AG DDD

Von digitalen Hausfrauen und anderen Cyborgs. Eine Annäherung an ­techno-feministische ­Auseinandersetzungen

“Technological change is a process subject to struggles for control by different groups. A such, the ­out­comes depend primarily on the distri­bution of power and resources within society.”

Judy Wajcman, Feminism Confronts ­Technology

Es ist keine Neuigkeit: Die Arbeit einer Zeitschriftenredaktion ist ohne technologische Werkzeuge undenkbar. Grundlegend ist der Umgang mit Schreib-und Gestaltungssoftware, sowie mit digitalen Plattformen für die Speicherung von Daten und den gemeinsamen Zugriff auf: Protokolle, Artikelversionen, ganze Zeitschriften. Genutzt werden Kommunikationstechnologien wie E-Mail- und Verschlüsselungsprogramme, Chat-Kanäle, in der Pandemie gesellt sich der Umgang mit Videocalls dazu. Für die Buchhaltung und im Vertrieb wird mit Exceltabellen hantiert; für die Öffentlichkeitsarbeit wird eine Homepage betrieben; das Crowdfunding bedarf noch fix einer Videoproduktion. Und schließlich halten wir eine Zeitschrift in den Händen – haptisch, analog, so sehr greifbares Artefakt, dass die darin gebundenen Technologien, allen voran die Drucktechnologie samt ihres technisch-maschi­nellen Ausgabeprozesses in unserem mittlerweile von Digitalität ge­prägten Alltagsverständnis von Technologie fast übersehen werden ­können. Sämtliche Formen von Technologien: Kommunikations-, Medien-, und Computertechnologien, Bau- und Verkehrstechnologien, Militärtechnologien, Me­dizintechnologien, hier insbesondere das feministisch umkämpfte Feld der Reproduktionstechnologien und der geschlechtsverändernden Technologien, und selbstverständlich unsere Alltags­technologien von der Mikrowelle bis zum Mischpult, werden seit jeher von FINTA* genutzt aber auch (mit-)entwickelt und ­produziert. Nichtsdestotrotz scheint der Zugang zu bestimmten Formen von Technologie für ­Männer leichter und selbstver­ständlicher. Technologien liegen in den Händen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, werden außerdem auf der Grundlage der bestehenden (patriarchalen) Gesellschaft weiterentwickelt, an ihren Belangen orientiert. Wo etwa FINTA* für bedeutende technologische Forschungen stehen könnten, wie in der Geschichte des Programmierens und der Computerentwicklung, werden sie oft übersehen. FINTA* wie Marga­ret Hamilton, einstige Lei­terin der Software-Abteilung des US-amerikanischen Mas­sachusetts ­Institute of Technology (MIT), das für die Flugsoftware des Apollo-Programms zuständig war. Sie schrieb Ende der 1960er Jahre Code für die Weltraumerkun­dungen.

In Anknüpfung an den Ausschluss der Beteiligung von FINTA* in der Geschichtsschreibung von Technologie und an (Selbst-)Beobachtungen aus unserem Alltag beschäftigen wir, eine Gruppe der Redaktion, uns mit feministischen Auseinandersetzungen im Feld der Technologie. Insofern zeichnen wir im Folgenden unsere Suchbewegung nach. Ausschlaggebend war nicht zuletzt das Faktum, dass Technologien, der Zugang zu ihnen und das Wissen um ihre Anwendung, beispielsweise Kommunikationstechnologien, für soziale Kämpfe äußerst relevant sind. Technik und Technologien können Gegenstand sozialer Kämpfe sein, etwa wenn um den Zugang zu Reproduktionstechnologien, zu denen auch Techno­logien des Schwangerschaftsabbruchs gehören, gekämpft wird oder beim ­Aufbau (cyber-)feministischer Strukturen. In jedem Fall liegen Techno­logien quer zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, denn sie sind stets davon durchdrungen.

Technik in Gesellschaft oder Gesellschaft in Technologie?

Die Grundfrage ist die nach dem Verhältnis von Technologien und gesellschaftlicher Veränderung. Manche stecken riesige Hoffnungen in neue Technologien, die irgendwann alle Probleme lösen, wenn sie nur ein neues Perfektionslevel erreicht haben. Andere wiederum sehen in Technologien und darin, wie sie unser Leben, unsere Umwelt und unsere Körper beeinflussen, das eigentliche Problem. In beiden Fällen jedoch scheint es entweder die Technik an sich zu geben, in der Gesellschaft nicht vorkommt – oder es schleicht sich der Fehlschluss ein, laut welchem es ein bereinigtes Früher gegeben haben müsste vor bestimmten Erfindungen, Entwicklungen und Techniken, ohne Hierarchien und ohne gesellschaftliche Macht. Dabei sollte uns vielmehr die Gesellschaft, also auch die Gesellschaft in der Technologie interessieren, und viele cyber-feministische Debatten handeln heute genau davon. Müssen wir die ganzen Technologien umbauen? Können wir sie verändernd nutzen? Beschränkt uns das Verständnis des 19. Jahrhunderts, nach welchem das wissenschaftliche Forschen männlich bestimmt ist?

Technik wird oftmals nicht in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang begriffen. Doch hier fängt es gerade erst an, interessant zu werden. Denn Technologien sind keine neutralen Mittel. Gesellschaftliche Verhältnisse bestimmen ihre Entwicklung, Produktion und oftmals ihre Nutzung. Der ungleiche Zugang zu Technologien ist ein Aspekt davon, aber Gesellschaft steckt auch schon in den Technologien selbst. Immer häufiger ist von Algorithmen die Rede, die Diskriminierungen nicht nur übernehmen, sondern auch verstärken; gar nicht zu sprechen etwa von der Geschichte der Medizintechnologie, in der die Körper von Männern zur Norm erklärt wurden und alle anderen sich lange mit der objektivierten Funktion zufriedengeben mussten, die Männer ihnen gewährten – und wegen fehlender Forschung unter mehr gesundheitlichen Problemen litten und immer noch leiden. Schon die grundlegende Frage ist vertrackt: Was ist Technologie?

Technik wird oftmals nicht in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang begriffen. Doch hier fängt es gerade erst an, interessant zu werden.

Technologie ist die Wissenschaft von der Technik. Technik ist vom griechischen téchne abgeleitet, also Kunst, Handwerk, Kunstfertigkeit. Zugleich ist sie dabei das Prinzip, wie der Mensch sich die Welt zu eigen macht. Laut Marx und Engels sind die Elemente der menschlichen Produktionsverhältnisse diese: Die Menschen (re-)produzieren sich selbst (sie pflanzen sich fort, sie leben), die Menschen produzieren ihre Lebensmittel, die Menschen produzieren Werkzeuge, um ihre Lebensmittel zu produzieren, und die Menschen produzieren durch ihr Handeln das Verhältnis, in dem diese drei Elemente zueinanderstehen. Es ist eindeutig, dass der Hammer ein Werkzeug ist. Weniger eindeutig ist die Frage: ­Gehört die Milchflasche auch zum Bereich der Technik? Obwohl sie Fortpflanzung und Alltag betrifft und gerade nicht die Produktions­sphäre? »Wir […] haben bereits alles nur Erdenkliche über all die Stöcke und Speere und Schwerter gehört, jene langen, harten Dinger, mit denen man schlagen, stechen und hauen kann, aber wir haben noch nichts von jenem Ding gehört, in das man Dinge hineintun kann, dem Behälter für das Behaltene. Diese Geschichte ist neu. Sie hat Neuigkeitswert. Und zugleich ist sie alt. Älter – genauer bedacht, sicher weitaus älter – als die Waffe (ein luxuriöses, überflüssiges Werkzeug jungen Datums); viel älter als die nützlichen Werkzeuge Messer und Beil; etwa gleich alt wie die unverzichtbaren Dresch-, Schab- und Grabwerkzeuge – denn was nützt es, viele Kartoffeln ausgraben zu können, wenn es nichts gibt, um diejenigen, die nicht an Ort und Stelle verspeist werden können, nach Hause zu schleppen? –; gleich alt, wenn nicht gar älter als das Werkzeug, das Energie in den Raum schleudert, ist das Werkzeug, das Energie nach Hause bringt.«1

Herrscht beispielsweise eine Vorstellung von Technik vor, in der diese nur angewendet wird oder eine Vorstellung, in der sie auch gestalt- und modifizierbar ist?

Denkt man an Technologie, werden oftmals ­As­soziationen wachgerufen, die zu männlich bestimmten Sphären gehören. Das schlägt sich auch in der Möglichkeit und Fähigkeit nieder, sich selbst zu Technik und der Nutzung von Technik in Beziehung zu setzen. Herrscht beispielsweise eine Vorstellung von Technik vor, in der diese nur angewendet wird oder eine Vorstellung, in der sie auch gestalt- und modifizierbar ist? Manche FINTA* sind überaus souverän im Umgang mit Computern, stecken viel Zeit in die Arbeit mit verschiedenen Betriebssystemen und hochkomplexer Software, verspüren aber trotzdem eine existenzielle Hilflosigkeit und Wut, wenn etwas Neues, etwa ein ver­schlüsselter Videochat, nicht gleich funktioniert, irgendwas noch recherchiert werden muss.

Feministische Herausforderungen

»Technological change is a process subject to struggles for control by different groups. As such, the outcomes depend primarily on the distribution of power and resources within society.«2 Das schreibt die Soziologin Judy ­Wajcman. Ihr Buch Feminism Confronts Technology gibt zahlreiche Einsichten in die Geschichte der Technologie und die Gründe, warum Technologien zu wenig als gesellschaftlich und zu oft als neutral gedacht werden, außerdem in die Mechanismen, wie das gesellschaftliche Verhältnis, aus welchem heraus eine neue Technologie entsteht, Einfluss darauf nimmt. So schreibt sie: »If we regard technology as neutral but subject to abuse we will be blinded to the consequences of artefacts being designed and developed in particular ways.«3 In ihrer Analyse arbeitet sie heraus, dass Technologien, die etwa für Menschen in der Reproduktionsarbeit eine befreiende Wirkung hätten haben können – vielleicht die Waschmaschine – aufgrund der gesellschaftlich weiterhin wirkenden Rollenvorstellungen keine Verbesserung brachten: Die Anforderungen an die Hygiene stiegen und es entwickelte sich das Ideal der Hausfrau, die die anfallenden Tätigkeiten nur noch vereinzelt – und vielleicht eben nicht mehr gemeinschaftlich im Waschhaus – verrichtet. Ihre unbezahlte Arbeit wurde mit den neuen Geräten nicht weniger, sondern sogar mehr.

Die Handschrift derjenigen, die über gesellschaftliche Macht verfügen – meist weiße männliche gut ausgebildete Angehörige der Mittelklasse –, ist in der Weiterentwicklung der Technik jeweils ablesbar, ihre Interessen sind spürbar, oft bis in Funktion und Design hinein.

Wajcman folgert aus den von ihr untersuchten Studien, »what is striking about these new technologies is just how little power they have to transform everyday life within the domestic world«.4 Sie betont, dass die Technologieentwicklung mit (ökonomischen) Kämpfen zwischen Interessengruppen verbunden war und ist. Die Handschrift derjenigen, die über gesellschaftliche Macht verfügen – meist weiße männliche gut ausgebildete Angehörige der Mittelklasse –, ist in der Weiterentwicklung der Technik jeweils ablesbar, ihre Interessen sind spürbar, oft bis in Funktion und Design hinein. Veränderung müsste dann an der gesellschaftlichen Verteilung von Macht ansetzen. Es müsste deutlich werden, wer von welchen Entscheidungen wie profitiert, und es müsste darum gestritten und gerungen werden, in ­welche Richtung Gesellschaft sich entwickeln soll. Wajcman berichtet zwar auch von funktionierenden Um­deutungen innerhalb der machtstruk­turierten Technikgeschichte durch subversive Verwendung von ­Technologien in marginalisierten Gruppen. (Eines ihrer Beispiele ist das Telefon, – also Kommunikationstechnologie –, das als Militärtechnologie entwickelt und als es auf den Markt kam, unvorhergesehen insbesondere von Hausfrauen genutzt wurde, um die Einsamkeit des Einfamilienhauses durch den Austausch mit anderen zu unterbrechen.) Doch neben Judy ­Wajcmans soziologisch-analytischer Perspektive auf Technik und Gesellschaft sind feministische Auseinandersetzungen im technologischen Feld ebenso geprägt von posthumanistischen ­Positionen, die sich mit und in der Nachfolge von Donna Haraways Cyborg-Manifest entwickelten. Dabei spielen etwa Beobachtungen der ­konkreten Vermischung von Menschlichem und Maschinellem eine Rolle, und theoretischer Ausgangspunkt ist eher, das Denken in Dualismen insgesamt in Frage zu stellen.

Technologie ohne Grenzen

Mitte der 1980er Jahre, in einer Zeit, in der »FrauenLesben«5, wie sie in der militanten Gruppe Rote Zora organisiert waren, neuere Technologien als Werkzeuge zur Durchsetzung und Ausweitung globaler, patriarchaler Herrschaftsstrukturen verstanden und deswegen Forschungsstätten der Gen- und Reproduktions­technologien zu ihren Angriffszielen machten, veröffentlichte die Biologin und Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway ihr Manifest, in dem sie dem dystopischen Ausblick auf eine »eskalierende Herrschaft über Frau/Natur«6 einen utopischen Mythos entgegensetzt: »die« Cyborg.7 Cyborgs sind für Haraway »kybernetische Or­ganismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion.«8 Mit diesem, wie sie schreibt, politischen wie ironischen Mythos setzt sie auf Technologieentwicklung als Chance im Kampf um die Durchsetzung der Ziele ­eines sozialistischen Feminismus. Das Bild der Cyborg zielt auf die Durchlässigkeit bis hin zum Zusammenbruch dreierlei Grenzziehungen: zwischen Tier und Mensch, Tier-Mensch (Organismus) und Maschine, sowie zwischen Physikalischem und Nichtphysikalischem.

Die Cyborg wird zu einer Vorstellung, mittels der die Grenzen zwischen Natur und Kultur brüchig, die binäre Auffassung von Geschlecht überwunden und die Gleichsetzung von Frau und Natur aufgehoben werden soll.

Letzteres meint sowohl die Miniaturisierung als auch die Digitalisierung der Technologien, man denke an Quantenphysik und Nanotechno­logie. Damit setzt Haraway die Cyborg als Wesen, das dualistische Grundprinzipien des westlichen Denkens gründlich durchkreuzt, »das westliche Selbst im Interesse des Überlebens auflösen« soll.9 Die Cyborg wird zu einer Vorstellung, mittels der die Grenzen zwischen Natur und Kultur brüchig, die binäre Auffassung von Geschlecht überwunden und die Gleichsetzung von Frau und Natur aufgehoben werden soll. Als ­illegitime Töchter ihrer Schöpferväter können Cyborgs sich in dieser Erzählung patriarchal geprägte Technologien – sogar lustvoll – aneignen. Haraways Manifest folgt im Grunde einem identitätspolitischen Ansatz. Das »Konzept Frau«10, als Bezugnahme für emanzipatorische Kämpfe gegen patriarchale, koloniale und kapitalistische Herrschaftsstrukturen, hat für Haraway aus zweierlei Gründen ausgedient: Zum einen sieht sie die Gefahr biologistischer Essentialisierungen, auch innerhalb feministischer Zusammenhänge: »Es gibt kein ›Weiblich‹-Sein, das Frauen auf natürliche Weise miteinander ver­bindet.«11 Zum anderen bezieht sie sich auf die historische Erfahrung feministischer Kämpfe weißer FINTA*, die wiederum Ausschlüsse in Bezug auf race und Klasse produzierten. Folglich plädiert Haraway für die Erschaffung einer Art pluraler »Nichtidentität«. Die Kategorie der women of color als politische Identität und Hoffnungsträgerinnen dient ihr als Vorbild, sie sucht allerdings nach einer stärker einschließenden Narration, die »oppositionelle(s) Bewußtsein«12 in einem Kollektiv umfassen ­könnte. Und hier arbeitet Haraway mit einem Paradox, denn sie zielt zugleich auf eine »wirksame politische Einheit«, die »partielle, widersprüchliche, dauerhaft und unabgeschlos­sene, persönliche und kollektive Selbst-Kons­truktionen« einschließt und dennoch keine »Konstruktion eines Ganzen« sein soll.13 Haraways Manifest kreist um die Möglichkeit zur Differenz innerhalb eines wie auch immer aufgestellten Kollektivs, das sich durch eine ­gemeinsame Wirkmächtigkeit auszeichnet und »Feminismus, Sozialismus und Materialismus die Treue« halten soll.14

Der Mythos als Werkzeug

Der Mythenbildung schreibt Haraway politische Wirkmächtigkeit zu. Die Erzählung hat für ­Haraway wirklichkeitsveränderndes Potenzial, sie kann als politisches Werkzeug, eben als Technik eingesetzt werden. Die spezifische Form der Kämpfe, wie Haraway sie beschreibt und fordert, zielt also nicht etwa auf die Sphäre realer körperlicher Kämpfe, etwa auf die Aneignung von Produktionsmitteln. Haraway proklamiert mit ihrem in der Form selbst teils ­lyrischen und reichlich dichten wie abstrakten Manifest auf die Setzung einer (Gegen-)Narration, in letzter Konsequenz auf eine Umschreibung von Geschichte. Die Geschichte, die es umzuschreiben gilt, ist die der Herrschaft des rassistischen und patriarchalen Kapitalismus; der »Aneignung der Natur als Mittel für die Hervorbringung von Kultur, in der Tradition der Reproduktion des Selbst durch die Reflexion im Anderen.«15 Und so verwundert es nicht, dass gerade das Schreiben als die wichtigste Technologie der Cyborgs gesetzt wird. Das Schreiben bezieht Haraway auf verschiedene Bereiche ideologischer wie wirklichkeitsschaffender Ebenen: auf das Coding / die Programmierung in der Informationstechnologie; auf das Arbeiten in den Na­turwissenschaften, insbesondere in der modernen Biologie, in der Theorieentwicklung und in li­terarischem Schaffen sowie in Bezug auf (Sprach-)Politik. Die Cyborg ist »das Selbst, das Feministinnen codieren müssen«16, ­Schreiben ist »Zugang zur Macht des Bezeichnens«.17 Dabei warnt sie vor der Vorstellung, eine Sprache »des perfekten getreuen Benennens gemeinsamer Erfahrung« zu entwickeln, Haraway wendet sich »gegen den einen Code«.18 Auch hierin zielt sie letztlich auf Differenz und die Dekonstruktion eines einheitlichen Ganzen bzw. totalitärer Prinzipien. Ihr Manifesto for Cyborgs fasst Haraway nicht als »Traum einer gemeinsamen Sprache« ­zusammen, »sondern einer mächtigen, ungläubigen Vielzüngigkeit«.19

Und so verwundert es nicht, dass gerade das Schreiben als die wichtigste Technologie der Cyborgs gesetzt wird.

Interessant erscheint an dieser Stelle das utopische Potenzial, das Haraway dem Coding in der Überwindung des auf Dualismen gründenden Denkens des »westlichen Selbst« zuschreibt. Denn Coding / Programmieren, so verschiedene (Programmier-)Sprachen auch entwickelt wurden, ­basiert letztlich auf einem binären System, mit dem zwischen zwei Zuständen bzw. Spannungen unterschieden wird: Signal und kein Signal, Anwesenheit und Abwesenheit oder wahr und falsch in der booleschen Algebra. Zwei Zustände jedenfalls, die mathematisch und symbolisch übertragen werden auf Nullen und Einsen, die als Bits (0 oder 1) und Bytes (8 Bits) in Rei­­hun­gen die Grundlage für jegliche elektronische Übermittlung von Daten bilden. Dem Code bzw. den Kommunikationstechnologien, so ließe sich verkürzend zusammenfassen, ist die Dualität als Basiskonzept zutiefst eingeschrieben. Sadie Plant, Theoretikerin des Cyberfeminismus der 1990er Jahre, bezeichnet die Nullen und Einsen der Maschinencodes gar als »perfekte Symbole für die Ordnungen der westlichen Wirklichkeit«.20 Diese sieht sie auch in der Form der Zeichen selbst wiederholt und assoziiert den geschlechtlichen Dualismus: »Mann und Frau […]: eins und null sahen gerade richtig aus, wie füreinander geschaffen: 1, die eindeutige, aufrechte Linie, und 0, die graphische Darstellung von überhaupt nichts: Penis und Vagina, Ding und Loch … Paßt wie angegossen. […] Für einen binären Code braucht es zwei, aber alle diese Paare sind zwei von einer bestimmten Sorte, und die Sorte ist immer die Sorte von einem. 1 und 0 ergeben wieder 1. Frau und Mann addiert ergeben den Menschen. […] Keine universelle Frau an seiner Seite. Der Mann ist einer und einer ist alles.«21 Eben diese binäre Ordnung, die Plant u.a. im Coding symbolisch eingeschrieben sieht, greift Haraway mit dem Cyborg-Mythos an. Durch die Aufweichung der Grenze zwischen Mensch und Maschine sollen insbesondere FINTA* von den Zwängen der Reproduktion und damit aus der ­dichotomen Geschlechterordnung befreit werden. Denn in ihrer Imagination könnte Reproduktion durch Replikation ersetzt werden, gemeint ist die Aufrechterhaltung des Lebens ohne geschlechtliche Fortpflanzung. Hier klingen sowohl Shulamith Firestones Idee künstlicher Fortpflanzung an als auch Fiktionen alternativer Reproduktionsformen von Science-Fiction-Autor:innen wie Marge Piercy und Octavia Butler. Die Gegenerzählung zielt letztlich auf eine Schöpfung ohne Ursprung. Fraglich bleibt jedoch, ob nicht gerade die künstliche Er­zeugung des Lebens ein urmännlicher Traum vom Schöpfen ohne Gebären ist, wie er in zahlreichen Science-Fiction-Erzeugnissen etwa im Film und in der Literatur zum Tragen kommt.

Die Ästhetik der Verflüssigung

Die Fantasie technologischer Schöpfung steht auch im Mittelpunkt der Kult gewordenen Science-Fiction-Erzählung Ghost in the Shell. Sie ver­handelt die unscharfen Grenzen zwischen künstlicher Intelligenz und Cyborg gewordenem Menschen, ohne die Erzählung einseitig in eine dys- oder utopische Richtung aufzulösen. In der Neuverfilmung aus dem Jahr 2017 verkörpert Scarlett Johansson die Protagonistin ­Major Mira Killian, ein »Ghost« (Gehirn/Seele) mit einer komplett technologischen »Shell« (Körper). Interessant ist dabei neben dem Topos allerdings auch die Ästhetik, auf die ­zurückgegriffen wird: Der Mensch-Android Major Mira Killian, obwohl im sterilen Labor einer Technologiefirma geboren, fühlt eine extreme Verbundenheit mit dem Wasser, und auch die Technologie ist wie eine osmotische Haut, in die sie im wahrsten Sinne des Wortes eintauchen und mit der sie vollkommen verschmelzen kann – bis hin zur Unsichtbarkeit. Im Laufe der Geschichte, in der sie sich auf die Suche nach ihrer Vergangenheit begibt, wendet sie sich gegen den Ort ihrer Erschaffung und findet im Untergrund Verbündete. Im Gegensatz zur hellen, sauberen und wasserfreien Umgebung tropft es in den düsteren, höhlenartigen Gängen, Kabel hängen wirr aus den Wänden. Im ­Gegenteil zu der realen Vulnerabilität technischer Geräte haben weder Wasser oder Verlet­zungen, die Teile des Cyborg-Körpers freilegen, drastische Auswirkungen auf dessen Funktio­nalität. Technologie und Geist sind zu einem organischen Körper geworden, ein Stück na­türliche Technologie oder technologische Natur. Eine Fantasie, die sowohl Unsterblichkeit als auch Unversehrtheit verspricht?

Aufbauend auf den Theorien Donna ­Haraways oder auch Judith Butlers steht das Fluide, Bewegliche, ein Zustand fortwährender Formwerdung im Fokus.

Nicht nur bei Ghost in the Shell finden sich solche Bilder der Verflüssigung. Vor allem zeitgenössische (oft akademische oder künstlerische) queer-feministische Auseinanderset­zungen mit Technologie bedienen sich dieser Symbolik. Aufbauend auf den Theorien Donna ­Haraways oder auch Judith Butlers steht das Fluide, Bewegliche, ein Zustand fortwährender Formwerdung22 im Fokus. Verflüssigung als die Auflösung jeglicher festgeschriebener Grenzen: zwischen Natur und Technik, zwischen den Geschlechtern, zwischen Ich und Du. Der Verflüssigung ist die Auflösung der Kategorie des Menschen immanent, wie man ihn seit der Aufklärung versteht. Doch bedeutet das Auflösen der Dualismen am Ende eine Verschmelzung ohne Differenzen? Entsteht ein Brei ohne Grenzen oder Vielheit und Vielzüngigkeit? Und so sehr die Auflösung all dieser Dualismen ziemlich erstrebenswert erscheint, so bedeutet Verflüssigung aber auch, dass alles zerrinnt, durch die Hände gleitet, ungreifbar wird und so die konkrete Bestimmung der gesellschaftlichen Verhältnisse erschwert.

Unterwanderung durch permanente Mutation

Schon Haraway wählte für ihre Konzeption der Cyborgs die Textform des Manifestes, in dem die politischen Ziele und Forderungen im Vordergrund stehen. Auch das Xenofeministische ­Manifest (XF Manifest) tritt als Darlegung einer politischen Strategie auf. Frei zugänglich und in unzählige Sprachen übersetzt, versteht sich der Xenofeminismus als eine Plattform, die – analog zu Open Source – kollektiv und damit kontinuierlich neugestaltet wird. Seit Erscheinen 2015 ist der Text und sein Autor:innenkollektiv Teil der Diskussionen innerhalb des technologieaffinen Feminismus. Im XF Manifest findet sich die wichtige Forderung »pro­metheische Verantwortung« für die zunehmende von Technologie durchdrungene Gesellschaft zu übernehmen. Es macht deutlich, dass wir »einen Feminismus [brauchen], der sich mit Computern wohlfühlt.«23 Auch im Xenofeminismus ist nichts mehr »starr«, vielmehr soll der »Stillstand von Kritik ersetzt werden durch Mutation, Navigation (…)«.24 Die Vorstellung dieses »neuen« technoiden Feminismus bedient sich neben der »ästhetischen Verflüssigung« also vor allem des Bildes vom parasitären Virus – angesichts der seit 2020 andauernden Pandemie mutet dies mittlerweile fast zynisch an. Schon bei Haraways Cyborg trat an die Stelle der Reproduktion die Replikation: die (unendliche) Vervielfältigung des eigenen Erbguts, das durch permanente Mutation immer wieder neue Formen anzunehmen vermag. Im XF werden die virale Infiltration und der parasitäre Verfremdungseffekt als die ­subversive Form des feministischen Kampfes propagiert. In »memetischen Mutationen«25 wandern Bilder, Ideen, Konzeptionen quasi unbewusst über technologische Kanäle in die Gesellschaft hinein und formen diese dadurch um. Die Aneignung und Korrumpierung von Technologien ist schon in Haraways Cyborg angelegt: Das monströse und angsteinflößende Moment technologischer Potentiale (man denke an dystopische Szenarien sich gegen die Menschen richtender Technologien) soll eher zur Triebfeder einer lustvollen Auseinandersetzung als zu einer ethischen Ka­te­gorie werden. Die ungerichtete Ziellosigkeit eines sich unkontrolliert replizierenden und verändernden Prozesses wird dabei gerne in Kauf genommen. Ganz im Gegenteil werden Fehler und ähnliche Störmomente vielmehr begrüßt – »Kontaminierung als Mutationsantrieb« heißt es im Xenofeministischen Manifest und verweist dabei schon auf ein weiteres zeitgenössisches Manifest, in dem eben jene Störmomente, kurze ­Versager der Technik Inbegriff des subversiven Tech­nologie-Potentials werden: das Glitch Ma­nifesto.26 Hier wird der »Glitch« als Bruchstelle im Interface, als Unbehagen an und in der Maschine symbolisch und theoretisch zum Ausgangs­punkt, um sowohl die endlose Variabilität von Identität als auch die Neugestaltung kollektiver Vernetzungsformen zu denken. Das Glitch ­Manifesto verdeutlicht die eigentliche politische ­Kampfzone: Es geht um das Erzeugen, Variieren, Transformieren von Bildern, Ideen, Identitäten – nicht um eine reale Aneignung der technologischen Mittel.

Digitale Hausfrauisierung?

Die falsche Fokussierung auf identitätspolitische Belange kritisiert auch das Xenofeminis­tische Manifest: Die virale Mutation diene viel zu sehr »moralischen Denunziationen« und werde von »Politiken der Scham« beherrscht, ja sei ein »Theater der Kniefälle vor der Identität« geworden.27 Hier zeigt sich eine Problematik von Bildern wie dem des sich viral verbreitenden, »memetisch mutierenden« Parasiten: Ohne formale Bestimmung der Kategorien, ohne Kritik und ­Analyse der gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen bleibt nur der Zirkel von Ein- und Ausschlüssen, von immer wieder neuen, permanent erweiterbaren Identitätskategorien. Seltsam konfliktfrei wird der politische Handlungsraum der als Kampfansage verfassten ­Manifeste gezeichnet: Nicht der konkrete Kampf, nicht Konfrontation ist die Strategie, sondern die subversiv-passive Kontaminierung des Systems, also die unscheinbare Infiltration ist das Bild des politischen Vorgehens. Keine wechselseitige Aushandlung von Bedürfnissen, kein ­gemeinsames Ringen um eine Richtung, sondern langsames Einsickern der doch implizit als richtig angenommenen eigenen Position(en). Das abweichende Begehren wird aufgrund seiner ­Position als progressiv bewertet und braucht nur noch die richtige Strategie. Ein solches Politikverständnis hat – entgegen der eigenen Intention – etwas Dogmatisches an sich. Während das Symbolbild des Parasiten erst einmal nur eine Form der Widerständigkeit ­beschreibt – nämlich unsichtbar und in Verschmelzung mit dem Vorhandenen – sind die mittlerweile tief in sozialen Strukturen verankerten sozialen Netzwerke der Ort des po­litischen Kampfes. Korrumpiert sollen sie werden, als Werkzeug der Organisation und als Möglichkeit der Unterwanderung sozialer Interaktionsformen dienen – auch wenn schon dem XF klar ist, dass die utopischen Versprechen der neuen Vernetzungsformen mittlerweile selbst kapitalistisch korrumpiert wurden: Die Aktivistin und Theoretikerin Tiziana Terranova28 begreift das Verfassen von Kommentaren, das Liken von Beiträgen oder das Teilen von Inhalten als eine neue Form der (emotionalen) Arbeit, eine unbezahlte Arbeit, die im digitalen Raum zur Quelle wirtschaftlicher Wertschöpfung wird. Kylie Jarrett nennt diese Position in der (digitalen) Wertschöpfungskette – mit Rückgriff auf materialistisch-feministische Analysen der 1970er Jahre – die »digitale Hausfrau«.29 Strukturell sieht sie den heutigen Plattformkapitalismus analog zur unentlohnten Sorge- und Hausarbeit. Auch click-work ist häufig feminisierte, freiwillig verrichtete und affektive Arbeit, die der Schaffung und Stabilisierung von Bindungen und Beziehungen dient. Der umsorgenden Hausfrau gleich, benötigen die sozialen Netzwerke eben jene Arbeit um überhaupt zu existieren: ohne die unzähligen clicks und pics wären sie nur ein skelettartiger gesellschaftlicher Rohbau. Doch im Gegensatz zur »Hausfrau« bezieht sich die Kategorie nicht auf ein konkretes Geschlecht – eine Kritik, die gegen Jarrett auch vorgebracht wurde – sondern verweist auf einen strukturellen Platz innerhalb der kapitalistischen Wertschöpfung, der geschichtlich mit der Position der Hausfrau innerhalb der Gesellschaft und innerhalb klein­familiärer Zusammenhänge verknüpft ist und war.

Ausweitung der Kampfzone oder 
»Frauen im ­integrierten Schaltkreis«

Analysen wie die Jarretts oder Terranovas sind hilfreich, um die modernen Arbeitsverhältnisse aus einer strukturpolitischen Sicht zu verstehen. Unsichtbar – weil eben doch reine Strukturanalyse – bleibt dabei jedoch die postkoloniale Verstrickung des globalisierten Technologiemarktes. Neben der (Vollzeit-)Hausfrau gab und gibt es immer auch die Arbeiter:in, die Migrant:in etc., die aufgrund ­ihres Geschlechts oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit nicht nur außerhalb der produktiven Verhältnisse sondern auch in ihnen benachteiligt ist. Die zunehmende Unterordnung jeglicher global existierenden Produktionsverhältnisse unter das Primat der Kapitalvermehrung geht dabei immer auch einher mit der Zuspitzung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse von FINTA*.30 Die technologische Entwicklung ist dabei auf verschiedene Arten mit diesen Prozessen verschränkt: Die Umstrukturierung der globalen Arbeitsverhältnisse wäre ohne neue Technologien undenkbar, denn diese – vor allem moderne Kommunikationstechnologien – ermöglichen erst die Verbindung und Kontrolle dezentralisierter Produktionsprozesse und die damit einherge­hende internationale Arbeitsteilung. Weite Teile der Produktion technologischer Devices ­gehen zudem mit einer extremen Prekarisierung und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse einher – die technische Ausrüstung der Fabriken ist dabei im Gegensatz zu den neofordistischen Arbeitsbedingungen auf dem neuesten Stand.

Neben der (Vollzeit-)Hausfrau gab und gibt es immer auch die Arbeiter:in, die Migrant:in etc., die aufgrund ­ihres Geschlechts oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit nicht nur außerhalb der produktiven Verhältnisse sondern auch in ihnen benachteiligt ist.

Trotzdem erfolgt in weiten Teilen der Zusammenbau der Geräte nicht maschinell, sondern wegen der im Überfluss vorhandenen Arbeitskräfte von Hand in assembly lines. Meist sind es aufgrund ihrer gesellschaftlichen Situation FINTA* und Angehörige ethnischer Minoritäten, die die Geräte unter unmenschlichen Bedingungen in Niedriglohnländern wie Mexiko, Malaysia oder China zusammensetzen und verschrauben. Es war Donna Haraway, die das Bild der »Frauen im ­integrierten Schaltkreis«31 in ihrem Cyborg-Aufsatz aufgriff. Ohne diese Denkfigur detailliert auszuführen, verweist sie damit dennoch auf die globale Vernetzung von Ungleichheitsverhältnissen anhand technologischer Elektrizitätsbahnen: von der durch Extraktivismus expropriierten indigenen Bevölkerung in Südamerika, Australien oder Afrika über assembly line workers bis hin zu den Arbeiter:innen im Silicon Valley, die sich angesichts der immensen Überteuerung Lebensgrundlagen wie Nahrung oder Un­terkunft kaum mehr leisten können. Solch globale Verstrickungen zeigen eindrücklich, wie sehr die technologische Entwicklung mit Patriarchat und Kapitalismus vermählt ist. Digitaler ­Kolonialismus meint außerdem das Fortwirken kolonialer Abhängigkeiten, indem Wissen und Technologien nur bedingt und strategisch geteilt werden, die doch die Voraussetzungen für den globalen Wohlstand darstellen. Vor ­allem FINTA* und ethnische Minoritäten sind dabei die Hauptquelle billiger Arbeitskraft und oft die Verlierer:innen bei der Durchsetzung technologischer Ökonomien – u.a. bei der Gewinnung der Rohstoffe, der Produktion und Fertigung technischer Geräte oder beim Coding im Rahmen von Click-Ökonomien.

Auch innerhalb Europas, in den USA oder anderen Industrienationen finden sich ähnliche strukturelle Ungleichheitsverhältnisse. Sich mehr mit der Verschränkung von gesellschaftlichen Verhältnissen und technologischen Entwick­lungen und der Nutzung von Technologien zu beschäftigen, scheint daher unerlässlich. María Inés Binder fragt in einer Übersicht zu cyberfeministischen Gruppen und Initiativen in ­Lateinamerika32, ob man »einen postkolonialen Cyberfeminismus denken [kann], der die Kritik des Cyberfeminismus des globalen Nordens aufgreift, dann aber die Prekarität der Infrastrukturen, die Ungleichheit in der Einkommensverteilung und den gegenwärtigen Rassismus in der lateinamerikanischen Region mit einbezieht?«33 Auch in weiteren Texten desselben Sammelbands tauchen immer wieder Bezüge zu dem auf Haraway fußenden theoretischen Diskurs auf. Trotzdem wird klar, dass viele dieser Cyber­feminist:innen den Zugang zu technologischen Kämpfen vorwiegend durch die konkrete Praxis gewannen und erst sekundär durch das Eintauchen in theoretische Diskussionen. Die gewalt­vollen Erfahrungen der »kriminellen Allianz von Patriarchat und Kapitalismus« werden zu einem gemeinsamen Bezugspunkt, Solidarität und das gemeinsame Entwickeln möglicher Antworten stehen im Vordergrund, zum Beispiel in Form des Aufbaus einer feministischen technologischen Infrastruktur. Dadurch werden neue Wege zur Verbreitung von Information und Wissen erschlossen, digitale Tools für den femi­nistischen Aktivismus nutzbar gemacht, sexistische Angriffe online eingedämmt und der Kampf gegen die digitale, technologische Kluft zwischen den Geschlechtern aufgenommen – bis hin zur Schaffung und Verwaltung eigener technologischer Infrastruktur nach feministischen Prinzipien. Nicht zuletzt soll auch die notwendige Erfindung neuer feministischer Technologien angeregt werden: »Vor dem Hintergrund, dass wir nie eine soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit erlebt haben, ist das unsere Form, Widerstand zu leisten; die Möglichkeit, Grenzen zu überschreiten, neue Allianzen zu bilden und als ›Dienerinnen‹ in einem eher technischen Sinn Meisterinnen einer Technik und eines von uns selbst erzeugten Wissens zu sein – anstatt lediglich Spiegelung dessen, was wir beobachten.«34

Die gewalt­vollen Erfahrungen der »kriminellen Allianz von Patriarchat und Kapitalismus« werden zu einem gemeinsamen Bezugspunkt, Solidarität und das gemeinsame Entwickeln möglicher Antworten stehen im Vordergrund, zum Beispiel in Form des Aufbaus einer feministischen technologischen Infrastruktur.

Große Technikmonopole wie Apple, Facebook, Microsoft oder Twitter werden immer wieder für ihre fehlende politische Haltung und ihre schlechten Produktionsverhältnisse kritisiert. Kapitalismus und Patriarchat wüten geradezu parallel im digitalen und analogen menschlichen Miteinander. Es braucht daher eine kritische Haltung, um die Funktionslogik und kapitalistische Nutzung zeitgenössischer Technologien verstehen zu lernen. Stellt man die – im technologischen Raum oft noch weniger sichtbaren – Machtstrukturen in Frage und beginnt sich in der konkreten Gestaltung und Konzeption ein­zubringen, könnte Technik aufhören, eine Männerdomäne zu sein. Ein »feministisches Internet« erscheint auch ohne diese Voraussetzungen ­genau so wenig denkbar wie eine feministische Gesellschaft.

Technologische Kämpfe / Kampf um Technologie(n)

Es drängt also weiter die Grundfrage nach dem Verhältnis von Technologien und gesellschaftlicher Veränderung: Queere Tech-Feminist:innen haben hier einiges aufs Tableau gebracht. ­Neben den schon erwähnten Ansätzen des Erzeugens, Verfremdens und Transformierens von ­Bildern, Ideen oder Identitäten wie im Glitch oder dem Xenofeministischen Manifest steht die Auflösung der Grenze zwischen Mensch und Technik bzw. die (bio-)technologische Ausweitung der Gattung Mensch im Zentrum der von Donna Haraway geprägten und inspirierten Ansätze. Im Bild der Cyborg wird es plastisch.

In den letzten Jahrzehnten hat sich Haraway selbst hingegen vermehrt biotechnologischen Aspekten zugewandt und setzt sich mit Aspekten des Zusammenlebens und -wachsens von Mensch und Tier auseinander.

Damit thematisierte Haraway schon in den 1980ern eine ­Zukunft, die für uns in bestimmter Hinsicht bereits Alltag geworden ist: Digitale Techno­logien sind ständige Begleiterinnen geworden, ja, man kann fast davon sprechen, dass Geräte wie Smartphones, Smartwatches, Tablets etc. zunehmend mit dem Körper verwachsen – wenn auch in eher seltenen Fällen bis unter die Haut. Gerade darum sind Auseinandersetzungen mit Haraways Aufsatz durchaus heute noch wichtig, auch und vor allem hinsichtlich medizintechnologischer Entwicklungen, die dringend reflektierte feministische Auseinandersetzungen benötigen. In den letzten Jahrzehnten hat sich Haraway selbst hingegen vermehrt biotechnologischen Aspekten zugewandt und setzt sich mit Aspekten des Zusammenlebens und -wachsens von Mensch und Tier auseinander. Zentral ist dabei der Gedanke einer Auflösung der Artengrenzen. Unter dem Slogan »Make Kin Not Babies«35 fordert sie neue Formen der Verwandtschaft zu »nichtmenschlichen Akteuren«; so entwirft sie in der Figur der Camille in ihrem Buch Unruhig bleiben36 ein durch Genmanipulation und Gentransformation entstandenes Mischwesen aus Mensch und Schmetterling.37 Die Wahl des vom Aussterben bedrohten Monarchfalters verdeutlicht dabei den aktuellen politischen Bezug zum Klimawandel und der dadurch entstandenen Bedrohung für Mensch und Umwelt. Man könnte mutmaßen, dass Biotechnologie hier zwischenmenschliche bzw. dem Subjekt inhärente Widersprüche auflösen soll, die der Mensch als Mensch, als gesellschaftliches Wesen anscheinend nicht zu lösen vermag. Aber wie genau gestalten und stellen sich die zwischenmenschlichen, die artenübergreifenden Beziehungen her? In welcher Form produziert die ­Gesellschaft die Mittel für ihr Überleben? Wie reproduziert sie sich und woher kommen die Mittel zur Reproduktion? Solch materielle Fragen tauchen im zeitgenössischen Cyberfeminismus wenig auf. Kapitalismus sei eine Erzählung, heißt es hingegen oft, und durch Neuerzählungen könne man zu einer anderen als der kapitalistischen Gesellschaftsform gelangen.

In welcher Form produziert die ­Gesellschaft die Mittel für ihr Überleben? Wie reproduziert sie sich und woher kommen die Mittel zur Reproduktion?

Schon im Cyborg-Manifest wurden die Geschichten von Science-Fiction-Autor:innen wie Octavia Butler etc. als neue Mythen ver­standen und ihnen transformatorische Kraft zugesprochen. Und ja, befreiende Gefühle angesichts utopischer Romane wie bspw. Marge Piercys Woman at the Edge of Time, in dem FINTA* und ­Natur nicht gleichgesetzt sind, indem voller Lust und Fantasie eine queer-kommunistische Utopie entworfen wird, kennen auch wir. Doch sie erscheinen als revolutionäre Praxis zu kurz gegriffen angesichts der Realität fortwährender ökonomischer Abhängigkeiten. Es fragt sich, wie weit ein bloßes Um- oder Neuschreiben reale gesellschaftliche Verhält­nisse ins Wanken zu bringen vermag. Im klassischen Technologiediskurs steht die Zähmung der Irrationalität und der Gewalt im Zentrum, die auch der Natur selbst immanent ist. Auch in zeitgenössischen cyberfeministischen Auseinandersetzungen tauchen solche ­Fantasien der Naturbeherrschung wieder auf: »Im Namen von Feminismus soll ›Natur‹ nicht länger eine Zuflucht für Ungerechtigkeit sein, oder eine Grundlage für irgendeine politische Rechtfertigung! Wenn die Natur ungerecht ist, müssen wir eben die Natur verändern!«38 Technologie ist das Prinzip, wie der Mensch sich die Welt aneignet: Ohne Technologie bleibt der Mensch der (auch eigenen) Natur in ihrer Unvorhersehbarkeit unterworfen. Tech­nologie, also die Werkzeuge und Mittel, mit denen der Mensch sich von der Natur quasi un­abhängiger macht, beschreibt daher immer eine Art von Naturbeherrschung. Diese stellt sich aber durch menschliches Handeln, nicht durch die Technologie selbst, her. Die Form dieses menschlichen Handelns, die gesellschaftliche Strukturen beeinflusst und wechselseitig ­zugleich von ihr beeinflusst wird, prägt und stützt das Verhältnis von Mensch und Natur, von Mensch und Maschine. Nicht die Natur an sich ist ungerecht, sondern die Form, das ­Verhältnis, in dem Natur und Gesellschaft zueinanderstehen. Als in Natur verkleidete Herrschaft, als zweite Natur erscheint diese zwar selbst als Ursprung der Herrschaft, doch ist der Mensch immer auch Teil von Natur – Ihn theoretisch und praktisch als Kategorie aus dieser Gleichung herauszunehmen, birgt die ­Gefahr, die durch sein Handeln hergestellten gesellschaftlichen Strukturen nicht mehr zu begreifen, kritisieren und potentiell verändern zu können.

Zur Kritik an der binären (in der Aufklärung gründenden) Technik-Erzählung gehört die dialektische Paradoxie, dass wir durch technologische Entwicklungen Fortschrittliches hinzugewinnen, potentiell Befreiendes sogar (erinnert sei an die Hoffnung, dass uns Technologie von Arbeit befreien sollte), in das wir uns feministisch einschreiben sollten – dass aber trotzdem ­Etwas in diesen Technologien steckt, das wir uns mit einhandeln: Gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse schreiben sich in Technologien und deren Entwicklung ein. Technologien können dazu beitragen, solche Herrschaftsstrukturen zu reproduzieren. In der metrischen Welt des digitalen Datenkapitalismus zeigt sich das in aller Deutlichkeit, denn felsenfest gilt, was in Zahlen ausgedrückt wird und vergleichbar ist, als objektiv. In dieser Situation gibt es nicht wenige, die auf eine technologische Lösung für die durch technische Entwicklungen beschleunigte Klimakatastrophe hoffen, einen CO2-Absauger vielleicht, der zusammen mit weiteren neuen (noch zu erfindenden) Technologien bestimmt alle unsere Probleme mit der Erderhitzung erledigen wird, everything is possible, während es geradezu unmöglich erscheint, unser Miteinander, unser ­Leben in einer gemeinsamen Gesellschaft zu verhandeln, zu verändern und so zu gestalten, dass wir alle auf dieser Welt als Menschen und als Lebewesen ein gutes Leben haben können.

AG DDD sind Lona Nerd, Melina Weissenborn und Katharina Zimmerhackl. Die drei Redakteurinnen der outside the box schlossen sich für die technologischen Erkundungen zusammen, weil sie keine damsels in digital distress sein wollen.


  1. Ursula K. Le Guin: Am Anfang war der Beutel, übers. aus dem Engl. von Matthias Fersterer. Klein Jasedow 2020, S. 15f. 

  2. Wajcman, Judy: Feminism Confronts Technology. Cambridge 1991, S. 23. »Technischer Wandel ist ein Prozeß, in dessen Verlauf verschiedene Gruppen um die Kontrolle kämpfen, und die Ergebnisse sind deshalb abhängig davon, wie Macht und Kapital innerhalb der Gesellschaft verteilt sind.« Dies.: Technik und Geschlecht. Die feministische Technikdebatte, übers. aus dem Engl. von Birgit Müller, Frankfurt/New York 1994, S. 41. 

  3. Ebd. S. 63. »Wenn wir Technik als neutral, aber mißbraucht betrachten, übersehen wir die Konsequenzen der Tatsache, daß Kunstprodukte in einer bestimmten Weise entworfen und entwickelt werden.« (ebd., S. 88). 

  4. Ebd. S. 95. »(…) doch auffällig an diesen neuen Technologien ist gerade, wie wenig sie die Macht haben, das tägliche Leben innerhalb der häuslichen Welt zu verändern.« (ebd., S. 122). 

  5. http://www.freilassung.de/div/texte/rz/milis/kampagne.html 

  6. Donna Haraway: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technikwissenschaften, übers. aus dem Engl. von Fred Wolf. In: Carmen Hammer/Immanuel Stieß (Hg.): Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt/M 1995, S. 33–72, hier S. 35. 

  7. In der deutschen Übersetzung des Manifests erhält »die« Cyborg einen femininen Artikel, wenn es sich um eine utopische Anrufung handelt, einen maskulinen hingegen bei der Vision einer Dystopie. Vgl. Donna Haraway: A Cyborg Manifesto. Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century. In: Simians, Cyborgs and Women: The Reinvention of Nature, New York 1991, S 149–181. 

  8. Haraway: Ein Manifest für Cyborgs, S. 33. 

  9. Ebd. S. 43. 

  10. Ebd. S. 41. 

  11. Ebd. 

  12. Ebd. 

  13. Ebd. S. 44. 

  14. Ebd. S. 33. 

  15. Ebd. S. 34. 

  16. Ebd. S. 51. 

  17. Ebd. S. 64. 

  18. Ebd. S. 65. 

  19. Ebd. S. 72. 

  20. Sadie Plant: nullen + einsen. Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien, übers. aus dem Engl. von Gustav Roßler, Berlin 1998[1997], S. 42. 

  21. Ebd. S. 43. 

  22. Zur psychoanalytischen Bedeutung der Verschmelzung als Fantasie vgl. Katharina Zimmerhackl: Verschmelzungssehnsüchte. Überlegungen zum Verhältnis von Erfahrung, Natur und Geschlecht anhand der ›Xenogenesis‹-Reihe von Octavia Butler, in: #7 Erfahrung, outside the box – Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik. 

  23. https://laboriacuboniks.net/manifesto/xenofeminismus-eine-politik-fur-die-entfremdung (abgerufen 21.01.2023). 

  24. Ebd. 

  25. Ebd. Der Begriff »memetisch« bezieht sich zum Einen auf die Funktionslogik viral werdender »Memes«, zum Anderen auf den Begriff des »Mem« des Evolutionsbiologen Richard Dawkins, demzufolge im Gehirn gespeicherte Informationsmuster durch Kommunikation weitergegeben und über den Prozess der Imitation gleichzeitig internalisiert, vervielfältigt und umgeschrieben werden – und als Form soziokultureller Evolution »vererbt« werden. 

  26. Legacy Russell: Glitch Feminism: A Manifesto, London/NY 2020. (Dt.: Glitch Feminismus: Ein Manifest, übers. aus dem Engl. von Ann Cotton, Berlin 2021.) 

  27. https://laboriacuboniks.net/manifesto/xenofeminismus-eine-politik-fur-die-entfremdung (abgerufen 21.01.2023). 

  28. Vgl. Tiziana Terranovas interessante Keynote Capture all work auf der Transmediale 2015. In ihrem Beitrag geht sie auch auf Perspek­tiven der Gegenorganisation ein und auf Möglichkeiten, in den Lücken und Rändern kybernetischer Netzwerke Arbeitskämpfe zu organisieren: https://archive.transmediale.de/content/keynote-by-tiziana-terranova-keynote-capture-allwork (abgerufen 7.1.2021). 

  29. Kylie Jarrett: Feminism, Labour and Digital Age. The Digital House­wife, London 2016. 

  30. Vgl. auch die hier im Heft unter dem Titel Kritik am Extraktivismus versammelten Texte. 

  31. Neue Welten erfinden – mit cyberfeministischen Praxen und Ideen«, Text zusammengestellt von Spideralex, In: Cornelia Sollfrank (Hg): Die schönen Kriegerinnen. Technofeministische Praxis im 21. Jahrhundert, Wien 2018. 

  32. Ebd, S. 61f. 

  33. Ebd, S. 87f. 

  34. Ebd., S. 87f. 

  35. Ihr wird in dem Kontext auch der Vorwurf der Eugenik gemacht. Dies hier kritisch zu diskutieren sprengt leider den Rahmen des Artikels. 

  36. Donna Haraway: Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, übers. aus dem Engl. von Karin Harrasser, Frankfurt a.M. 2018. 

  37. Ideengeschichtlich ist die Wahl des Sinnbilds eines Schmetterlings bezeichnend. Schon immer steht gerade der Falter für die Seele und Psyche des Menschen. 

  38. https://laboriacuboniks.net/manifesto/xenofeminismus-eine-politik-fur-die-entfremdung (abgerufen 21.03.2023). 

Wir verwenden Cookies, um das einwandfreie Funktionieren unserer Website zu gewährleisten. Wir speichern KEINE Cookies von Drittanbietern. Durch die weitere Nutzung unserer Website stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung