorzüglich Schluß zu machen.

„We’ve got to get out of this place“, sagten die Frauen mit Blick auf die Herzen, die Betten, die Häuser, aber auch die Worte, die Verse, die Schwüre ihrer Männer.

„Beendigung des Objektstatus“, so läßt sich die Frauenrevolte ganz allgemein umschreiben (läßt sich ganz allgemein jede Revolte umschreiben). Die Implikationen sind wichtig. Wer Objekt (von was immer) nicht mehr sein will, entthront ein Subjekt, das ihn oder sie zu etwas gemacht hat und setzt sich selbst – nein, nicht unbedingt an dessen Stelle, setzt sich selbst als Subjekt: zunächst mal einer Veränderung des Status quo. Wer Objekt nicht mehr sein will, entzieht sich: der Behandlung, Degradierung, Manipulation, Definition etc. eines anderen. Er oder sie bricht aus einem Verhältnis aus, das, sagen wir es vorsichtig, von Zeichen der Unterwerfung, von Malen des Zwangs in irgendeiner Weise behaftet war. Wenn der Ausbruch gelingt, ist das ehemalige Objekt nun ‚frei‘. – Damit ist noch nicht gesagt, wie es weitergeht. Das Verhältnis kann sich umkehren (wie bei einem Ringkampf, in dem Angreifer und Verteidiger Rollen sind, die – bis zur Entscheidung – beide Beteiligten alternierend spielen), es kann sich auch einfach nur auflösen. Die Befreite läßt dann ihren Bedränger von einst stehen und entfernt sich. Schluß.
Klar ist, daß sich alle Verhältnisse von Menschen zu Menschen und von Menschen zu Dingen in Termini von Subjekt und Objekt fassen lassen, auch solche, in denen Unterwerfung und Herrschaft höchstens in sehr sublimierter Weise vorkommen. Meine formalisierte Beschreibung von der ‚Beendigung des Objektstatus‘ hat also ihre schwache Seite, weil sie auf zu vieles paßt. Sie kann aber einen erhellenden Zweck erfüllen, wenn wir ihre Einfachheit zur Formulierung einer Frage ausnutzen, die vielleicht weiterführt. Und wenn wir im Auge behalten, daß das Objektsein, das hier gemeint ist, ein geschichtlich spezifisches war, jenes den Feminismus mit- auslösende Objektsein war „in Betten“, die sich seit 1970 auf Ketten reimten. „We’ve got to get out of this place“, sagten die Frauen mit Blick auf die Herzen, die Betten, die Häuser, aber auch die Worte, die Verse, die Schwüre ihrer Männer. „These places“ waren ihnen zu Käfigen geworden. Sie zogen aus und waren nun ‚frei‘.
Über die Folgen ist schon manches gesagt worden. Die entthronten Subjekte versuchten, ihre Position zu halten, wo dies mißlang, gaben sie auf und zagten. Die Zeit der Debatten um ‚emanzipationsgeschädigte‘ Männer begann. „Weibliche Utopien – männliche Verluste“ hieß eine headline zum Thema. Das alte Subjekt-Objekt-Verhältnis war zerstört (nicht für die Majorität, aber für die feministische Avantgarde und ihren männlichen Anhang), an seine Stelle trat zunächst nichts als Triumph, Klage, Reflexion, als die emotionale oder gedankliche Bemächtigung der Zerstörung. Aber keine erkennbare neue Konstellation.
Die Frage, die ich jetzt aus der formalisierten Beschreibung der Revolte folgen lassen möchte, lautet: Wie kommen die Frauen, die ‚befreiten Objekte‘, dazu, selbst Objekte zu bilden? Können sie es? Versuchen sie es? Dürfen sie? Wollen sie? ‚Objekte bilden‘, das ist wieder sehr allgemein gesagt. Aber lassen wir es eine Weile so stehen. Wir haben damit die Chance, uns von den Betten, die sich auf Ketten reimen, ein wenig noch entfernt zu halten und können uns erst einmal darüber verständigen, welchen Radius diese Frage hat. ‚Objekte bilden‘ – das muß nicht gleich ein Bezwingen sein. Objekte können ja Widerstand bieten. Es heißt zunächst nur: sich selbst in ein aktives Verhältnis zur Welt setzen. Jedes neugierige Kind macht die Welt zum Objekt seiner Erkenntnis, seiner Experimentierlust, aber es ‚bezwingt‘ an ihr nur ihm geneigte, ihm entgegenkommende Partikel. ‚Objekte bilden‘ hieße dann zugreifen, aneignen. Aber auch: Distanz herzustellen, um zu beobachten, zu betrachten und um die Aufmerksamkeit wieder abzuwenden. Es hieße, ein Ding, einen Menschen oder eine Vielfalt von Dingen und Menschen für sich setzen, isolieren und wissen wollen, was es mit ihm, mit ihr auf sich hat. Und irgendwann zum nächsten übergehen. Es hieße: den Gegenstand ergreifen, halten, etwas mit ihm machen, ihn loslassen, ihn ansehen, ihn beurteilen. Ein Prozeß, in dem beide, Subjekt und Objekt, sich verändern können.

Willst du behaupten, daß Frauen nicht begehren können? Ich müßte sagen: Doch, aber … Das weibliche Begehren ist ein gebrochener, zerstückelter, verbogener, entstellter Trieb.

Frauen sind beim Objekte-Bilden in der sozialen Welt von einer historischen Schwäche behindert. Sie haben es in Jahrhunderten kaum erlernt. Wie sollten sie nun, in unserem Emanzipationszeitalter, quasi aus der Hüfte dazu fähig sein! Das Bilden von Objekten, das Er-, Begreifen von Welt, oder noch allgemeiner: Aktivität als Bemächtigung, das ist nicht bloß etwas schlicht Menschliches, das ist eine Potenz, die Ermutigung braucht und Tradition, Ansporn und Geschichte, Vorbild und Nachklang. Frauen fehlen diese Stimuli. Sie müssen die erst aus sich erzeugen. Ausnahmen, also Frauen, die gleichsam aus dem Nichts heraus objektivieren konnten, gibt es sicherlich in einer Fülle, die zu rekonstruieren heute ebenfalls neue Frauensache ist. Für die Mehrheit aber gilt, daß sie sogar die Bedingungen ihrer Emanzipation, also die für jeden eigenen Schritt fundamentale Fähigkeit: das Bilden von Objekten – erst herzustellen haben. Ein wahnsinniges Stück Arbeit.

„Der Feminismus fordert die Frauen auf, sich des Stoffs zu bemächtigen. Er ruft sie auf: Wir müssen uns hermachen über die Geschichte, müssen Philosophie und Naturwissenschaft überfallen,müssen Logik und Dialektik zwischen die Zähne nehmen, die Kunst kapern, die der männliche Geist, vampiristisch ernährt aus dem gefesselten weiblichen Ego, im Verlaufe von Jahrtausenden errichtet hat.“1

So ein feministischer Text aus der Zeit des Aufbruchs vor acht Jahren. Er bringt mich auf ein anderes Wort. Aggressivität, das ist es, was Frauen ‚aus dem Nichts‘ lernen, entwickeln, herzeigen müssen – als Gefühl, als Bewegung, als Tat. Die neue Frauenbewegung hatte es – als Pose und als Ausdrucksqualität, aber auch als polemisches Talent – von Anfang an. Sie hat gleich im Auftakt den richtigen Ton getroffen. Das machte sie so furchterregend – und verschaffte ihr Publizität.
Sicher haben auch Frauen, zu allen Zeiten, ‚ihre‘ Objekte besessen. Die Kinder, die sie trugen, von denen sie gleichwohl besetzt blieben; die Wäsche, die sie wuschen, von der sie zu- gleich umhüllt und umspannt blieben; die Männer, die sie in ihren Herzen bargen, von denen sie gleichwohl abhängig blieben. Auch Umsorgen ist eine Form von Objektivieren, die kann sogar zur Bemächtigung sich festigen und hat das auch sicher oft getan. Sie hat aber den Nachteil, daß sie das Objekt nie weit genug isoliert, heraustrennt aus seinem Kontext und entfernt hält vom Subjekt, um es (vorübergehend oder für immer) auch aufzugeben. Das Zugreifen und das Loslassen-Können machen erst ein Objekte-Bilden im Sinne einer souveränen Aneignung, die sich auch wieder hergeben kann und will, aus.
Angesichts der ‚historischen Schwäche‘ von Frauen halte ich es für eine Perfidie, die besseren Fähigkeiten der Männer zum ‚Isolieren von Objekten‘ als biologischen geschlechtsspezifischen Unterschied zu rubrizieren. Ein Buch, in dem solches Zeug steht, mache ich dergestalt zum Objekt, daß ich es in die Ecke feuere. Es gibt solche Thesen immer noch, auch unter progressiven Autoren, die der Sache der Emanzipation dienen, dabei aber ‚realistisch‘ bleiben wollen. Schwach im Bilden von Objekten, das sind wir historisch geworden – als Geschlecht. Wir werden es nicht bleiben und damit eine neue Form des Objektivierens, das heißt ja auch: des Herstellens von Verhältnissen und Dingen, in die Welt setzen. Einstweilen schlingert noch vieles in der Konsequenz unserer Schwäche, welche ja erst benennbar, objektivierbar geworden ist als sie selbst, seit wir den Objektstatus aufgegeben haben. Unsere Schwäche und der Anfang von ihrem Ende: das macht die Situation so schwierig.

Die Bezauberung durch die Liebe lenkt den Blick nicht nur ab, sie konzentriert ihn auch (auf den Mann) und ist in dieser Befähigung die entschiedenste Objektivatorin, die sich denken läßt.

Welche Situation? Lassen wir jetzt von der Formalisierung, von der Verallgemeinerung wieder ab, sie hat uns bis hierher geholfen, alles weitere würde sie in Beliebigkeit einebnen. Die Situation, die wir jetzt befragen, ist die der Geschlechter, ihres Verhältnisses. Wir kehren zurück zu den ‚Betten‘. Vor einigen Jahren, etwa zu der Zeit, in der auch der oben stehende feministische Aufruf zur ‚Bemächtigung‘ von Kunst und Wissenschaft verfaßt wurde, las ich in einer Zeitschrift eine Kritik an jenem frühen Frauensong (oder auch an einem anderen Zusammenhang, in dem die Männer als fühllose Objektivierer im Bett angeklagt wurden):

„Frauen, die sich im Bett als Objekte fühlen, sind selber schuld. Warum schlafen sie mit Männern, die sie nicht begehren.“

Leider ist mir der Name der Autorin entfallen, ich weiß nur noch: es war eine Autor_in_. Offensichtlich ist, daß diese Frau denselben Fehler gemacht hat wie der progressive Biologe, der die Fähigkeit zum Isolieren von Objekten für genetisch ungleich auf die Geschlechter verteilt ausgab. Sie setzte sich über die ‚historische Schwäche‘, besser: über das Historische an unserer Schwäche (zum Objekte-Bilden) hinweg. Begehren heißt Objektivieren, heißt es sogar auf radikale Weise. Wie sollen Frauen, belastet von ihrem drückenden, jahrhundertealten Defizit, von heute auf morgen dazu imstande sein?
Die kritische Autorin würde mir jetzt wohl antworten: Willst du behaupten, daß Frauen nicht begehren können? Ich müßte sagen: Doch, aber … Das weibliche Begehren ist ein gebrochener, zerstückelter, verbogener, entstellter Trieb. Schon während er sein Objekt noch sucht, wird er gehemmt, umgeleitet, zum Schweigen, zur Flucht genötigt. Nicht nur, weil Frauen wie gesagt subjektive Schwierigkeiten haben, Objekte zu bilden, sondern auch, sondern vornehmlich, weil die potentiellen Objekte dem Ergriffenwerden einen zähen Widerstand bieten – bis hin zum schlichtwegigen Ignorieren des Versuchs, sie zu ergreifen. Das weibliche Unvermögen, Objekte zu bilden, ist nicht nur eine geschichtlich bedingte Verkümmerung‚ weil Lernmöglichkeiten fehlten, sondern auch eine stets aktuell, stets erneut zugefügte Verstümmlung‚ weil sich die Objekte, die da zu erfassen wären, gegen die Isolierung, gegen den Zugriff, die Betrachtung, die Entlassung wehren. Sie tun dies quasi reflexhaft, und ein ganzer Überbau von Normen, Moralen, Gebräuchen und – wenn ich so sagen darf – sozialen Stimmungslagen legitimiert sie darin. Das sind Prozesse, die ablaufen, ohne daß die Beteiligten wüßten, was sie der (ohnehin reduzierten) Objektivierungsfähigkeit der Frauen damit antun.
Wenn richtig ist, was ich hier über die Männer sage, folgt zweierlei: Erstens: die Männer wollen (oder können) sich nicht begehren lassen. Zweitens: die Frauen müssen ihre Fähigkeit, zu begehren, entweder rückbilden oder umlenken. Zum letzten Punkt zuerst: Mir scheint wirklich, daß beides geschieht. Das weibliche Begehren ‚traut sich nicht‘, es greift zu kurz, und wenn es nicht weit vor- und ausgreifen kann, wenn es sich nicht aufbäumen darf, kann es sich nicht differenzieren, kann es sich nicht konzentrieren. Es wächst und wird doch nur am Objekt. Wenn das Objekt sich drückt, wird der Zugriff zag, die Phantasie bleibt kindisch und an Klischees gebunden. Was übrig bleibt, kehrt zum Subjekt zurück und umkreist das eigene Ich. Die sogenannten erotischen Frauen, die viel mit der Liebe im Sinn haben und hinter denen die Männer her sind, haben es oft nur gelernt, ihre libidinösen Energien auf sich selbst zu konzentrieren. Der weibliche Narzißmus in dieser Gestalt ist eine Zurichtung.
Zum ersten Punkt: Wollen die Männer sich wirklich nicht begehren lassen? Sie wollen vielleicht schon, aber sie können selten. Hier haben sie jahrhundertelang nicht gelernt. Wenn es um das Verhältnis der Geschlechter selbst geht, kehrt Unterdrückung stets als Selbstunterdrückung wieder, fließt die Rache unmittelbar aus der Dialektik, ohne daß die Unterdrückten die Zähne zu zeigen brauchen. Sich-zum-Objekt-machen-Lassen, das können die Männer auch nicht so aus der Hüfte, hier haben sie ihre historische Schwäche, und damit wird vielleicht endlich deutlich, was das für komplizierte, doppelt geschlungene Ketten sind, auf die sich die Betten seit zehn Jahren reimen.
Die Frauen, die damals sagten ‚Schluß mit…‘, schlugen nicht vor, daß jetzt das Objekte-_Machen_, das Subjekt-Sein für die Frauen ‚in Betten‘ zu folgen habe. Sie versuchten nicht, das Verhältnis umzukehren. Das ist ein wichtiger Punkt. Die Frauen, viele Frauen lösten vielmehr ihr Verhältnis zu Männern ganz auf und wandten sich, sofern das Objekte- Bilden in der Sexualität für sie Thema, Wunsch, Impuls wurde, anderen Frauen zu. Nur hier, unter gleichen, schien die historische Schwäche als Schwäche, Liebesobjekte zu bilden, schrittweise überwindbar. Verena Stephans Erfolgsroman ‚Häutungen‘, auch vor acht Jahren geschrieben, berichtet aus dieser Zeit. Weibliches Begehren, das sich äußern, ausschweifend äußern und damit es selbst erst werden wollte, ignorierte den Mann mit einer programmatischen Selbstverständlichkeit. Als sei er, der als Objekt versagt hatte und als Objektivierer zu weit gegangen war, hinfort als sexuelles Wesen außer Betracht. Ich rede jetzt nicht von einzelnen Frauen oder Paaren. Was weiß ich schon davon. Ich rede von der feministischen (bzw. der sonst interessierten und ‚progressiven‘) Diskussion, soweit sie öffentlich wurde. Ansätze zu einem Versuch weiblichen Objekte-Bildens gab es in der Sexualität außerhalb des Lesbianismus fast nicht.
Das ist insofern bemerkenswert, als sich in anderen Bereichen, in Politik, Kunst, Wissenschaft und Publizistik, ein Nachvollzug, quasi ein ‚Training‘ des Objekte-Bildens stürmisch vollzog. Der 1974er Aufruf aus den ‚Schwarzen Protokollen‘: „Wir müssen uns hermachen…“ konnte wohl nur deshalb so euphorisch-aggressiv ausfallen, weil der Zugriff der Weiber auf die ihnen bislang verschlossenen Domänen längst vorbereitet, längst unabwendbar war. Stadtbilder machten Frauen mit der Kamera, die unterschlagene Historie weiblicher Unterdrückung mit der Forschung zum Objekt, Parlamente und Gerichte machten sie mit Eingaben, die öffentliche Diskussion mit dem Zündstoff ‚Feminismus‘ zum Objekt. Sie beanspruchten für sich die Straße, die Mattscheibe, manche Tribüne. Man mußte ihnen zuhören. Man mußte Gesetze novellieren. Man mußte sie ernst nehmen, mit ihnen rechnen. Überall Zugriff, Aneignung, Umgestaltung. Kleine Triumphe, weltgeschichtlich betrachtet, aber große Schritte raus aus der historischen Schwäche.
Nur im Bett war es offenbar Tat genug, den Objektstatus abgestreift zu haben, da kam es zu keiner Objektivierung, die den Mann gemeint hätte. Da geschah nichts als ein Bruch.
Damit wir uns nicht mißverstehen: Sicherlich gab es weiterhin Liebespaare. Es mag auch sein, daß die jüngere Generation sich schon manches traut, von dem ich nichts ahne, für sie mag ich nicht sprechen. Mir schien, als sei damals (und auch heute noch) lediglich ein ‚Problembewußtsein‘ als eine Dauerstörung, als ein Verhängnis zwischen das Paar ins Bett mit eingezogen, als gäbe es keine Aussicht auf eine wirkliche Neuerung des Verhältnisses, keine ‚strategische‘ Lösung. Man verzeihe den kriegerischen Ausdruck. Das Schlimme (wenn es denn schlimm sein soll) ist nicht, daß ich ihn hier gebrauche‚ sondern daß er hinpaßt.
Auch in der Sexualität, in den ‚emanzipierten Betten‘, gibt es letztlich keine andere Lösung für die Frauen als das Wagnis des Objekte-Bildens (und damit für die Männer, die hier ausnahmsweise von den Frauen abhängig sind, keine andere Lösung als das Wagnis des Sich-zum-Objekt-machen-Lassens). Die allgemeine Formulierung der Revolte: Schluß mit dem Objektstatus, Ernst-Machen mit dem Selbst-Objekte-Bilden ist wirklich allgemein, das heißt sie duldet keine Ausnahme. Frauen gemeinsam mögen stark sein in vielerlei Hinsichten‚ ihre historische Schwäche im Verhältnis zu Männern (im Liebesverhältnis oder: in der Sexualität) können sie miteinander nur sehr begrenzt besiegen. Die Verschonung des potentiellen Objekts mit dem Interesse ist, in der Sexualität, nicht nur eine Kränkung, sondern auch – in versteckter, verschwiegener Form – Anerkenntnis seiner Überlegenheit, seiner Unerreichbarkeit und damit, noch einmal, Unterwerfung.
Die Befreiung der Sexualität war in den sechziger Jahren noch das Eingeständnis, daß es sie gebe und daß sie ihr Recht fordere. Es war wirklich die Sexualität, die zu befreien war, weniger die Geschlechter in ihr. Jetzt sind die Individuen dran. Sofern sie weiblich sind, müssen sie auch hier den Schritt zum Objekte-Bilden vollziehen, sonst lauern gleich hinterm Bettpfosten die alten Rollen. Die Männer, die ja auch an einer historischen Schwäche leiden, haben es etwas leichter: Ihnen ist der Rückfall in die alten Rollen erschwert, weil die Objekte, die zu bilden sie gewohnt sind, ihren Part verweigern. Da es ja viele Männer gibt, die der Frauenbewegung dienen möchten und nur nicht wissen wie, hier ein Hinweis: Sie könnten sich ihrerseits mit dem Objekte-Bilden (Isolieren, Zugreifen, Betrachten, Entlassen s. o.) etwas zurückhalten und damit den Frauen einen möglichen Rückfall erschweren.
Wer von Sexualität und Befreiung redet, sollte wissen, daß der Atemzug, in dem beide: ‚Sexualität‘ und ‚Befreiung‘ genannt werden können, ein Seufzer ist. Die Sexualität läßt sich vielleicht wirklich befreien – aber die Individuen in ihr? Sie, die Sexualität, ist ja doch auch eine Fessel, und gerade wenn sie für uns frei ist, sind wir in ihr gefangen. Statt ‚befreien‘ sollten wir vielleicht lieber sagen: nach unseren eigenen Wünschen in ihr leben.
Die Sexualität hat die Kraft, uns zu ihrem Objekt zu machen (Frauen und Männer), vermittelt über die/den jeweils anderen, über die Geliebten. Der Begehrende ist Objekt seiner Begierde und so auch seines Objekts: In dieser Form kennen auch Männer den Objektstatus im Bett. Als (vermittelte) Objekte ihrer eigenen Begierde sind sie aber ‚freier‘ im Sinne des ‚nach eigenen Wünschen in der Sexualität Lebens‘ als die Frauen, die eigenes Begehren nicht entwickeln dürfen und deshalb abhängig bleiben von fremdem Begehren. Da liegt die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im Zeichen der Venus.
Ich könnte auch so sagen: das Sich-zum-Objekt-machen-Lassen (die alte Frauenrolle) ist, als ‚freiwilliger‘ Part, schwierig, es setzt Mut voraus, denn es ist an ein Risiko gebunden. Wenn ich selbst handle, selbst wähle (also: ein Objekt bilde), habe ich eine größere Gewißheit, daß das, was geschieht, mir frommt, als wenn ich mit mir tun lasse (Objekt bin). Diese offene Stelle, diese zur Verletzung freigegebene Partie, die Achillesferse, das, was wohl Hingabebereitschaft in einem älteren Wörterbuch der Liebe heißt, sie erst macht Lust wirklich. Wird der ganze Leib zur verwundbaren Ferse (alte Frauenrolle) – dann besiegt die Angst alle Lust, das Objekt wird zum Opfer. Fehlt aber selbst die Ferse, fehlt jede ungeschützte, fremdbestimmbare Zone im Liebesspiel, im Liebesakt (alte Männerrolle), dann besiegt Sicherheit die Lust, dann kann sie, die Lust, ihre überraschend-grenzensprengende Potenz nicht mehr ausgießen. Es gibt, mittlerweile, eine umfangreiche Literatur von Frauen über ihre quälende Bettgenossenschaft mit Männern, die zu gut objektivierten. Eigenartig, daß nicht mehr Männer ihre Enttäuschung über Nächte mit zu passiven Frauen ausdrücken. Was muß das für eine Lust sein, die sich ausschließlich aus eigenen Projektionen speist.
Da gibt es aber doch ein männliches Zeugnis wider das Nicht-Objekt-Sein-Dürfen: die vergleichsweise reiche Geschichte der männlichen Homosexualität. In der Literatur leuchtet da ein Versdrama‚ ein kleines dekadent-verzücktes Opus: die ‚Salome‘ von Oscar Wilde. Hier haben wir eine perfekte Verkehrung der Rollen: Die Frau ist es, die ihr Objekt mit unbeirrter, ergreifender Emphase bildet, monomanisch wie es sonst nur den Tenören und jugendlichen Helden unterm Fenster der Erwählten ansteht. Und das besungene Objekt – es wehrt sich, mit Schauder. Gewiß, im Stück ist es seine Mission, seine religiöse Inbrunst, die den Propheten Jochanaan dazu bestimmt, eine Objektivierung durch die lüsterne Prinzessin zurückzuweisen. Wir dürfen das Stück aber ruhig für unsere Belange interpretieren. Sein Autor, homosexuelles enfant terrible im viktorianischen England und im bourgeoisen Paris, wird schon gewußt haben, warum der Stoff ihm gefiel.
Salomes Hymnen auf den Jochanaan zeigen uns alle Elemente der Objektivierung in der Liebe: die Isolierung, die Zergliederung und – als das Entfernthalten vom Subjekt – die Ästhetisierung. Sie kennt, im Augenblick, da sie sich den Propheten in den Kopf oder besser: in die Sinne gesetzt hat, nur noch ihn, sie isoliert ihn und sich selbst in ihrem Begehren vom Rest der Welt. Und sie zerlegt ihn in Teilobjekte, in einzelne Reize. Sie besingt sein Haar, seinen Leib, seinen Mund. „Dein Mund ist wie ein Granatapfel / von einem Silbermesser zerteilt.“ Wie beantwortet der (zu Höherem, Besserem, Ernsterem berufene) Mann diese Attacke einer ausgreifenden, zupackenden, benennenden, fixierenden Begierde? „Zurück, Tochter Sodoms!“ Das sagt der Mann zu der Frau, die ihn zu ihrem (Liebes-)Objekt bildet. Der Prophet, der übrigens noch einen schwachen Versuch macht, Salomes Seele zu retten, hat seine eigenen religiösen Gründe, das lüsterne Weib abzuweisen; der weltliche Mann von der Straße trägt da ein Erbe. Erst wenn er sich wirklich auch zum Objekt machen läßt mit all den angsterregenden Setzungen, Isolierungen, Distanzierungen, die das impliziert, erst dann wird er wirklich hineingezogen in das ‚Sodom‘ der Sinnenlust. Bislang kam er drumrum: die historische Schwäche der Frauen hielt Anfechtungen rar. Aber wenn nun die Frauen anfingen, nach Beendigung ihres Objektstatus, das Verhältnis, langsam und anteilweise‚ umzukehren?
Ich will nicht länger darüber nachdenken, was dann aus den Männern würde – ihnen sind meine Überlegungen in zweiter Linie gewidmet. Es geht um uns, um die Frauen. Wir können, objektivierend, nur gewinnen. Also hoffe ich, daß wir es proben, es lernen.
Ich sollte eingestehen, daß mich auch persönliche Gründe an dieser Hoffnung festhalten lassen. Eine schützende Hand der Göttin Venus hat mich davor bewahrt, mein Begehren ganz zurückzunehmen, und so bin ich – trotz aller Verachtung für seine Prätentionen – doch rettungslos verliebt in das andere Geschlecht, es erscheint mir mit seiner vorweltlichen Behaarung, seinen überständigen Posen, seinen kantigen Konturen, ja selbst seinem ‚emanzipationsgeschädigten‘ Gebrumme und Gemaule so hinreißend, so begehrenswert. Eine Verblendung? Gewiß, aber eine, die auch neu sehen lehrt. Simone de Beauvoir hat gesagt, die Liebe sei eine Falle, frau solle sich, zum Wohle ihrer Emanzipation, hüten, hineinzugeraten. Wahrscheinlich hat sie jene Bezauberung gemeint, die die Geschlechterliebe beginnen läßt und die bekanntlich die klare Urteilskraft trübt. Wie einwegig gedacht, wie unähnlich der berühmten Philosophin! Die Bezauberung durch die Liebe lenkt den Blick nicht nur ab (u.U.: von der Emanzipation), sie konzentriert ihn auch (auf den Mann) und ist in dieser Befähigung die entschiedenste Objektivatorin, die sich denken läßt. Kaum je wieder bilden wir mit einer solchen Gesammeltheit ein Objekt, als wenn wir uns der Bezauberung durch die Liebe überlassen. Es liegt doch in der hymnischen Bewunderung, in der zärtlichsten Umkreisung immer auch eine strenge Distanz, gerade weil sie, die Bewunderung, die Umkreisung, etwas Unangemessenes, etwas den Proportionen des Alltags Fremdes haben. Wir isolieren, wir ergreifen, wir handhaben das Objekt, indem wir es begehren, wir tun ihm was an und sei es zunächst in Gedanken. Wir antizipieren seine Bewegungen, wir verfolgen es, belauschen es. Wir lassen es los, probeweise. Wir ergreifen es erneut, von einer anderen Seite diesmal. Wir verändern es. Warum diese hohe Schule des Objekte-Bildens den Frauen vorenthalten?
Als Frau, die das Objekte-Bilden im Zustand der Bezauberung nicht aufgegeben hat, kenne ich die Tücken der Situation. Tatsächlich neigen wir als Objektivierende dazu, die Rollen einseitig festzuschreiben. Der Rausch des ‚Objekte-Bildens‘ im Zustande der Bezauberung hat eine eigene Dynamik, die die Bereitschaft zur Passivität, also zum Objekt-Sein, hemmen mag. Wenn ich einem Mann sage, sein Mund sei wie ein Granatapfel, von einem Silbermesser zerteilt, so erwarte ich, daß dieser Mund schweigt. Daß er sich leicht öffne, aber nicht, um mir eine Schmeichelei zu sagen, die eh kaum an das Bild vom Granatapfel und dem Silbermesser heranreichte. Gewiß habe ich zu dieser Erwartung heute ein historisches Recht – aber in der Zukunft, wenn sie denn die Frauen das Objekte-Bilden und die Männer das Objekte-Sein lehren sollte, hätte ich es nicht mehr. Diese Zukunft müßte um die Nähe wissen, die die Objektivierung zur Herrschaft hat und müßte eine Balance jenseits von Herrschaft durch Verflüssigung der Positionen herstellen. Lust setzte dann Objektivierung ebenso voraus wie Objekt-Sein, also Passivität.
Stellen wir uns vor: die Frauen zücken ihr Silbermesser, vorsichtig und unnachsichtig, und öffnen mit ihm die Münder der Männer. Ein zu aggressives Bild? Nein, längst fällig unsererseits. Ein utopisches Bild? Vielleicht nicht. Was das denn hier sei, das Silbermesser? Blicke, Worte, Zunge? Auch. Die Kunst der Objektivierung mitten in der Bezauberung durch die Liebe.


  1. aus: Schwarze Protokolle, Heft 124, Berlin 1974, S. 20. 

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