Sarah Uhlmann

Gemeinsame Erfahrungen? Geteilte Kämpfe?

Klasse und ­soziale ­Repro­duktion aus ­feministischer Perspektive

In den letzten Jahren haben wir eine immense Zunahme an Protesten erlebt. Erst die Anti-Austeritätsproteste samt der Occupy-Bewegung, dann brachten die ›Recht auf Stadt‹-Mobi­lisierungen, NiUnaMenos und der Frauenstreik, Fridays for Future und BlackLivesMatter unglaublich ­viele Menschen auf die Straße. Die Aufzählung von Protesten mag willkürlich ­erscheinen, doch der folgende Text will der Frage nachgehen, wie sie zusammenhängen. Um diese Kämpfe zu theoretisieren und in Beziehung zu setzen, bedarf es einer materialistischen Perspektive, die zugleich von einem er­weiterten Verständnis des Kapitalismus und der Ökonomie ausgeht. Denn die Totalität des Kapitalismus lässt sich nur in der Verschränkung von Produktions- und Reproduktionssphäre begreifen. Die soziale Reproduktion liegt im Herzen der Kapitalakkumulation.1 Sie ist ihr vorgelagert, insofern die Produktion von Gütern und Dienstleistungen fundamental auf die (Wieder-)Herstellung des Lebens und der Menschen angewiesen ist. Diese feministische Erkenntnis gilt es, auf soziale Kämpfe zu beziehen.

Seit der Krise des Fordismus in den westlichen Industriestaaten der 1970er Jahre sieht sich der Kapitalismus mit ­einer starken Wertschöpfungskrise konfrontiert. Es folgte ein massiver Umbau der Wirtschaft. Dieser ging mit ­einer Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse einher, infolgedessen die Löhne ­vielerorts nicht mehr zur Deckung der Lebenskosten reichen. Zugleich wurden immer weitere Bereiche der sozialen Reproduktion, die früher staatlich oder privat organisiert waren, zu marktförmigen Dienstleistungen ­umstrukturiert. Dadurch sind Wohnen, Gesundheit und Bildung zunehmend zu Waren geworden, die sich nicht mehr alle leisten können.

Der vorliegende Text argumentiert jedoch ­dafür, die Verschränkung der Sphären von Produktion und Reproduktion für eine Analyse der gegenwärtigen Konflikte in den Blick zu nehmen, da ­hierdurch Klasse, race und Geschlecht als miteinander vermittelte soziale Kategorien begriffen werden können.

Unter dieser Entwicklung, die als eine Fortsetzung der ursprünglichen Akkumulation gedeutet werden kann, leiden vor allem Menschen mit geringem Einkommen und somit primär People of Color, Menschen ohne gültige Papiere, aber auch alleinerziehende Eltern und Menschen mit Beeinträchtigungen. Die Krise der Produktion mutierte zu einer Krise der sozialen Reproduktion. Vielfach kommt es zur Überforderung Einzelner, manchmal aber auch zu kollek­tivem Protest. Im Grunde verteidigen die eingangs erwähnten Bewegungen ein Recht auf ein würdiges Leben. Da sie in ihrer Entstehung mit ökonomischen Entwicklungen zusammenhängen, sollen sie im Folgenden als erweiterte Klassenkämpfe gedeutet werden. Diese Aussage bedeutet jedoch nicht, Kämpfe von Arbeiterinnen und feministische oder ökologische Bewegungen gleichzusetzen. Nicht ganz zu Unrecht wurde und wird immer noch das Primat der Klassenkämpfe behauptet, wonach Klassenkämpfe immer als die »potenziell emanzipatorische Form des Konflikts«2 gelten. Schließlich sind es die Arbeiterinnen, die den Mehrwert der Gesellschaft produzieren, weshalb nur ein Streik den ökonomischen Druck erzeugen kann, soziale Forderungen durchzusetzen. Der vorliegende Text argumentiert jedoch ­dafür, die Verschränkung der Sphären von Produktion und Reproduktion für eine Analyse der gegenwärtigen Konflikte in den Blick zu nehmen, da ­hierdurch Klasse, race und Geschlecht als miteinander vermittelte soziale Kategorien begriffen werden können. Zugleich wird das ­Potenzial von Klassenkämpfen in der Sphäre der sozialen Reproduktion deutlich. Daher werden im Folgenden erst die ökonomischen Ursprünge der Proteste und dann die Abhängigkeit sozialer Kämpfe von den jeweiligen Akkumulationsweisen erörtert. Dabei zeigt sich, dass die Sphäre der sozialen Reproduktion nicht nur das Terrain ist, auf dem sich die Krise entfaltet, sondern hier zugleich Prozesse der Kollektivierung und somit soziale Transformation möglich werden.

Die ursprüngliche Akkumulation und ihre Fortsetzung im finanzialisierten Kapitalismus

Wie marxistische Feministinnen seit Jahren betonen, fußt der Kapitalismus nicht alleinig auf der Ausbeutung von Arbeiterinnen und dem Warentausch. Vielmehr basiert er auf Voraussetzungen, die er nicht selbst produzieren kann; er ist stets auf außer-ökonomische Tätigkeiten und Bereiche angewiesen, wie etwa die unentlohnte Haus- und Sorgearbeit, durch welche die Arbeitskraft (wieder) hergestellt wird. Diese Erkenntnis fußt auf Rosa Luxemburgs Kritik und Erweiterung der Analyse der so genannten ursprünglichen Akkumulation, wie Karl Marx die gesellschaftlichen Umwälzungen bezeichnete, die den Kapitalismus erst möglich machten. Demnach waren es die im 15. und 16. Jahrhundert stattfindenden gewaltsamen Enteignungen der Bauern von ihrem Grund und Boden, ihren Produktionsmitteln und dem Gemeindeeigentum (der Allmende), die Kapitalisten auf der einen und abhängige Lohnarbeiter auf der anderen Seite hervorbrachten. Während dieser Prozess für Marx eine historische Episode darstellt, die er als »Sündenfall« bezeichnet, argumentiert Rosa Luxemburg angesichts der imperialistischen Bestrebungen Anfang des 20. Jahrhunderts, dass sich diese Form der zwangsweisen Integration in den kapitalistischen Markt stetig wiederhole und zur Reproduktion des Ka­pitals diene. Vor dem Hintergrund der ökonomischen Krisen der letzten Jahrzehnte griffen diverse Autorinnen wie David Harvey, Silvia Federici, Tove Soiland und Klaus Dörre auf das Theorem der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation von Rosa Luxemburg zurück und zeigten auf, wie insbesondere in Überakkumulationskrisen das nicht-kapitalistische Außen für eine Verwertung zugänglich gemacht wird. Dieser Prozess, der bei Harvey als Akkumulation durch Enteignung und bei Dörre als Landnahme bezeichnet wird, bezieht sich dabei auf natürliche Ressourcen, auf bislang nicht kapitalistisch organisierte periphere Territorien und Produktionsweisen, aber auch auf Bereiche innerhalb kapitalis­tischer Gesellschaften. Als Mitte der 1970er Jahre die Wachstumsraten schrumpften, wanderten die Industrie und das produzierende Gewerbe in den Globalen Süden ab, wo Arbeitskräfte billiger und gewerkschaftliche Vertretungen schwächer waren. Neben ­dieser Expansion kapitalistischer Verhältnisse wurden auch in frühindustrialisierten Ländern sukzessive Bereiche marktförmig strukturiert und kapitalisiert. So bestand die politische Antwort auf die Rezession in einer Liberalisierung und Flexibilisierung des Finanz- und ­Arbeitsmarktes sowie des Handels. Auch wurden massiv öffentliche Betriebe, staatlicher Grund und Boden sowie diverse soziale Dienstleistungen privatisiert, was zu einem Rückbau des Sozialstaates führte.

Welche weitreichenden Folgen diese Entwicklungen haben, lässt sich ­anhand der Wohnraumfrage verdeutlichen. Seit der Krise des Fordismus fließt immer mehr Kapital in den Finanz- und Immobilienmarkt, da kaum produktive Geldanlagemöglichkeiten vorhanden sind und in diesem Segment die höchsten Profite erreicht werden können. In der Folge avancierte die Stadt zum beliebten Investitionsort. Nachbarschaften, die im Zuge der Deindustrialisierung und Rezession unter Desinvestition und Baufälligkeit litten, boten Möglichkeiten für lukra­tive Geschäfte. Marode Arbeiterviertel wurden saniert und aufgewertet, wobei es häufig zur Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung durch ­Angehörige aus der Mittelschicht gekommen ist. Während solche Prozesse der Gentrifizierung zuerst nur vereinzelt in einigen so genannten Global ­Cities stattfanden, mutierten sie über die Jahre zur globalen Strategie der Kapitalakkumulation.3 Laut David Harvey dienen solche Investitionen in die gebaute Umwelt und damit eben die Aufwertungen der Städte seit jeher dazu, überschüssiges Kapital zu absorbieren. Die Massivität der urbanen Umstrukturierungen der letzten Jahre hängt mit den enormen Summen an Kapital zusammen, die durch die astronomischen Gewinne auf den Finanzmärkten und durch die Vermögenszugewinne der Superreichen immens angewachsen sind und die zugleich auf Investition drängen. Denn wer sein Geld auf dem Konto liegen lässt, hat eigentlich im Kapitalismus schon verloren. Außerdem wurde das Interesse am so genannten Betongold4 durch den Rückbau des Sozialstaates befeuert. Nachdem im Zuge der neoliberalen Krisenbearbeitung Rentenleistungen privatisiert wurden und die Selbstständigkeit von Arbeitnehmern stetig angestiegen ist, verfügen immer we­niger Menschen in den frühindustrialisierten Ländern über eine sichere Alters- und Krankenversorgung. Da sich ein Teil der Mittelklasse finanziell absichern will, erhöht sich die Nachfrage nach Immobilien nicht nur als Eigenheim, sondern auch als Anlageobjekt: Entweder, indem man Wohnungseigentümer wird oder in Form globaler Investmentfonds. Aber nicht allein ­Privatpersonen, sondern auch Staatsfonds und Rentenkassen sind mittlerweile auf dem Immobilienmarkt tätig. So hat die Deregulierung des Wohnungsmarktes dazu geführt, dass Wohnraum immer mehr als spekulative Anlage gehandelt wird. Die Finanzia­lisierung des Wohnungsmarkts schreitet voran, weil er zunehmend in den Händen von börsennotierten Wohnungskonzernen und Immobilienfonds liegt. Haben diese Unternehmen häufig aus staatlichem Besitz veräußerte Wohnungen gekauft, verwalten sie diese nun im Interesse transnationaler Kapitalanleger. Dabei wird die Rendite hauptsächlich darüber erzielt, dass Kosten optimiert und Mieten erhöht werden. Die zunehmende Ausrichtung des Wohnungsmarktes nach Profitinteressen in Form von Gentrifizierung und Finanzialisierung geht mit kräftigen Mietsteigerungen einher, weshalb Menschen aus den unteren, aber auch verstärkt aus den mittleren Einkommensschichten in Bedrängnis geraten. Darüber hinaus spitzt sich die Lage in den frühindustrialisierten Ländern durch die Privatisierung städtischer Wohnungsunternehmen zu, denn sie haben die Abnahme des Bestands an ­sozialem Wohnungsbau zur Folge. In Deutschland beispielsweise hat sich die Zahl der Sozialwohnungen in den letzten 15 Jahren halbiert. In anderen Ländern, in denen die Regulierung des Immobilienmarktes viel geringer und damit die sozialen Folgen noch dramatischer sind, wird mittlerweile – in Analogie zum ruralen Extraktivismus – auch die Bezeichnung »urbaner Extraktivismus« benutzt, um auf die Ausbeutung von städtischem Grund und Boden durch das Kapital zu verweisen.5 Neben dem massiven Problem, dass in kaum einer Stadt dieser Welt für ­einen Großteil der Bewohnerinnen noch bezahlbarer Wohnraum zu haben ist, hat in den frühindustrialisierten Ländern die zunehmende Privatisierung des Gesundheitssystems, der Altenpflege und der Bildung (v.a. in angelsäch­sischen Ländern) dazu geführt, dass eine qualitativ gute Versorgung nur noch mit entsprechendem Einkommen zu haben ist.

Transformation sozialer Kämpfe

Was zur sozialen Reproduktion bzw. zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendig ist, war und ist Ergebnis permanenter gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Hauptsächlich passieren diese an den Arbeitsplätzen und in den Produktionsstätten, wobei ein Großteil aller Streiks im Handel und in der Logistik stattfinden. Immer weniger Arbeitnehmer werden jedoch von Gewerkschaften vertreten, was vor allem auf den Rückgang industrieller Arbeitsplätze und der Zunahme individualisierter und prekärer Arbeitsverhältnisse zurückzuführen ist. Aufgrund dieser Entwicklung argumentiert etwa Joshua Clover, dass die Riots in den kommenden Jahren zunehmen werden. Mit dem schleichenden Bedeutungsrückgang der (industriellen) Lohnarbeit verliert der Arbeitsplatz als Verhandlungsort sozialer Konflikte an Bedeutung. Daher finden im frühindustrialisierten Westen soziale Konflikte immer weniger in den Fabriken, sondern zunehmend auf den Straßen und Plätzen statt, die, wie Clover es beschreibt, Orte »der Zirkulation von Waren und Gütern«6 sind. Im Vergleich zu den eingehegten Arbeitskämpfen in Unternehmen, die aufgrund des fehlenden Wirtschaftswachstums zu­nehmend defensiver sind, verlaufen die Ausschreitungen auf den Straßen unkontrollierter und gewaltvoller. Somit sind Riots – ähnlich wie Streiks – ein Kampf um die Reproduktion. Jedoch in ihrer Negation, denn sie stellen keinen Weg dar, mit dem die Anwesenden ­ihren Anteil am Gewinn erhöhen könnten.7 Der Riot ist das Protestmittel der »Überflüssigen«; er ist, wie es Clover ausdrückt, »the modality through which surplus is lived«.8 Damit wird deutlich, dass sich in Abhängigkeit zu den Transformationen der Akkumu­lationsweise auch die Formen, Inhalte und Austragungsorte sozialer Kämpfe wandeln. Die sozialen Konflikte äußern sich aber nicht nur als Streik in der Sphäre der Produktion oder als Riot in der Zirkulation – sie verlagern sich auch in die Sphäre der sozialen Reproduktion.

Wenn der Kapitalismus im Zuge der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation nicht-markförmig organisierte Teile der Gesellschaft, also auch Bereiche der sozialen Reproduktion inte­griert, um sich selbst zu erhalten, muss diese Sphäre in die Analyse sozialer Kämpfe inkludiert werden.

Mit dem schleichenden Bedeutungsrückgang der (industriellen) Lohnarbeit verliert der Arbeitsplatz als Verhandlungsort sozialer Konflikte an Bedeutung. Daher finden im frühindustrialisierten Westen soziale Konflikte immer weniger in den Fabriken, sondern zunehmend auf den Straßen und Plätzen statt.

Mit der sozialen Reproduktion sind alle Prozesse und Tätigkeiten zum Erhalt und der Wiederherstellung des Lebens gemeint, die in der Familie, aber auch in der Community und in öffentlichen Institutionen auf einer alltäglichen und intergenerationalen Ebene stattfinden.9 Wie eingangs benannt, lassen sich die Schaffung von Mehrwert im Kapitalismus und die Schaffung und Wieder­herstellung der Menschen nicht losgelöst voneinander betrachten. Die Sphäre der Produktion und die der Reproduktion sind vielmehr ineinander verzahnt und aufeinander bezogen. Dies bedeutet auch, dass Transformationen in einem Bereich Veränderungen im anderen nach sich ziehen. Beispielsweise geht die Zunahme arbeitender Frauen mit dem Ausbau staatlicher Kinderbetreuung einher. Die Verknüpfung zeigt sich aber auch anhand sozialer Kämpfe. So konnten Studien zu den Protesten am Übergang zum 20. Jahrhundert in den USA darlegen, dass sich in dem Moment, in dem For­derungen nach höheren Löhnen aufgrund krisenhafter wirtschaftlicher Bedingungen nicht mehr durchgesetzt werden konnten, sich die sozialen ­Konflikte in den Bereich der sozialen Reproduktion verlagerten und dort vor allem in Bezug auf Wohnraum und der Lebensmittelversorgung eine Zuspitzung erfuhren.10 Vor diesem Hintergrund zeugen auch die aktuellen ­Proteste, insbesondere in Bezug auf die Themen Wohnraum, Gesundheit und Bildung, von solch einer Verschiebung auf das Terrain der sozialen Reproduktion.

Die Erweiterung der Klassen(-kämpfe)

Insofern die Kämpfe um Reproduktion von der Akkumulationsweise abhängig sind bzw. eine Reaktion auf Krisen darstellen, die durch die fortschreitende Kommodifizierung11 gesellschaftlicher Bereiche hervorgerufen werden, lassen sich diese Formen der Auseinander­setzungen auch als Klassenkämpfe deuten. So hat auch Alex Demirović kürzlich in der Prokla argumentiert, dass soziale Konflikte und aktuelle soziale Bewegungen Formen darstellen, in denen Widersprüche und Klassenkämpfe ausgetragen werden.12 Es mag simplifizierend erscheinen, alle Kämpfe um die soziale Reproduktion, wie sie von feministischen, BIPoC-Aktivistinnen, ökologischen und ›Recht auf Stadt‹-Bewegungen etc. aus­getragen werden, als Formen von Klassenkämpfen zu fassen. Nicht nur, weil sie sich nicht in der Lohnsphäre artikulieren, sondern auch, weil Aktivistinnen der jeweiligen Bewe­gungen häufig eben nicht der Arbeiterklasse, sondern der Mittelschicht angehören. Jedoch ist Klasse auch im traditionellen Marxismus kein konsistenter ­Begriff. Er changiert zwischen einer strukturellen und einer politischen ­Kategorie. Dass die Stellung der Arbeiter im Produktionsprozess nicht zwangsläufig mit Klassenbewusstsein einhergeht, haben die letzten Jahrhunderte eindeutig bewiesen.

Aber der Blick darf sich nicht auf den Konflikt zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmer beschränken, sondern muss – analog zum erweiterten Verständnis von Kapitalismus – andere Formen ökonomischer Macht mit einbeziehen.

Vor diesem Hintergrund haben Autoren wie E. P. Thompson, der die Entstehung der Arbeiterbewegung in England untersuchte, praxeologische Verständnisse von Klassen entwickelt. Eine Klasse formiert sich demnach, »wenn Menschen aufgrund gemeinsamer Erfahrungen […] die Identität ihrer Inte­ressen empfinden und artikulieren«[^13]; sie entsteht erst mit und durch ihre Kämpfe. Daher ist auch die damit verbundene kollektive Identität keine vorab existierende oder gar essentialistische Kategorie. Sie muss stattdessen als Produkt der Umstände gesehen werden. Cinzia Arruzza ist zuzustimmen, insofern »jede politische Subjektivierung, die auf einer bestimmten ­Unterdrückung beruht, neue Erkenntnisse über die verschiedenen Arten, wie Kapitalismus, Rassismus und Sexismus unser Leben beeinflussen, liefert«.[14] Sich für einen praxeologischen Klassenbegriff zu entscheiden, meint jedoch nicht, das strukturelle Moment in der Klassenkonstitution aufzugeben. Aber der Blick darf sich nicht auf den Konflikt zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmer beschränken, sondern muss – analog zum erweiterten Verständnis von Kapitalismus – andere Formen ökonomischer Macht mit einbeziehen. Mit Sören Mau lässt sich der Klassenbegriff in dem Sinne erweitern, dass die ökonomische Herrschaft im Kapitalismus nicht nur durch die Ausbeutung der Arbeitskraft, sondern auch durch die Kontrolle der notwendigen Mittel zur Reproduktion hergestellt wird.13 Um es etwas plastischer zu machen: Die meisten Menschen sind gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, damit sie die notwendigen Mittel zum Erhalt ihres Lebens verdienen. Darüber hinaus benötigen sie ein Dach über dem Kopf, weshalb sie für eine Unterkunft Miete aufbringen müssen.

Doch diese Abhängigkeiten unterscheiden sich strukturell. Während durch die Nutzung der Arbeitskraft Mehrwert entsteht, schöpft die Miete den Mehrwert bloß ab und reduziert damit den Lohn – in vielen Städten mittlerweile sogar um die Hälfte. Einen Klassenbegriff zu wählen, der die Reproduktionsverhältnisse inkludiert und der dabei die Kämpfe um Reproduktion als Reaktion auf die diversen Formen der Enteignung versteht, ist vor dem Hintergrund der sich transformierenden Akkumulationsregime dringend notwendig. Denn, wie Nancy Fraser erklärt, verschiebt sich das Verhältnis von Ausbeutung und Enteignung im finanzialisierten Kapitalismus durch die forcierten Prozesse der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation zunehmend. Dabei stellen Ausbeutung und Enteignung jeweils Formen der Akkumulation dar: Ausbeutung schafft den Wert im Lohn­arbeitsverhältnis »unter dem Deckmantel eines freien vertraglichen Austauschs«, während die Enteignung eine Konfiszierung des Mehrwerts anderer, aber auch von Land, Tieren, Werkzeugen, Rohstoffen, und sogar Menschen bedeutet.14 Mittlerweile habe Enteignung die Ausbeutung »als Wertquelle und Triebkraft der Kapitalakkumulation überholt«.15 Angesichts der damit ­einhergehenden Auseinandersetzungen plädiert Fraser dafür, das traditio­nelle Verständnis von Klassenkämpfen zu weiten, da es »unbezahlte und enteignete Arbeit ausschließt«.16 Für diese Konflikte führt sie den Begriff der Grenzkämpfe ein, die »an den Orten entstehen, wo die Produktion auf die Reproduktion trifft, die Wirtschaft das Gemeinwohl berührt und die menschliche Gesellschaft auf die nicht-menschliche Natur trifft«.17 Dementsprechend lässt sich argumentieren, dass die zunehmenden Prozesse der Enteignung und Kommodifizierung der sozialen Infrastruktur einen Klassen­begriff notwendig machen, der die Unterdrückung derjenigen einschließt, die die Bedingungen ihrer Reproduktion nicht kontrollieren können. Auch lassen sich mit dem Kriterium der Kontrolle über die Produktionsmittel aufgrund der Transformationen des Arbeitsmarktes schon lange keine eindeutigen sozialstrukturellen Klassengrenzen mehr ziehen. Viele der Ärmsten sind formal selbstständig und häufig werden schlecht bezahlte Tätigkeiten am privaten Rechner und im Homeoffice ausgeführt. Mit einem auf die Reproduktionsbedingungen er­weiterten Klassenbegriff können auch Teile der Mittelklassen inkludiert werden, die aufgrund zunehmender Prekarisierung und dem Abbau wohlfahrtsstaatlicher Absicherungssysteme von einem sozialen Abstieg bedroht sind.

Sich für einen praxeologischen Klassenbegriff zu entscheiden, meint jedoch nicht, das strukturelle Moment in der Klassenkonstitution aufzugeben.

Zugleich muss beachtet werden, dass die Produktions- wie Reproduktionsverhältnisse, und damit die Klassenverhältnisse, in denen ein Mensch lebt, vergeschlechtlicht und rassifiziert sind. Daher sind Mahnungen, wie sie vor Kurzem in der ›Marxistischen Erneuerung‹ zu lesen waren, mehr als antiquiert. So behauptet Victor Wallis, dass die sozialen Bewegungen, die auf Unterdrückungsdimensionen wie race und Geschlecht abheben, eine »Enttäuschung erleben werden, da sie die strategische Bedeutung von Klasse übersehen«.18 Für eine adäquate Analyse und damit auch Politik ist es notwendig anzuerkennen, dass Rassismus und Sexismus und die damit einhergehenden Abwertungen aktiv Formen der Kapitalakkumulation und Enteignung ermöglichen.19 Hierfür gibt es zahlreiche historische wie aktuelle Beispiele. Nicht nur ist der Kapitalismus auf die unbezahlte, meist von Frauen ausgeübte Reproduktionsarbeit angewiesen, damit sich ihre Männer von und für die Arbeit erholen können, die Kinder erzogen werden und somit Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Auch fußen große Teile der Profite auf einer Überausbeutung, die ein Teil der Angestellten erfahren, die weder weiß noch männlich sind und die ihre Arbeitskraft unter dem eigentlichen Wert verkaufen müssen. Diese Menschen leben permanent am oder sogar unter dem Existenzminimum; ihre Reproduktion ist zutiefst prekär. Hiermit soll nicht behauptet werden, dass alle Widersprüche und sozialen Kämpfe das gleiche sind. Aber Ausbeutung und Dis­kriminierung stehen nicht einfach als zwei Verhältnisse nebeneinander, die sich zuweilen überlagern. Da die Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten vor allem über den Wert vermittelt war, geht es vielmehr darum, die Verwobenheit dieser Relationen, wie sie Stuart Hall für race beschrieben hat, ­anzuerkennen. Demnach ist race »die Modalität, in der Klasse ›gelebt‹ wird, das Medium, in dem Klassenverhält­nisse erfahren werden, die Form, in der sie angeeignet und ›durchkämpft‹ ­werden«.20 Soziale Kategorien wie Geschlecht, race oder sexuelle Orientierung werden vom Kapitalismus integriert, hervorgebracht und zugleich auch überformt.

Versteht man die Kontrolle über die Reproduktion im Sinne Maus als ökonomisches Machtinstrument, lassen sich Reproduktionskämpfe gegen schlechte Gesundheitsversorgungen und un­würdige Wohnbedingungen, von denen BIPoC, FLINTAs und Migranten be­sonders betroffen sind, als erweiterte Klassenkämpfe deuten. Für die Möglichkeit der eigenen Reproduktion und somit für den Erhalt und die Wiederherstellung des Lebens zu streiten, bedeutet auch, für reproduktive Rechte und körperliche Unversehrtheit zu kämpfen – weshalb die Proteste von BLM gegen Polizei und rassistische Gewalt, aber auch diejenigen gegen misogyne, homophobe, transphobe Gewalt darunter gezählt werden sollten. Ob man diese Kämpfe um soziale Reproduktion als soziale Kämpfe, Grenzkämpfe, (erweiterte) Klassenkämpfe oder als Reproduktionskämpfe bezeichnet, muss an dieser Stelle gar nicht entschieden werden. Viel wichtiger ist es, eine komplementäre Sicht auf die Kämpfe in der Produktion und im Bereich der sozialen Reproduktion zu entwickeln, da in der Analyse der spezifischen Artikulationsformen und ihren Unterschieden meines Erachtens ein Erkenntnisgewinn steckt.

Zum Potenzial von ­Reproduktionskämpfen

Klassenkämpfe in der Produktions- und Reproduktionssphäre weisen eine divergierende soziale Basis sowie unterschiedliche Artikulations- und Funktionsweisen auf. Gemeinhin können die Angestellten mit Streiks um höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten in die Produktion eingreifen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dies gilt aber nicht in gleichen Teilen für die im Zuge des wohlfahrtsstaatlichen Ausbaus geschaffenen und meist von Frauen ausgeübten Arbeitsstellen im Sozialbereich. Hier zeigt sich wiederum die Besonderheit der Tätigkeiten aus dem Bereich der sozialen Reproduktion. Während in den 1980er Jahren damit noch halbwegs sichere, wenn auch nicht überaus gut bezahlte Arbeitsplätze einhergingen, kämpfen mittlerweile alle sozialen Träger und Einrichtungen mit knappen Haushaltsmitteln. Oder sie unterliegen aufgrund von Privatisierungen in­zwischen, wie im Fall einiger Krankenhäuser oder Pflegeheime, sogar einer strengen Profitorientierung. Doch mit der Sorge und Pflege von Menschen lässt sich langfristig nur schwer ein profitables Geschäft organisieren. Da diese Arbeit personalintensiv, wertschöpfungsschwach und kaum rationalisierbar ist21, liegt die einzige Möglichkeit, Profite einzustreichen, in der Senkung von Personalkosten oder eben in hö­heren Betreuungsschlüsseln, die vielerorts zur chronischen Überforderung der Angestellten führen. Wenn die Angestellten in diesen Berufen streiken wollen, zeigt sich die Krux darin, dass sozial reproduktive Tätigkeiten eigentlich der Pflege der Menschen dienen sollen und in einem steten Widerspruch zur Kapitalakkumulation stehen. So führt ein Streik nicht unmittelbar zu Profiteinbußen (außer vielleicht im Falle verschobener Operationen), sondern maximal zu einem Imageproblem. Die Lasten müssen von den Nutzerinnen getragen werden, wenn weniger Pfleger auf den Stationen anwesend sind oder die Kinder zu ­Hause betreut werden müssen. Eine ungünstige Voraussetzung, um Rückhalt für Streiks in Pflegeberufen in der Gesellschaft zu schaffen. Aber nicht unmöglich, wie der erfolgreiche Charité-Streik 2021 bewiesen hat.

Betrachtet man die verschiedenen ­Bereiche, die zur sozialen Reproduktion gehören, wird schnell deutlich, dass nicht alle Missstände zu Protesten führen, sondern dass es hierfür Möglichkeiten der Kollektivierung und Organisierung bedarf. Während Nut­zerinnen des Gesundheitssystems, der Altenpflege und der Kinderbetreuung sich selten zusammenschließen, um etwa gegen die Unterbesetzung auf den Stationen oder Kindergartengruppen zu protestieren, sind es primär die Angestellten in diesen Bereichen, die ­gegen miserable Arbeitsbedingungen vorgehen. Zu mehr Protesten außerhalb des Lohnbereichs kommt es hingegen in den Bereichen Bildung und Wohnraum, da hier Räume der Begegnung und soziale Beziehungen zwischen Studierenden, Schülerinnen oder eben Nachbarn entstehen können. Dies verweist auf eine nicht unerhebliche Eigenschaft der Reproduktionskämpfe. Wie schon Teitelman und Mohandesi in ihrer historischen Studie festgestellt haben, ist die Sphäre der so­zialen Reproduktion eben nicht nur das Terrain, auf das sich die Konflikte ver­schieben, sondern es ist auch dasjenige, auf dem Klassenneu- und Koalitionsbildungen möglich werden.22 So haben damals wie heute Mietenstreiks Menschen mit diversen Berufen, ohne Arbeit, unterschiedlicher Herkunft, Geschlecht und race zusammengebracht. Wenn sich Bewohnerinnen eines Hauses gegen Entmietung zur Wehr setzen und dabei gemeinsam Praktiken des Organisierens und Kommunizierens einüben, bauen Menschen neue und manchmal auch solidarische Beziehungsweisen auf.23 Das heißt, auch wenn Kämpfe um soziale Reproduktion nicht in die Produktion eingreifen können, ermöglichen sie Prozesse von Kollektivierungen.

Diese Auseinandersetzungen im Feld der sozialen Reproduktion bilden einen komplementären, vielleicht sogar den elementaren Part im Prozess gesellschaftlicher Transformation. Damit sind nicht nur die konkreten ­Proteste gemeint, sondern auch die sozialen und kulturellen Aktivitäten, die in selbstverwalteten Räumen ­innerhalb von politischen Szenen stattfinden. Zum Beispiel bieten Hausprojekte, soziale und kulturelle Orte, Gesundheitszentren, Infoläden, Kneipen und Safer Spaces Möglichkeiten für alternative soziale Reproduktionsmodi und damit auch für neue ­Beziehungsweisen. Diese Orte beruhen nicht auf Warenform, sondern auf Vertrauen, Kontinuität und Solidarität.

Zwar wird die Art und Weise der sozialen Reproduktion maßgeblich von den Produktionsbedingungen strukturiert und vom Staat reguliert, aber sie ist nicht völlig determiniert.

Sie sind natürlich nicht per se progressiv, einige sogar alles andere als das, aber sie sind als Voraussetzung für Prozesse von Kollektivierungen notwendig. Deshalb haben die ­zunehmende Kommodifizierung städtischer Räume und die damit einhergehende Schließung von Freiräumen fatale Auswirkungen. Schon Henri Lefebvre kam zu dem Schluss: »More­over – and more importantly – groups, classes or fractions of classes cannot constitute themselves, or recognize one another, as ›subjects‹ unless they generate (or produce) a space”.24 Die Netzwerke, die sich Menschen aufbauen, um sich ihre Reproduktion zu sichern, bergen ein emanzipatorisches Potenzial. Sie erhöhen die Autonomie und das Organisierungspotenzial der beteiligten Menschen, die weder vom Staat, noch vom Markt versorgt werden.

Mit dieser Feststellung jedoch sollte keine Glorifizierung von sozialen Kämpfen oder ihrer Stärke einhergehen. Schließlich sind die Kämpfe um die soziale Reproduktion an vielen Orten der Welt pure Überlebenskämpfe. Es geht vielmehr darum, die Ambivalenz anzunehmen, in der sich soziale Konflikte und Proteste ausdrücken. Außerdem kann die Analyse dazu ver­helfen, die Bedeutung der alltäglichen Praktiken der sozialen Reproduktion für Prozesse der sozialen Transformation zu verstehen. Zwar wird die Art und Weise der sozialen Reproduktion maßgeblich von den Produktionsbedingungen strukturiert und vom Staat reguliert, aber sie ist nicht völlig determiniert. Dies eröffnet Bereiche und soziale Räume für alternative Sub­jektivierungen und eben auch Kollektivierungen, die gesellschaftlichen Fragmentierungstendenzen entgegenwirken können.25 Silvia Federici geht sogar so weit zu behaupten: »We cannot build an alternative society and a strong self-reproducing movement unless we redefine in more cooperative ways our reproduction and put an end to the separation between the personal and the political, political activism and the reproduction of every life«.26 In dieser Deutlichkeit vermag die Aus­sage einen allumfassenden Anspruch zu verfolgen, der einem liberalen Politikverständnis zuwider ist. Die Stärke der Arbeiterklasse lässt sich nicht ohne die aus purer Notwendigkeit errichteten Strukturen der Selbstversorgung erklären.27 In den Kämpfen um die soziale Reproduktion werden aber nicht ­allein Kollektivierungsprozesse angestoßen. Manchmal werden konkrete Erfolge für einzelne Beteiligte erzielt, wenn etwa eine Zwangsräumung oder der Bau von Luxusapartments verhindert werden können. Angesichts solcher Erfolge werden die sozialen Kämpfe häufig als partikular und unbedeutend abgetan, auch wenn es ihnen zuweilen gelingt, so stark zu werden, dass sie auf einer politischen Ebene flächendeckende Änderungen einfordern können, wie wir zuletzt am Mietenvolksentscheid in Berlin gesehen haben. Dass es in Berlin zu solchen Auseinandersetzungen kommt, lässt sich nicht ohne die Freiräume denken, die von den Menschen und Bewegungen hergestellt und erhalten werden.

Da immer weitere Bereiche der Gesellschaft marktwirtschaftlich organisiert sind und der endlose Akkumulationsdrang den ganzen Planeten zu unterwerfen droht, befinden wir uns mittlerweile in einer fundamentalen Krise der sozialen als auch ökologischen Reproduktion.28 Gegen die Ausformungen dieser Kapitalakkumulation setzen sich Reproduktionskämpfe zur Wehr, etwa, indem sie für bessere Wohn- und Lebensbedingungen streiten. Hierfür wird immer wieder politisch verhandelt, wer für die soziale Reproduktion verantwortlich ist, das heißt, ob sie Staat, Markt, ­Familien oder Individuen übertragen wird. Von einer besseren sozialen Versorgung würden alle profitieren, aber vor allem Senioren, Frauen, Queers, People of Color, Menschen ohne Papiere und Menschen mit Beeinträchtigungen. Zugleich geht es nicht nur darum, die grundlegenden Bedingungen der sozialen Reproduktion zu erhalten. Die unterschiedlichen Bewegungen zielen darüber hinaus darauf ab, diese zu transformieren, das Profitinteresse bestmöglich zurückzudrängen als auch Freiräume zu erhalten und zu erkämpfen. Denn solange Kapitalismus die dominante Vergesellschaftungsform darstellt, kann es nur Räume geben, die mehr oder weniger von der Logik der Kapitalakkumulation geprägt sind. Die Reproduktionskämpfe als erweiterte Klassenkämpfe zu betrachten, meint nicht, Klasse einfach als universelle Kategorie zu setzen. Es geht ­darum, die Herausbildung als Prozess zu betrachten, wobei Klasse ein »­System von Beziehungen« bildet, das »durch Kämpfe strukturiert ist«, wie Daniel Bensaïd es ausdrückt.29 Eine feministische materialistische Perspektive auf soziale Kämpfe hilft dabei, der Komplexität der vielfältigen Kämpfe in der Produktion und Reproduktion auf den Grund zu gehen. Mit ­einem größeren Bewusstsein für die Alltäglichkeit und zugleich Verwobenheit der Auseinandersetzungen wachsen vielleicht auch das gegenseitige Verständnis und die Solidarität für die verschiedenen Kämpfe.


Sarah Uhlmann ist Soziologin und arbeitet zu sozialen Bewegungen und politischer Ökonomie. Derzeit ist sie Postdoktorandin an der Universität Jena.

  1. Katz, Cindi/Norton, Jack (2017): Social Reproduction. In: Richardson, Douglas/Castree, Noel/Goodchild, Michael F./Kobayashi, Audrey/Liu, Weidong/Marston, Richard A. (Hrsg.), International Encyclopedia of Geography: People, the Earth, Environment and Technology. Oxford/UK: John Wiley & Sons. S. 1–11, hier S. 2. 

  2. Fraser, Nancy/Jaeggi, Rahel (2020): Kapitalismus: Ein Gespräch über kritische Theorie. Berlin: Suhrkamp Verlag, S. 227. 

  3. Vgl. Smith, Neil (2002): New Globalism, New Urbanism: Gentrification as Global Urban Strategy. In: Antipode, 34 (3). S. 427-450. 

  4. Betongold ist ein gängiger Begriff, der die vermeintliche Sicherheit von Investitionen in die gebaute Umwelt zum Zwecke der Wohlstandssicherung ausdrücken soll. 

  5. Vgl. Vasquez Duplat, Ana María (2017): Extractivismo urbano: debates para una construcción colectiva de las ciudades. Buenos Aires: El Colectivo. Während der rurale Extraktivismus ein Wirtschaftssystem meint, bei dem die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in Form von Rohstoffen im Vordergrund steht (siehe Artikelreihe zu Extraktivismus in diesem Heft), bezieht sich der urbane Extraktivismus eben auf den städtischen Raum. 

  6. Clover, Joshua (2016): Riot. Strike. Riot.: The new era of uprisings. New York/London: Verso, S. 173 f. 

  7. Ebd. S. 29. 

  8. Ebd. S. 170. 

  9. Vgl. Bhattacharya, Tithi (2017): Introduction: Mapping Social Reproduction Theory, S. 6. In: Bhattacharya, Tithi (Hrsg.), Social Reproduction Theory: Remapping Class, Recentering Oppression. London: Pluto Press, S. 1-20. Laslett, Barbara/Brenner, Johanna (1989): Gender and Social Reproduction: Historical Perspectives, S. 382. In: Annual Review of Sociology, Annual Reviews, 15. S. 381-404. 

  10. Vgl. Mohandesi, Salar/Teitelman, Emma (2017): Without Reserves. In: Bhattacharya, Tithi (Hrsg.), Social Reproduction Theory: Remapping Class, Recentering Oppression. London: Pluto Press. 37–67. 

  11. Kommodifizierung bezeichnet den Prozess, in dem Bereiche, Produktionsweisen oder Ressourcen in Waren verwandelt werden. 

  12. Vgl. Demirović, Alex (2020): Undoing Class: Warum von Klasse, Klassenkampf und Klassenpolitik reden? In: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 50 (200). S. 429-438. 

  13. Mau, Søren (2022): Stummer Zwang. Eine marxistische Analyse der ökonomischen Macht im Kapitalismus, Berlin: Diez Verlag, S. 133. 

  14. Fraser, Nancy/Jaeggi, Rahel (2020): Kapitalismus: Ein Gespräch über kritische Theorie. Berlin: Suhrkamp Verlag, S. 65. 

  15. Ebd. S. 152. 

  16. Ebd. S. 228. 

  17. Ebd. S. 229. 

  18. Wallis, Victor (2021): Intersektionalität und das politische Primat der Klasse, in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 126. 

  19. Vgl. Ferguson, Sue/McNally, David (2015): Social Reproduction Beyond Intersectiona­lity: An Interview, in: viewpoint magazine, https://viewpointmag.com/2015/10/31/social-reproduction-beyond-intersectionality-an-interview-with-sue-ferguson-and-david-mcnally, zuletzt aufgerufen am 24.2.2023. 

  20. Hall, Stuart (1994): Rassismus und kulturelle Identität. Hamburg: Argument-Verlag, S. 133. 

  21. Soiland, Tove/Müller, Ina/Bischel, Iris/Maurer, Monika/Amsler, Silvia (2013): Das Theorem der neuen Landnahme: eine feministische Rückeroberung. In: Baumann, Hans/Bischel, Iris (Hrsg.), Care statt Crash. Sorgeökonomie und die Überwindung des Kapitalismus. Zürich: Edition 8. S. 99–118, hier S. 115. 

  22. Mohandesi, Salar/Teitelman, Emma (2017): Without Reserves. In: Bhattacharya, Tithi (Hrsg.), Social Reproduction Theory: Remapping Class, Recentering Oppression. London: Pluto Press. S. 37-67, hier S. 52. 

  23. Der Begriff der solidarischen Beziehungsweisen geht auf Bini Adamczak zurück. Siehe Adamczak (2017): Beziehungsweise Revolution: 1917, 1968 und kommende. Berlin: Suhrkamp. 

  24. Lefebvre, Henri (1991): The Production of Space. Oxford [u.a.]: Blackwell, S. 416. 

  25. Auch Produktionsverhältnisse wie selbstverwaltete Genossenschaften, in denen es nicht rein um den Profit geht, sondern auch die menschlichen Bedürfnisse betrachtet werden, eröffnen alternative Wege der Kollektivierung und Subjektivierung. Da aber alle Firmen auf dem Markt bestehen müssen, lässt sich die Verwertungslogik nicht wirklich aushebeln. 

  26. Federici, Silvia (2012): Revolution at Point Zero. Homework, Reproduction, and Feminist Struggle. Oakland: PM Press, S. 147. 

  27. Dazu zählen Wohn- und Konsumgenossenschaften, aber auch die Kleingarten-, Mieterschutz- und Arbeitersportvereine. 

  28. Vgl. Bakker, Isabella/Gill, Stephen (2003): Global Political Economy and Social Reproduction. In: Power, Production and Social Reproduction: Human In/security in the Global Political Economy. London: Palgrave Macmillan UK, S. 3-16. Fraser, Nancy (2016): Contradictions of Capital and Care. In: New Left Review, 100, S. 99-117. Fraser, Nancy (2017): Crisis of Care? On the Social-Reproductive Contradictions of Contemporary Capitalism. In: Bhattacharya, Tithi/Vogel, Lise (Hrsg.), Social Reproduction Theory: Remapping Class, Recentering Oppression. London: Pluto Press. S. 21-36. 

  29. Bensaïd, Daniel (2019): Der unzeitgemäße Marx: Glanz und Elend eines kritischen Abenteuers im 19. und 20. Jahrhundert. Köln: ISP, S.99. 

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