„Hemmlungslose Ausbeutung und Abfallkultur“
Die Zeitschrift Die Schwarze Botin
Im Sommer 1976 gründen die Historikerin Brigitte Classen und die Literaturwissenschaftlerin Gabriele Goettle in Berlin die feministische Zeitschrift Die Schwarze Botin. Frauenhefte, die bis 1987 in einunddreißig Ausgaben erscheint. Die Gründung fällt in die Zeit, in der sich ein Teil der Frauenbewegung zunehmend von der Linken – sowohl von der maoistischen als auch von der antiautoritären – abgrenzt und sich autonom zu organisieren beginnt. Ihren Anfang hatte die Frauenbewegung in Westdeutschland im Verlauf des Niedergangs des SDS 1968/69 mit der Gründung des Aktionsrats zur Befreiung der Frau in Westberlin und dem Frankfurter Weiberrat genommen. In den 1970er Jahren verlieren die Überlegungen des sozialistischen Feminismus zum Verhältnis von Klasse und Geschlecht langsam an Boden. Es entwickeln sich ein liberaler und ein kulturkritischer Flügel des Feminismus, die – oftmals als Gleichheits- und Differenzfeminismus bezeichnet – auf je einen Teil des Geschlechterverhältnis fokussieren: Während der liberale Feminismus auf Institutionalisierung und Verstetigung zielt und sich politischen und tagespolitischen Problemen zu wendet, widmet sich der kulturkritische Flügel – zu dem die Schwarze Botin zählt – der Kritik der Kunst, der Philosophie und der Wissenschaft. Ein Teil des kulturkritischen Flügels wird im Laufe der 1980er Jahre in der Ökologie- und Friedensbewegung aufgehen und in Weiblichkeit und Mütterlichkeit die Rettung eines unverfälschten Lebens vor dem Atomtod oder auch nur vor der Kälte der kapitalistischen Gesellschaft erblicken. Es ist dieser Teil, der in der Erinnerung für die ganze Frauenbewegung genommen und aufgrund seiner Verirrungen ad acta gelegt wird. Entgegen dem uninformierten Vorurteil wider den so verstandenen Differenzfeminismus ist es diesem um die Aufklärung der historischen und kulturellen Hervorbringung der Geschlechterdifferenz zu tun, wie nicht zuletzt die Zeitschrift Die Schwarze Botin beweist. Sie versteht sich – ebenso wie die im selben Jahr 1976/1977 gegründeten Zeitschriften Courage. Berliner Frauenzeitung und Emma – als Teil der autonomen Frauenbewegung und beendet jegliche Zusammenarbeit mit Männern. Nicht, dass sie Organ der „kritischen Auseinandersetzung mit feministischer Theorie und Praxis einerseits und der Zerstörung patriarchalischen Selbstverständnisses andererseits“ (Classen/Goettle) sein wollte, macht die Schwarze Botin zu einem ungewöhnlichen Zeugnis dieser Zeit. Denn die feministische Kritik macht von Beginn an keinen Halt vor dem Denken, den Theorien und den Organisationsversuchen der Frauenbewegung. Die feministische Kritik am Feminismus teilte die Schwarze Botin also durchaus mit anderen Feministinnen dieser Zeit. Was sie bis heute zu einer ungewöhnlichen feministischen Zeitschrift macht, ist ihre provokative Satire und ihr Beharren auf der Negativität der Kritik. Die wenigsten Zeitgenossen hatten einen Sinn für Satire. Eine Collage in der ersten Ausgabe, die eine Frau mit dem Kopf eines guillotinierten Mannes zeigt und „Kastration“ nur als „Übergangslösung“ im Umgang mit Männern bezeichnet, hatte wüste Beschimpfungen von Seiten des Kommunistischen Bunds, aus dessen Umfeld sich in den 1990er Jahren die Zeitschrift Bahamas gründet, zur Folge. Mit beißendem Spott bedachte die Schwarze Botin die weit verbreitete Angewohnheit sich kritisch dünkender Männer, die ihr antifeministisches Ressentiment mit Empfehlungen, wie der Feminismus zu sein habe, zu kaschieren versuchten – eine Angewohnheit, die sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreut, vornehmlich bei kritischen Kritikern antideutscher Provenienz.
In den Beiträgen der Schwarzen Botin schimmert der Gedanke des „totalen Verblendungszusammenhangs“ von Theodor W. Adorno durch. So schreiben die Herausgeberinnen über die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft: „Der geordnete moralische Lebenswandel des Bürgers, der sich aus Sparsamkeit, Fleiß, Pflichterfüllung, Zuverlässigkeit und sorgfältiger Kalkulation der Gewinne zusammensetzt, hat all das, was er an Fortschrittlichkeit und Kultur erbracht hat, als Abfallprodukt erbracht, und gerade damit ist er legitimiert worden bis heute. Diese schöne Harmonie von hemmungsloser Ausbeutung und Abfallkultur stellt sich heute aber sehr deutlich als Ehe zwischen einem Blinden und einem Lahmen heraus, denen nichts weiter fehlt als der Gnadenstoß.“ (Classen/Goettle, SB 2/77, 3)
Kann aber unter der Verkrustung einer Gesellschaft, die nichts als „hemmungslose Ausbeutung und Abfallkultur“ hervorgebracht hat, etwas entstehen, was nicht schon von vornherein sich einfügt in Warenform, Konsumismus und Kulturindustrie? Die Schwarze Botin bezieht diesen Gedanken auf die Subjektwerdung der Frauen und misstraut der Fixierung und Stillstellung menschlicher Individualität in einer fixen Identität. Gerade für die Frauen sieht sie die Gefahr, dass die Suche nach einer weiblichen Identität nur ihre Versteinerung in den „Weiblichkeitsbildern“ (Sigrid Weigel) perpetuiert, die das Fundament des Androzentrismus der Gesellschaft bilden. Es ist dieser Gedanke, der in den 1990er Jahren durch die Identitätskritik des dekonstruktivistischen Feminismus weitergeführt wird. Das verwundert durchaus nicht, ist der Differenzfeminismus der Schwarzen Botin doch ein Dokument der Zeit, in der strukturalistische und poststrukturalistische Theorien sich auch in der deutschen Diskussion durchzusetzen beginnen und in den Zusammenhang mit der Kritischen Theorie gebracht werden. Die Schwarze Botin bezieht sich explizit auf die französischen strukturalistischen und frühen poststrukturalistischen Theoretikerinnen. So greift beispielsweise die Philosophin Eva Meyer in ihren Beiträgen für die Schwarze Botin die dekonstruktivistische Kritik Luce Irigarays und Julia Kristevas am „Phallogozentrismus“ sprachlicher Strukturen auf. In ihren Beiträgen versucht sie eine Metaphysik zu entwickeln, die ihr letztes Prinzip in einem Differenzbegriff findet, der an Derridas Begriff der differánce erinnert. Neben dieser dem Zeitgeist entsprechenden Aufblähung der, aus der Sprach- und Literaturwissenschaft stammenden, poststrukturalistischen Theorien zur Metaphysik, gibt es eine Vielzahl von Aufsätzen und Essays, die jene auf sinnvolle und produktive Weise als das behandeln, was sie sind: als Literaturtheorie. Der Einfluss der Kritischen Theorie tritt da hervor, wo unnachgiebig auf der kulturellen Notwendigkeit der Entwicklung von Individualität als Ziel feministischer Kritik gepocht wird. Die Aporie dieser Art feministischen Denkens liegt in der Einsicht, dass weibliche Individualität unmöglich bleibt in einer Gesellschaft und einer Kultur, in der Individualität und Freiheit nur in ihrer männlichen und verstümmelten Form, nur durch die Verdrängung all dessen, wofür kulturgeschichtlich Weiblichkeit steht, möglich ist, bei gleichzeitig vehementer Einforderung der weiblichen Individualität. Sehr klar ist daher die Kritik der Schwarzen Botin an der ahistorischen Vorstellung, der Universalismus der bürgerlichen Gesellschaft meine alle Menschen. Eine Vorstellung, die bereitwillig übersieht, dass die Hinrichtung Olympe de Gouges und die „Spezialanthropologie des Weibes“ (Claudia Honegger) konstitutiv waren für diesen Universalismus. In der Aberkennung der Menschenrechte, wie in der wissenschaftlichen Fixierung eines Objekts Frau, das zu einem der Individuierung unfähigen Sonderfall des Menschen deklariert wird, zeigt sich, wie die Unmöglichkeit weiblicher Individualität die Bedingung der Möglichkeit männlicher bildet. Im Festhalten diese Aporie wie im Changieren zwischen Kritischer Theorie und dekonstruktivistischem Feminismus zeigt sich sowohl das bis heute Bestechende wie die Beschränkung eines solchen feministischen Denkens. Denn die Beschränkung auf Kulturkritik, zu der beide Strömungen neigen, gerät all zu schnell zu einem politischen Attentismus, vor dessen Hintergrund die klügste Satire zur ironischen Äquidistanz verkommt. Begreift man hingegen diese Art des Differenzfeminismus, wie ihn die Schwarze Botin vertritt, als ein Moment der wirklichen Bewegung des Feminismus, die bis heute anhält, dann entfaltet sie ihre bestechende Klugheit und ihren intellektuellen Reiz. Die Reduzierung ästhetischer Probleme auf die Frage nach einer politisch korrekten Repräsentation marginalisierter Identitäten, Subjekte oder Gruppen als dem handelnden Personal von Filmen, Romanen und Dramen liegt ihr fern. Für solche Verkümmerung der sinnlichen Wahrnehmung und Wirklichkeit hatte sie nicht viel übrig. Wie in kaum einer anderen feministischen Zeitschrift dieser Zeit vermögen es die Autorinnen in der Schwarzen Botin – wie beispielsweise Elfriede Jelinek, Heidi Pataki, Elfriede Gerstl oder Ginka Steinwachs – mit Formen sprachlicher Vermittlung von Sinnlichkeit und Vernunft zu experimentieren und die fetischisierte und verdinglichte Werbesprache, die uns umgibt und der sich zu entziehen kaum möglich ist, durch Parodie und Dekomposition zu entnaturalisieren.
Einige der Beiträge besitzen eine frappierende Aktualität, namentlich diejenigen, welche für die Notwendigkeit des Feminismus argumentieren und gekonnt die Selbstgefälligkeit der Männer und Frauen entlarven, die sich scheinbar aufgeklärt der anstrengenden und nervenaufreibenden Arbeit feministischer Kritik entledigen wollen um endlich so weiter machen zu können wie bisher – im Verharren in der eigenen Zurichtung. Heute, dreißig Jahre nach der letzten Ausgabe der Schwarzen Botin, besteht dieses Verharren darin, sich einzig auf die Kritik des islamischen Patriarchats zu kaprizieren, während die eigene Misogynie unangetastet bleibt und weiter gepflegt wird.