Redaktion outside the box

Editorial

Gestern noch der Release der letzten Ausgabe #7 zum Thema Erfahrung mit großer Jubiläumsgala zum zehnjährigen Bestehen der outside the box, und nun kommt schon die neue outside #8 heraus. Wow, das ging fix, möchte wer meinen – und doch liegen drei Jahre dazwischen. Wie beinahe alles hat der pandemische Schub auch die outside ein paar Jahre vorgespult. Gleichzeitig sind die Erinnerungen an viel zu zähe, viel zu einsame und zu lange Wochen, Monate, Jahre noch sehr präsent. Zeit war noch nie so relativ. Nicht lange, nachdem die #7 im Herbst 2019 in die Welt kam, hat der Lockdown sie wieder ausgebremst – keine Lesereisen, keine Veranstaltungen, keine Diskussion. Die Pandemie wurde zu einer großen Hemmung und Herausforderung für das alltägliche Leben und war auch als Lähmung in unserer Redaktion deutlich zu spüren. Vereinzelung und Distanzierung haben uns auseinandergebracht, unsere Auseinandersetzungen kompliziert und mühsam gemacht. Uns fehlte die direkte Be­gegnung. Als feministisches Kollektiv wollen wir aufeinander Bezug nehmen und nicht in Online-Plena als digitale Kollektion quadra­tischer Miniaturportraits voneinander isoliert sein. Um diese Zwischenzeit gemeinsam zu bewältigen, haben wir uns auch anderen Formen zugewandt: Die inside the fox #4 kam 2020 als »Fox in the box – die Corona-Ausgabe« heraus. Im Rahmen von »30 Jahre Conne Island« feierten wir dort im Herbst 2021 mit Freund:innen und Gästen eine zweite Gala mit dem Titel »Eine feministische Perspektive darf da natürlich nicht fehlen«. Im letzten Jahr konnten wir die Auseinandersetzungen um Erfahrung als umkämpfte politische Kategorie aus der #7 in der Vortragsreihe »(Un-)Consciousness Rising!« wieder aufnehmen und mit unseren Autorinnen diskutieren. Vor allem die Frage nach Emanzipationskämpfen drängte sich uns dabei weiterhin auf und hat uns über die letzte Ausgabe hinweg beschäftigt: »Wenn die eine universelle weibliche Erfahrung nicht existiert, braucht es dann eben nicht gleiche, sondern vielmehr verbindende Erfahrungen, um gemeinsam kämpfen zu können?« Sie führte uns zum Thema dieser neuen Ausgabe #8: Kämpfe.

Die in den letzten Jahren entstandenen feministischen Bewegungen ­haben sich global verstärkt und verdichtet: Die NiUnaMenos-Bewegung als Kampf gegen Feminizide und patriarchale Gewalt hat sich seit ­ihrem Beginn 2015 in Argentinien in viele lateinamerikanische Länder ausgeweitet. Die Online-Bewegung #metoo hat seit 2017 Millionen ­Fälle von sexualisiertem Machtmissbrauch öffentlich gemacht, am 8.März 2018 gingen in Spanien fünf Millionen Menschen zum feministischen Generalstreik auf die Straße. Nach den Präsidentschaftswahlen in Belarus 2020 ist etwas geschehen, was über lokale Proteste gegen gefälschte Wahlen hinausging, und das Buch von Olga Shparaga über diese Bewegung titelte »Die Revolution hat ein weibliches Gesicht«. Es gab mehrfach Großdemonstrationen gegen das vom Parlament ver­abschiedete restriktive Abtreibungsgesetz in Polen im November 2021, und auch in den USA protestierten im Juni 2022 landesweit Tausende gegen die Aufhebung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch durch den Supreme Court. Die seit dem Feminizid an Zhina (Mahsā) Amīnī im September 2022 andauernden feministischen Proteste im Iran ließen uns den Atem anhalten. Sie fühlten sich nach etwas Neuem, noch nicht ­Dagewesenem an: Die Möglichkeit einer feministischen Revolution. Feministische Kämpfe und Formen des Widerstands wandern, beziehen sich aufeinander, weiten sich aus. Als Myriam Z. im April 2020 von ihrem Ex-Freund im Leipziger Auwald erschlagen wurde, politisierten Feminist:innen aus der ganzen Stadt den Mord als Feminizid.

Was wäre das, eine transnationale feministische Bewegung? Welche ­materiellen Grundlagen hat sie? Fühlen wir uns selbst als Teil einer solchen Bewegung? Gleichzeitig beobachten wir die Fragilität von Kämpfen, insbesondere in Bezug auf aktuelle Konflikte innerhalb ­feministischer Debatten: Wie werden Differenzen ausgehandelt, welche Formen werden gewählt, und was ist unsere eigene Rolle darin? Diese Fragen bearbeiten wir innerhalb der Redaktion zunächst in themenspezifischen Kleingruppen. Im Auf und Ab der Coronawellen entsteht die AG Dauerwelle, die sich auf die Suche nach Verschüttetem und Nicht-Erzähltem begibt, nach der Entstehung des eigenen feministischen Bewusstseins fragt und dabei die angebliche Wellenform der feministischen Bewegungen kritisch aufgreift. Dafür hat die Kleingruppe Gespräche mit Leipziger Feminist:innen über die Frage »Fühlst du dich als Teil einer feministischen Bewegung?« geführt, ihre A­ntworten geordnet, miteinander konfrontiert und auch versucht, Konfliktlinien sichtbar zu machen. Mit feministischen Perspektiven auf Technologie beschäftigt sich die AG DDD. Dafür wälzen sie Manifeste, erkunden die materiellen Grundlagen technologischer Entwicklungen und diskutieren das utopische Potential der Figur der Cyborg. Dass Technologien in gewissem Sinne quer zu feministischen Kämpfen liegen – denn ohne (Kommunikations-)Technologien sind Kämpfe un­möglich – wird dabei genauso zur Erkenntnis wie die Tatsache, dass feministische Kämpfe um Technologien in Bezug auf Entwicklung, ­Einsatz und das Wissen um deren Anwendung notwendig sind und bleiben. Die AG Transnationale Kämpfe hat Texte lateinamerikanischer und ­südafrikanischer Feminist:innen gelesen und dabei deren Analysen über die Auswirkungen (neo-)extraktivistischer Wirtschaftsformen auf ­Natur, Communities und das Geschlechterverhältnis entdeckt, die sie in Zusammenhang zu europäischen Lebensrealitäten sowie feministischer Theorie und Praxis bringt. Ausgehend von der Frage »Was hemmt mich zu gestalten?« und der Einsicht, dass Veränderungen Gestalt­prozesse darstellen, stößt die AG Hemmungen auf nicht nur persönliche Hemmungen und fragt nach Formen einer möglichen Bewusstwerdung dieser und deren Bearbeitung. Mit der Methode der Erinnerungsarbeit nach Frigga Haug und Kornelia Hauser begannen wir in der Redaktion – angeleitet von der AG – unsere Erinnerungen an eigene Kämpfe kollektiv zu erforschen. Auch wenn die Dokumentation dieser Prozesse noch aussteht, ist die Thematisierung von Hemmungen, ihren Grundlagen und Möglichkeiten des Widerstands insbesondere durch Textauszüge aus Lu Märtens Monographie Die Künstlerin von 1914 Teil dieser Ausgabe. Lu Märten untersucht darin die materiellen Bedingungen und Hemmungen schöpferisch tätiger Frauen und das darin enthaltene Potenzial der Kunst für Gesellschaftsveränderung. Ihr historischer Text, in Form und Aktualität eingeordnet durch ein Nachwort, schließt an Debatten um feministische Geschichtsschreibung und das Thema Kämpfe an.

Zwischen Corona, näheren und ferneren Kriegen und Verschiebungen in der Weltpolitik bemerken wir immer wieder ein Unbehagen in der Diskrepanz zwischen unserer Arbeitsweise, den langen Abständen zwischen den einzelnen Ausgaben und dem tagespolitischen Geschehen, den ­aktuellen Kämpfen, auf die wir so nicht direkt reagieren können. Wir diskutieren unsere Sichtweisen, suchen Möglichkeiten, wie wir solidarisch mit anderen Kämpfen sein können. Wir nutzen unsere Homepage für Beiträge und kommen aber auch zu der Einsicht, dass wir nicht alles öffentlich kommentieren können. Mit Blick auf die eigene Arbeitsweise fragen wir uns, wie sich Feminist:innen an anderen Orten organisieren: Was haben feministische Kämpfe andernorts mit unseren zu tun, und wie greifen sie ineinander? Dazu wollen wir uns in Beziehung setzen.

Wir diskutieren Feministische Strategie und Revolution von Eva von Redecker und vermissen bei ihr ein Ineinandergreifen von ökonomischen Strukturen und gesellschaftlicher Gewalt; bei Joshua Clovers Überlegungen zu den Übergängen von Riot. Strike. Riot dagegen das Geschlechterverhältnis. Wir reden über Veronica Gagos Entwurf Für eine feministische Internationale und stimmen zu, dass nicht die identische (Gewalt-)Erfahrung der Ausgangspunkt feministischer Politik sein sollte, ­sondern das gemeinsame Begehren, diese abzuschaffen. Wir erinnern uns an unsere Lektüre von Bini Adamczaks Buch Beziehungsweisen und schließen die Diskussionen im Plenumsprotokoll mit der knappen Überlegung: »Vielleicht nochmal über die Gewaltfrage reden.« Das Thema dieser Ausgabe konfrontiert uns wiederholt mit der Frage nach den Mitteln, nach feministischer Militanz. Wir reden über die radikale Entschlossenheit der Aktivist:innen des Bloquo Negro in Mexiko, ­deren Praxis uns sehr fern vorkommt, und landen beim Manifest der westdeutschen militant-feministischen Roten Zora »Mili’s Tanz auf dem Eis« von 1993. Unsere Beschäftigung mit den globalen feministischen Kämpfen verknüpft sich mit historischen Kämpfen: Als Prozesse des Umgestaltens, als Reflexion alter und der Suche nach neuen Formen verlangen sie auch ein Ausloten der eigenen Ressourcen, rufen innere Kämpfe auf und werfen uns gleichsam zurück auf die Frage nach der sozialen Reproduktion. Welche Praxisformen und Entstehungsbedingungen sind für feministische Kämpfe notwendig? Mit der outside #8 wollen wir dazu beitragen, dass diese Aushandlungen stattfinden können, dass ein Zusammenkommen im Kampf und auch im Streit möglich sein kann. In unserem Arbeitsprozess an der Ausgabe #8 haben wir in den jeweiligen Kleingruppen diskutiert, auch gestritten, Erkenntnisse gewonnen und im Plenum zur Diskussion gestellt. Durch und mit den Autor:innen, Künstler:innen und Interviewpartner:innen dieser Ausgabe hatten wir eine sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Kämpfe. Allerdings müssen wir auch feststellen: So lange wie für diese haben wir noch nie für eine neue outside gebraucht. Dafür haben wir unser Vorhaben, keinen neuen »Ziegel« zu kreieren, an und für sich ein­gehalten: »Jetzt wird es ein richtiger Backstein.« In diesem Sinne: Baut Barrikaden!

Le patriarcat ne casse pas des briques.

outside the box, 
April 2023

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